Ann Patchett – Fluss der Wunder/State of wonder

Von Buchstabenchaos

Marina Singh arbeitet als Pharmakologin für einen großen Pharmakonzern Vogel in Minneapolis. Als ihr Kollege, der Biologe Anders Eckman auf der Suche nach der eigenwilligen Forscherin im Urwald Brasiliens verstirbt wird sie von ihrem Vorgesetzten und Liebhaber Mr. Fox nach Manaus geschickt. Während es ihr vor allen Dingen darum geht, den Tod ihres Kollegens aufzuklären setzt Mr. Fox alles daran, dass Marina die Situation mit Dr. Stewenson klärt und diese dazu bringt, endlich über die Fortschritte des Forschungsprojekts am Rio Negro zu berichten. Für den Konzern steht einiges auf dem Spiel, schließlich erforscht Dr. Stewenson die unglaubliche Fruchtbarkeit der Lakaschi-Frauen, die bis ins hohe Alter hinein gebären können. Marina wird zum Spielball verschiedenster Interessen und muss sich nicht nur den Gefahren des Urwaldes sondern auch ihrer eigenen Vergangenheit und ihren Ängsten stellen.

Hoffnung ist etwas Schreckliches. Ich weiß nicht, wer auf den Gedanken gekommen ist, sie als etwas Gutes zu bezeichnen. Hoffnung ist eine Plage. Als liefe man mit einem Angelhaken im Mund herum, und jemand hört nicht auf, daran zu ziehen.

“Fluss der Wunder” ist ein packender Abenteuerroman, der mit einer meiner Lieblingszutaten gewürzt ist. Der eigentliche Grund für Dr. Singhs Reise ins Amazonasgebiet gerät schnell in den Hintergrund und Fragen rund um Moral und Ethik der modernen Medizin und Wissenschaft stehen im Vordergrund. Die Entdeckung eines Mittels, dass es Frauen auch in den 50ern, 60ern oder gar 70ern noch ermöglicht, Kinder zu bekommen ist definitiv ein explosives Thema, dass gerade in Zeiten, in denen Erstgebärende immer älter werden und auch künstliche Befruchtung oft eine Rolle spielt hochaktuell. Ein sehr geschickter Schachzug der Autorin ist es aber, dass dieser Aspekt der Geschichte nur vorgeschoben im Mittelpunkt der Forschungsstation am Rio Negro steht. Marina ist bald hin und hergerissen zwischen Loyalität zu ihrem Arbeitgeber einerseits (sowie ihren Vorgesetzten, mit dem sie eine Affäre hat) sowie den Forscher-Kollegen andererseits sowie ethischen Bedenken, der Wunsch, die albtraumhafte Umgebung des Urwaldes schnellstmöglich zu verlassen und ihren Bestreben, den Tod ihres Kollegen aufzuklären.

So gut mir das Themenspektrum von “Fluss der Wunder” gefällt, so schade finde ich es, dass manche Figuren leider etwas blass bleiben. Gerade die Protagonistin Marina befindet sich in einer mehr als nur undankbaren Ausgangslage, aber für meinen Geschmack bleibt ihr Seelenleben zu sehr an der Oberfläche. Sie lässt den Leser nicht richtig an sich ran. Zwar versucht Patchett u.a. über zahlreiche Rückblenden in Singhs Vergangenheit ein prägnantes Bild ihrer Protagonistin zu zeichnen, aber sie bleibt durch ihr vergleichsweise nüchternes Seelenleben in der Gegenwart blass. Dies zeigt sich vor allen Dingen in den Szenen mit Mr. Fox. Sehr gut gefällt mir dagegen die Skizze, die die Autorin von der eigenwilligen Forscherin und Marinas früheren Professorin Dr. Stewenson anfertigt. Dr. Stewenson besetzt zwar streng genommen nur eine Nebenrolle in “Fluss der Wunder”, aber ihre starke Persönlichkeit kommt unweigerlich zur Geltung, letztendlich dreht sich alles um sie.

Die drückende brasilianische Hitze und die Atmosphäre in Manaus und am Rio Negro fängt Ann Patchett sehr eindrucksvoll ein, wenngleich dadurch die Spannung und der Fortgang der Geschichte im Mittelteil etwas leidet. Ich schwanke zwischen “sie beschreibt sehr realitätsgeträu und bildhaft” und “Oh, da hat sie aber einige Probleme sehr einfach durch weglassen gelöst.”. Ich kann mir zumindest vorstellen, dass die Umstellung zwischen Minnesota und dem brasilianischen Regenwald – selbst wenn man etwas Zeit hatte, sich in Manaus zu akklimatisieren – nicht ganz so reibungslos vonstatten geht.

Ein letzter Kritikpunkt ist die Tatsache, dass – ohne zu viel verraten zu wollen – das ursprüngliche Rätsel, dass Marina in den Urwald geführt hat zwar aufgeklärt wird, die eigentlich wichtigen Themen aber nicht aufgelöst werden. Es bleibt im Dunkeln, wie es mit dem Forschungsprojekt um das Urwaldfolk der Lakaschis weiter geht und auch das Verhältnis zwischen Mr. Fox und Marina bleibt am Schluss in der Schwebe.

Nichtsdestotrotz hat mir “Fluss der Wunder” einige spannende Stunden beschert und mich zum Nachdenken angeregt. Es hat mich außerdem neugierig auf die anderen Bücher der Autorin gemacht. “Fluss der Wunder” ist fesselnde Unterhaltung, die ich vor allen Dingen jenen empfehlen kann, die sich nach spannender Lektüre fernab vom Nullachtfuffzehn-Krimi sehnen. Wenn ich Punkte vergeben müsste (was ich aus Prinzip ja nicht tue) dann wären es vermutlich – wegen den oben angesprochenen Schwächen und einigen kleineren Ungereimheiten – 3,5 – 4 von 5.

“Fluss der Wunder” wurde mir freundlicherweise von Blogg dein Buch und Bloomsbury Berlin als Leseexemplar zur Verfügung gestellt (vielen Dank dafür!) und ist unter anderem hier erhältlich.