Was an den Vorwürfen dran ist, Bergoglio habe mit der argentinischen Junta zu tun gehabt, kann ich nicht beantworten. Falls es überhaupt jemand beantworten kann. In Südamerika, wie überall post dictatura, ist es allerdings nicht unüblich, jemanden aus welchen Gründen auch immer, mit einer Nähe zu den Machthabern auszustatten. Deutschland erlebt dieses Phänomen auf seine Art, wenn es darum geht, bestimmte Menschen zu StaSi-Mitarbeitern aus Leidenschaft zu erklären oder zu persönlichen Kumpanen irgendeines DDR-Bonzen.
Das ist nur der eine Kritikpunkt, den linke und "linke" Medien Papst Franz vorwerfen. Der andere ist seine Unnachgiebigkeit in Sachen Homoehe und Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. Was hat man eigentlich erwartet? Einen Revoluzzer? Jemand, der alles was der Katholizismus bis jetzt für richtig hielt, umwirft und bei Null anfängt? Und selbst ich, der ich mich als links oder linksliberaler Mensch einstufe, bin mir nicht schlüssig in Fragen des Adoptionsrechts für homosexuelle Paare. Mag sein, dass da meine katholische Sozialisierung mitspielt, kann aber auch sein, dass es vielleicht doch vernunftbasierte Skepsis ist. Ob ich das biologistische Argument, wonach gleichgeschlechtliche Paare keine Kinder zeugen können, hier anbringen soll, bleibt zweifelhaft. Andernorts lasse ich es ja auch nicht gelten. Der Mensch kann im Arrangement seines Lebens in der Gesellschaft nicht auf Biologie reduziert werden. Das hat mir der Existenzialismus gelehrt. Sind es also folglich Ressentiments? Gegen Homosexuelle sicher nicht. Das ist aber hier nicht das Thema und ich habe zu wenig Ahnung von der Materie, um mir eine qualifizierte Meinung ausgestalten zu wollen.
Mich beschleicht das Gefühl, dass sich die Katholische Kirche jetzt mal jemanden vorgesetzt hat, der annehmbar ist, zwar durchaus konservativ, aber dies in gebotener Bescheidenheit und mit Anstand und Würde - und trotzdem (oder deswegen?) will man es dringend schlechtreden.
Und was hat denn eigentlich die ansonsten so unspirituelle, teils nicht mal katholische Öffentlichkeit für ein seltsames Interesse daran, ob beispielsweise Frauen ordinieren dürfen oder nicht? Mir persönlich sind diese innerkirchlichen Fragen völlig einerlei, ich halte sie nicht für weittragend genug oder gar für eine Angelegenheit der Gerechtigkeit. Das sind innerkirchliche Prozesse, die mich wenig betreffen und die auch all jene, die die Katholische Kirche für total mittelalterlich halten, kaum interessieren dürften - außer natürlich, um der Institution zu spotten. Wichtig ist mir, ob eine Weltkirche dazu bereit ist, die soziale Frage, als die brennendste Frage unserer Tage, immer und immer wieder zu thematisieren. Vielleicht ist dieser Papst hierzu sogar der richtige Mann. Mir kommt es vor, als schiebt man dieses Gerede von der innerkirchlichen Reform, die er nun eilig anschieben sollte, damit die Katholische Kirche wettbewerbsfähig (sic!) bleibt, nur dazu vor, um einen etwaigen sozialen Anspruch der Kirchenspitze ins Hintertreffen geraten zu lassen.
Ich glaube nicht an Gott und die Kirchen gehen mit vielen, was ich denke und annehme, nicht konform. Was mich wirklich ärgert ist dieses linke Lebensgefühl, das voller Arroganz gegen Religion auftritt. Ein Lebensgefühl, das einerseits den homo islamicus zu einem Menschen aus Mohammads Zeiten erklärt und andererseits die Katholische Kirche mit dem Begriff Kinderfickerbande entwürdigt. Bei aller notwendigen Kritik an Glaubensgebäuden, ein solches Glattbügeln ist dumm, lebensfremd und totalitär. Mir ist ein bescheidener Konservativer, egal ob jetzt dieser Papst oder ein Abgeordneter, viel lieber, als dieser Hardlinerei, die von Linken und "Linken" betrieben wird.
Dieser Mann hat sich noch nicht bewiesen. Was er jedoch spricht, klingt anders als alles, was man in den letzten Jahren von der vatikanischen Senilität gehört hat. Da spricht einer von armer Kirche und von einer Kirche für die Armen. Bergoglio ist von der Befreiungstheologie angehaucht, auch wenn er nicht zu einem expliziten Vertreter dieser exegetischen Schule gehört. Was er spricht, wie gesagt, klingt anders. Mit der Kurie hatte er bis dato kaum Kontakt, sodass man annehmen darf, dass er kein Apparatschik ist. Was er tun wird, bleibt gleichwohl freilich beschränkt, denn das Amt des Papstes hat keine globale Exekutivkraft.
Es ist, als sei der Kulturkampf Bismarcks vom protestantischen Konservatismus auf die atheistische Linke übertragen worden, als litte man links nun an denselben Affekten gegen das Ultramontane wie jenes protestantische deutsche Reich des 19. Jahrhunderts. Damals glaubte man, die Katholiken würden von einer fremden Autorität geführt, eine Parallelgesellschaft im Reiche betreiben. Diese fremde Autorität wittert man noch immer, wenn diese Kirche nicht Staats- und Bürgerkirche sein will, an konfessionellen Eigenarten festhält und an institutionellen Ansichten klammert, die man zwar nicht teilen muss, die man aber auch nicht unter Druck setzen kann, wenn sie einem nicht passen. Dass die Kirche modern werden muss, hört man oft als Anregung. Genau das will sie nicht, sie soll nach Ansicht ihrer Vertreter eben nicht angepasst sein an den Zeitgeist. Der Protestantismus hat das zuweilen ganz anders gesehen; unter Bischof Huber hat man sich zur ganz realpolitisch Agenda 2010 bekannt und die Verbetriebswirtschaftung des Seelenheils postuliert. Ist das der Plan, den eine moderne Kirche haben sollte?
Man kann vom Gepapste halten, was man will. Die Show, die darum gemacht wird, und gerade auch von kirchenfernen Medien gemacht wird, ist manchmal schwer erträglich. Der Papst ist ein Popstar. Ratzinger in Deutschland einst mehr, als es jetzt und künftig Begoglio sein sein wird in diesem Lande. Dennoch ist das Lapidare, mit der einige Linke und "Linke" Hand in Hand mit dem bürgerlichen Protestantismus auf den neuen Vertreter des Katholizismus reagieren, völlig unangebracht. Da gibt es Vorwürfe, er habe der Diktatur zugespielt, was nie bewiesen wurde - das alleine reicht aus um zu behaupten, man hätte schon wieder einen fadenscheinigen Charakter ins Amt gehoben. Vorher kannte man Bergoglio gar nicht, aber kaum hörte man von seiner möglichen Vorgeschichte, tat man schon so, als wisse man, mit wem man es zu tun habe. Mir schien, dass die Tickermeldungen bei Facebook schon voller Despektierlichkeit waren, als das Wort Militärregierung auch nur fiel.
Ratzinger war konservativ, was Franz angeblich auch sein soll. Aber was bedeutet das schon? Sind nicht auch Linke konservativ, wenn sie im Gegensatz zu den neoliberal angehauchten Konservativen darauf aus sind, den Sozialstaat zu erhalten, zu conservare? Ist es nicht auch konservativ, wenn man als Progressiver heiratet und einem Familienmodell anhaftet, von dem man vor vier Jahrzehnten schon sagte, es sei ein Modell der künstlichen Rollenverteilung und Unterdrückung? Ist eine Familienpolitik, die Kinder ermöglicht und Familienleben bezahlbar halten will, nicht auch konservativ?
Ratzinger konnte man leicht kritisieren, seine Positionen waren teilweise mittelalterlich, alleine wenn man nur sein Faible für die Exorzistenausbildung betrachtet. Den weltlichen Ermittlungsbehörden stand er eher im Weg. Gleichwohl war er nicht immer grundsätzlich falsch positioniert, nicht alle seine Werte waren rückständig, vieles war wertkonservativ im besten Sinne. Seine Rede im Bundestag, wenngleich ich damals dachte und noch so denke, es sollte dort kein spiritueller Führer sprechen, war anständig und ein Stachel im Fleisch des Selbstbetruges, wonach Mehrheitsentscheidungen immer mehr oder minder richtig seien. Und sein Rücktritt, bei aller Kritik, war doch etwas, wofür man Respekt aufbringen musste. Zu sagen: Ich kann nicht mehr, mir fehlt die Kraft - das ist nicht wenig mutig.
Die Vorwürfe mit der gespaltenen Ökumene kümmern mich persönlich weniger. Aus katholischer Sicht ist diese Haltung sogar nachvollziehbar. Der Protestantismus macht es sich zuweilen sehr einfach, wenn er sich an der realen Welt ausrichtet. Siehe Agenda 2010 und Huber; siehe etwaige Aussagen zur Gentechnik.
Vielleicht habe ich den Ratzinger-Papst oft zu harsch bewertet. Innerlich war ich mir immer darüber im Klaren, dass er zwar nicht auf einer Linie mit mir liegt, aber auch nicht der klassische "Feind" ist. Bei Franz ist mir das viel bewusster. Er wird, je nach Länge seines Pontifikates, viel Unsinn reden, nehme ich an. Bei der Homoehe wird er sich verbrennen, wird die Kritik auch derer kassieren, die die soziale Frage - wie er ja auch - für existenziell halten.
Die apriorische Kritik an einem Papst, der zwar konservativ ist, der aber die Nähe zu den Menschen in Not und Armut nie verloren hat, ist allerdings völlig unangemessen. Natürlich darf er kritisiert werden. Muss er sogar. Aber was ist das für eine Mentalität, ohne Kenntnis von einer Person schon seinen Charakter erkannt haben zu wollen? Man muss deshalb nicht gläubig werden, aber dieser Papst könnte ein spiritueller Verbündeter gegen Ausbeutung und Plünderung sein. Kein Anpacker, aber eine moralische Instanz.
Auch wenn mich sein dauernder Drang zum Gebet störte, so fand ich seinen ersten Auftritt bescheiden und angenehm. Manche nannten ihn daher einen Wolf im Schafspelz. Wie müsste ein Papst eigentlich auftreten, um auch in der linken Lebenswirklichkeit anerkannt zu werden? Ich glaube, er könnte machen was er will, man wird ihn nie anerkennen. Die intellektuelle Einstellung des Ratzinger wurde verachtet und die jetzt auftretende sympathische Schüchternheit ebenfalls. Ich halte das ganze Gezeter von links und "links" für selbstgerecht und arrogant.