Vor 70 Jahren wurde Anne Frank verraten und verhaftet – mittlerweile ist sie zur Marke geworden und ist in den sozialen Medien unterwegs
Am Morgen des 4. August 1944 erreichte eine Gruppe um den SD-Oberscharführer Karl Josef Silberbauer das Haus in der Prinsengracht 263 in Amsterdam. Im Hinterhaus hatte sich unter anderem die jüdische Familie Frank versteckt. Die Familie und ihre Bekannten wurden verhaftet und deportiert. Anne Frank und ihre ältere Schwester Margot starben im März 1945 in Bergen-Belsen. Bis auf Otto Frank, den Vater der 15-jährigen Anne, überlebte keiner von ihnen das Konzentrationslager. Otto Frank war es auch, der anschließend die Tagebücher seiner Tochter herausgab. Die Tagebücher sind bis heute millionenfach verkauft worden. Sie sind Weltliteratur. Um so erstaunlicher, dass Frank zunächst keinen Verleger fand.
Erinnerung multimedial
Mittlerweile gibt es nicht nur Bücher und Filme über das Leben von Anne Frank. Es gibt heute Comics, Hörspiele und Musicals über das Leben der Anne Frank. Jenseits von elitären Bildungsinstitutionen wie Universitäten und Museen, von fachwissenschaftlicher Literatur oder informierten Diskussionen, hat sich eine neue Welt der Erinnerung herausgebildet. Es geht dabei nicht mehr nur um Betroffenheit und Information. Es geht auch um Unterhaltung – und genau da stockt einem der Atem. Anne Frank wird getanzt und als Zeichentrickfigur animiert. Die Frage ist da: Sehen wir Anne Frank nun bald als Actionfigur in den Schaufenstern der Spielwarengeschäfte und steuern wir das 15-jährige Mädchen dann auch mit einem Controller in der Hand von unserem Sofa aus durch das digitalisierte Hinterhaus in der Prinsengracht 263?
Erinnerung demokratisieren
Geschichte sollte nicht nur einer Bildungselite einen Zugang verschaffen, sondern auch für die breite Masse der Bevölkerung verständlich sein. Die Grenzen zwischen sinnvoller Veranschaulichung eines Themas, die es zum Beispiel auch für Jugendliche interessant macht, und einer multimedialen Banalisierung sind fließend. Offensichtlich kann sich aber niemand mehr diesen neuen Medien und neuen Formen der Geschichtsvermittlung verschließen.
Anne Frank liken
Anne Frank gibt es mittlerweile auch bei Facebook (https://www.facebook.com/annefrankauthor). Wir haben sie gleich geliked und sind jetzt nach digitalen Maßstäben befreundet. Auf der Facebookseite postet Anne Frank ihr Leben. Zu lesen sind Auszüge aus ihrem Tagebuch – wie geschaffen für Facebook. Und die Community liked wie verrückt. Über 1,5 Millionen Menschen verfolgen die Posts bei Facebook, Angela Merkel kommt auf 725.000 Follower und wenn Helene Fischer atemlos durch die Nacht stolpert gefällt das 1,2 Millionen Menschen. Tausende liken und teilen die Inhalte. Jeder Marketingmensch würde seine wahre Freude haben angesichts dieser viralen Durchschlagkraft. Auch in den anderen sozialen Medien ist Anne Frank präsent: Bei Pinterest (http://www.pinterest.com/explore/anne-frank/), Google Plus, Youtube etc.
Geschichte digital
Verliert Geschichte ihre Instruktivität, wenn sie populärwissenschaftlich, multimedial und auf erstaunlich verkürzte Weise dargestellt wird? Die Diskussion darüber ist alt (siehe: http://docupedia.de/zg/Diskussion_Angewandte_Geschichte_-_Co-Artikel). Aber sie bekommt offensichtlich eine neue Relevanz angesichts der Übertragung historischer Diskurse in die Welt der sozialen Medien. Wer glaubt, dass komplexe Ereignisse nur in dicken Büchern dargestellt werden können, wird feststellen, dass Komplexität auch auf Facebook stattfinden kann. Bilder, Töne, Filme und Texte, Möglichkeiten der Interaktion, der Kommentierung und des Dialogs sind auf Medien wie Facebook möglich und haben damit Qualitäten, die „alte“ bildungsbürgerliche Medien nicht einmal ansatzweise hatten. Anne Frank auf Facebook zu liken bedeutet deshalb nicht, Spaß an einer traurigen Geschichte zu haben, sondern zeitgemäß Informationen in einer Fülle zu bekommen, die so bislang öffentlich nie zugänglich waren.
(Marten Steinbömer)
Am Morgen des 4. August 1944 erreichte eine Gruppe um den SD-Oberscharführer Karl Josef Silberbauer das Haus in der Prinsengracht 263 in Amsterdam. Im Hinterhaus hatte sich unter anderem die jüdische Familie Frank versteckt. Die Familie und ihre Bekannten wurden verhaftet und deportiert. Anne Frank und ihre ältere Schwester Margot starben im März 1945 in Bergen-Belsen. Bis auf Otto Frank, den Vater der 15-jährigen Anne, überlebte keiner von ihnen das Konzentrationslager. Otto Frank war es auch, der anschließend die Tagebücher seiner Tochter herausgab. Die Tagebücher sind bis heute millionenfach verkauft worden. Sie sind Weltliteratur. Um so erstaunlicher, dass Frank zunächst keinen Verleger fand.
Erinnerung multimedial
Mittlerweile gibt es nicht nur Bücher und Filme über das Leben von Anne Frank. Es gibt heute Comics, Hörspiele und Musicals über das Leben der Anne Frank. Jenseits von elitären Bildungsinstitutionen wie Universitäten und Museen, von fachwissenschaftlicher Literatur oder informierten Diskussionen, hat sich eine neue Welt der Erinnerung herausgebildet. Es geht dabei nicht mehr nur um Betroffenheit und Information. Es geht auch um Unterhaltung – und genau da stockt einem der Atem. Anne Frank wird getanzt und als Zeichentrickfigur animiert. Die Frage ist da: Sehen wir Anne Frank nun bald als Actionfigur in den Schaufenstern der Spielwarengeschäfte und steuern wir das 15-jährige Mädchen dann auch mit einem Controller in der Hand von unserem Sofa aus durch das digitalisierte Hinterhaus in der Prinsengracht 263?
Erinnerung demokratisieren
Geschichte sollte nicht nur einer Bildungselite einen Zugang verschaffen, sondern auch für die breite Masse der Bevölkerung verständlich sein. Die Grenzen zwischen sinnvoller Veranschaulichung eines Themas, die es zum Beispiel auch für Jugendliche interessant macht, und einer multimedialen Banalisierung sind fließend. Offensichtlich kann sich aber niemand mehr diesen neuen Medien und neuen Formen der Geschichtsvermittlung verschließen.
Anne Frank liken
Anne Frank gibt es mittlerweile auch bei Facebook (https://www.facebook.com/annefrankauthor). Wir haben sie gleich geliked und sind jetzt nach digitalen Maßstäben befreundet. Auf der Facebookseite postet Anne Frank ihr Leben. Zu lesen sind Auszüge aus ihrem Tagebuch – wie geschaffen für Facebook. Und die Community liked wie verrückt. Über 1,5 Millionen Menschen verfolgen die Posts bei Facebook, Angela Merkel kommt auf 725.000 Follower und wenn Helene Fischer atemlos durch die Nacht stolpert gefällt das 1,2 Millionen Menschen. Tausende liken und teilen die Inhalte. Jeder Marketingmensch würde seine wahre Freude haben angesichts dieser viralen Durchschlagkraft. Auch in den anderen sozialen Medien ist Anne Frank präsent: Bei Pinterest (http://www.pinterest.com/explore/anne-frank/), Google Plus, Youtube etc.
Geschichte digital
Verliert Geschichte ihre Instruktivität, wenn sie populärwissenschaftlich, multimedial und auf erstaunlich verkürzte Weise dargestellt wird? Die Diskussion darüber ist alt (siehe: http://docupedia.de/zg/Diskussion_Angewandte_Geschichte_-_Co-Artikel). Aber sie bekommt offensichtlich eine neue Relevanz angesichts der Übertragung historischer Diskurse in die Welt der sozialen Medien. Wer glaubt, dass komplexe Ereignisse nur in dicken Büchern dargestellt werden können, wird feststellen, dass Komplexität auch auf Facebook stattfinden kann. Bilder, Töne, Filme und Texte, Möglichkeiten der Interaktion, der Kommentierung und des Dialogs sind auf Medien wie Facebook möglich und haben damit Qualitäten, die „alte“ bildungsbürgerliche Medien nicht einmal ansatzweise hatten. Anne Frank auf Facebook zu liken bedeutet deshalb nicht, Spaß an einer traurigen Geschichte zu haben, sondern zeitgemäß Informationen in einer Fülle zu bekommen, die so bislang öffentlich nie zugänglich waren.
(Marten Steinbömer)