Anke Domscheit-Berg war 21 Jahre alt, als die Mauer fiel. Als junge DDR-Bürgerin rannte sie gegen so manche Mauer an, später, als erfolgreiche berufstätige Frau folgten weitere und aktuell setzt sie sich wieder dafür ein, die Mauern des uns bekannten System zu Gunsten einer echten Demokratie einzureißen. In ihrem aktuellen Buch “Mauern einreißen! Weil ich glaube, dass wir die Welt verändern können” erzählt sie von ihrer Jugend in der DDR, von Widerstand und Karriere, vom Kampf um Gleichberechtigung, um Transparenz und Gerechtigkeit.
von Mira Sigel
schreibt sie im Vorwort. Der erste Teil ihres Buches ist eine Rückschau in jenes schicksalhafte Jahr 1989, das Geschichte schrieb. Die Stasi wollte sie kurz vor dem Untergehen der DDR noch als IM anwerben und versuchte sie zu erpressen, ein Erlebnis, das ihre Einstellung zum Staat und seinem Umgang mit den Bürgern einschneidend beeinflusst hat. Gleichzeitig erlebt sie als junge Frau, dass auch diese Übermacht nicht unendlich ist und durch den Willen vieler überwunden werden kann. In Tagebucheinträgen und Briefen dokumentiert sie, wie sie und ihre Familie und Freunde jenes Jahr erlebten, wie sie überwältigt wurden von den Ereignissen und was sie ganz persönlich daraus mitgenommen hat.Ich bin in der DDR aufgewachsen, ich bin eine Frau und ich bin ein politisch denkender und engagierter Mensch. Drei Gründe, warum ich in meinem Leben schon gegen allerlei Mauern angerannt bin – Mauern, die uns als Individuen und als Gesellschaft im Fortschritt behindern.
Teil zwei ihres Buches beschäftigt sich mit unsichtbaren Mauern, jenen gläsernen Decken, an die Frauen stoßen, die Karriere machen wollen, oder, die wie im Falle von Anke Domscheit-Berg, Karriere und Kind miteinander vereinbaren möchten. Sie berichtet von ihren eigenen Erfahrungen, als erfolgreiche Unternehmensberaterin mit Kind wieder in den Beruf einzusteigen und von dem Sexismus und der Diskriminierung, die selbst ihr als hochqualifizierte Frau entgegenschlugen und nimmt Bezug auf Gender Pay Gap, auf den Mangel an Frauen in Vorstandsposten und Aufsichtsräten, darauf, wie die Old Boys Networks funktionieren und das Chefs eben am liebsten eine jüngere Ausgabe von sich selbst in der Nachfolge sehen. Im dritten Teil des Buches geht es schließlich um den gegenwärtigen Zustand der Demokratie in Deutschland.Wir Ossis wissen, dass man sich auf kein System verlassen kann. Wenn selbst die DDR in wenigen Wochen untergehen kann, warum sollten dann die Renten in der BRD sicher sein? Oder das ganze Gesellschaftssystem? Noch eine Wirtschaftskrise? Die Einführung des Euro? Für uns relativ wenig Aufregung im Vergleich zu den gesamtgesellschaftlichen Erschütterungen, die das Ende der DDR für jede und für jeden von uns gebracht hat. Andererseits können wir uns vielleicht eher als andere vorstellen, dass diese Probleme sich möglicherweise zu viel größeren Krisen auswachsen, als aktuell absehbar ist. Wir wissen, dass Entwicklungen eine Dynamik bekommen können, die nicht mehr zu bremsen ist. Too big to fail? Daran glauben wir nicht. Nichts ist zu groß, um nicht doch kaputtzugehen.
Anke Domscheit-Berg war früher bei den Grünen und ist heute in der Piratenpartei. Vieles aus ihrer Kritik und ihren Lösungsansätzen ist aus den Forderungen der Piraten bereits bekannt und hat dennoch, gerade angesichts der NSA-Affäre, nichts an Aktualität verloren. So fordert sie echte Transparenz bei Nebeneinkünften, Lobbyismus und Parteispenden, Bürgerbeteiligung dürfe nicht länger „nur ein Feigenblatt“ sein. OpenGovernment gehöre die Zukunft. Ansätze wie das LiquidDemocracy Modell der Piraten ermöglichen Information, niedrigschwelligen Zugang und hohe Beteiligung, außerdem wird die Stimme nicht nur einmal im Jahr, sondern immer wieder abgegeben. Sie setzt sich ein für den Einsatz von OpenData, der zum Beispiel schon in der Flutwelle von 2013 für viele Menschen von großen Nutzen hätte sein können. Daten und Informationen müssen für jeden kostenlos zugänglich sein. Harsch kritisiert sie den Generalverdacht unter den inländische und ausländische Geheimdienste den Bürger stellen. Durch das G10 Gesetz ist das Postgeheimnis außer Kraft gesetzt, der BND durchforstet bis zu 40 Millionen E-Mails im Jahr, Funkzellenabfragen bedürfen eigentlich einer richterlichen Zustimmung. Statt eines gläsernen Staates gibt es einen gläsernen Bürger, der jedes Recht auf eine Privatsphäre mit dem Hinweis auf eine angebliche Terrorgefahr verloren hat. Sie verweist auf das erschreckende Beispiel des Gentrifizierungsforschers Andrej Holm, der ein Jahr lang überwacht und schließlich festgenommen wurde, weil ihn der Geheimdienst aufgrund falscher Recherchen mit einer militanten Gruppe in Verbindung brachte. Anke Domscheit-Berg erzählt von jenem Jahr 2010, als WikiLeaks, das ihr Mann Daniel Berg gemeinsam mit Julian Assange aufgebaut hat, die Dokument von Chelsea Manning erhält und zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit deutlich wird, wie wichtig der Einsatz einiger Mutiger ist, um solche Informationen wie das Colleteral Murder Video an die Öffentlichkeit zu bringen. Edward Snowden hat es 2013 nachgemacht und die NSA-Affäre öffentlich gemacht.Die Politiker repräsentieren aber nicht nur unsere Zeit nicht mehr, sie repräsentieren auch das Volk nicht mehr. Eine politische Klasse hat es sich in unseren Parlamenten bequem gemacht, die sich von der Ministerialbürokratie oder gleich von Lobbyisten die Gesetzesvorlagen schreiben lässt, sich ansonsten recht bedeckt hält und nur ein sehr begrenztes Interesse an dem hat, was Bürger wollen – außer es ist gerade Wahlkampf, dann passen sie kurzfristig die Rhetorik an und fangen an zu twittern.
Sie fordert schließlich, sich nicht nur über Korruption und Datensammelwut zu empören, sondern sich aktiv dagegen zu engagieren, die eigenen Rechte und Freiheiten zu verteidigen und, wenn nötig, ein paar neue Mauern einzureißen. [Übernahme von Die Freiheitsliebe]Transparenz ist die wirksamste Waffe gegen Korruption und viele andere Fehlentwicklungen einer Gesellschaft. Sie ist auch Waffe gegen Umweltverbrechen, Menschenrechtsverletzungen, Amtsmissbrauch und Auswüchse ungebremster Profitorientierung auf Kosten anderer. Den berühmten braunen Briefumschlag, mit dem etwa Journalisten anonym Informationen zugespielt wurden, gab es schon lange. Zu allen Zeiten gingen Whistleblower, Menschen, die diese Art hässliche Geheimnisse „verraten“, offen oder verdeckt an die Öffentlichkeit, um schmerzhafte Wahrheiten ans Tageslicht zu bringen und damit Veränderungen anzustoßen, die offenbar anders nicht erreichbar waren.