Angst vor der eigenen Endlichkeit

Von Frühlingskindermama @fruehlingsmama
Ich habe Momente, da falle ich in ein schwarzes Loch. Alles dreht sich, ich habe Todesangst, ich werde mir der Endlichkeit des Lebens zutiefst bewusst und das versetzt mich in eine solche Panik, dass ich zittere, die Luft anhalte und erstarre. Das Herz rast. Es sind Momente, wo ich Dinge begreife, die das menschliche Gehirn eigentlich nicht begreifen kann. Die Unendlichkeit des Universums zum Beispiel und vor allem die Gewissheit des eigenen Todes, die Auslöschung meiner Person und die Weiterexistenz der Welt ohne mich. Dinge, die man sich eigentlich nicht vorstellen kann und deshalb verdrängt, werden plötzlich begreifbar und kreisen glasklar in meinem Verstand. Es ist unerträglich und ich bin nach solchen Attacken immer fix und fertig.
Sie halten relativ kurz an, nur ein paar Minuten, und danach ist alles wieder beim Alten. Während man im normalen Alltagsleben theoretisch weiß, dass man sterben muss wie alle Menschen auch, das Leben der anderen weitergeht und man innerhalb kurzer Zeit vergessen ist, kommt in solchen Momenten das Begreifen mit aller Macht und Ausweglosigkeit und stürzt mich ins Bodenlose, ins Schwarze, ins Unerträgliche. Ich begreife dann das eigentlich Unbegreifliche, und das ist furchtbar, schmerzhaft und grauenhaft. Es ist, als würde die normale Beschränktheit des menschlichen Verstandes für einen kurzen Moment ausgehebelt und man erhält Anteil am "Weltgehirn". Es fühlt sich an, als würde man gleichzeitig verrückt und allweise werden. Ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben soll. Es ist panik- und angsteinflößend und gleichzeitig faszinierend.
Ich hatte diese Momente schon früher. Zwar weiß ich nicht mehr, wann es angefangen hat, aber seit meinen frühen Zwanzigern erinnere ich mich daran. Ein anthroposophischer Freund hat damals immer gesagt, als ich ihm das erzählte: "Das ist die Erfahrung des Nichts." Früher fühlte ich mich noch ausgelieferter und verwirrter, mittlerweile weiß ich auch mitten in diesen Momenten, dass sie bald vorüber gehen. Die Intensität ist geblieben und die Häufigkeit sogar angestiegen, je älter ich werde. Es sind keine konkreten Auslöser erkennbar, auch wenn neuerdings immer öfter beim Anblick von alten Menschen das Bewusstsein der Vergänglichkeit hochkommt. Trotzdem falle ich dabei selten in diese "Attacken" hinein. Sie treten unvorhersehbar tags, nachts, in jeder Situation auf, manchmal wochenlang gar nicht, dann wieder öfter. Ein gewisser Ruhezustand ist Voraussetzung dafür, und kurioserweise hat die Häufigkeit zugenommen, obwohl ich selten Ruhe und Muße habe. Ich habe keinen Einfluss darauf und kann in den Momenten auch nichts tun, damit sie aufhören.
Ich vermute, dass es sowas wie Panikattacken sind, allerdings geht es darin nicht um die Angst, irgendetwas im Leben nicht bewältigen zu können, sondern schon immer nur um die Endlichkeit meiner Existenz, die räumliche Unendlichkeit des Universums und gleichzeitig seine zeitliche Endlichkeit, verbunden mit den Fragen: was war davor, was kommt danach? Wobei ich die Vorstellung, dass es eine lange Geschichte vor mir gegeben hat, nicht ganz so unvorstellbar finde wie die Tatsache, dass es nach mir einfach so weitergehen wird. Das klingt vielleicht narzisstisch, aber ich empfinde das in diesen Momenten ganz existenziell. Die Erkenntnis der Vergänglichkeit schneidet wie ein Blitz durch meinen Körper.
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Die Kinder als Trost?
Man hat früher zu mir gesagt, dass es besser werden würde, wenn Kinder da sind, weil man dann die Gewissheit hat, sozusagen in den Kindern weiterzuleben und etwas von sich selbst auf der Erde zu hinterlassen. Besser geworden ist es nicht, seit ich Kinder habe, im Gegenteil, die eigene Endlichkeit ist mir noch stärker bewusst geworden und die Angst vor dem Ende noch intensiver. In den letzten Jahren haben wir meine Schwiegereltern beerdigt. Ich habe gesehen, wie schnell alles, was ein Leben ausgemacht hat, entsorgt und vergessen ist, und während es Menschen gibt, denen das nichts bedeutet, finde ich das ganz schrecklich. Ich sehe, wie die Jahreszeiten und Geburtstage vergehen, und all das führt näher ans Ende. Besonders der Herbst und Winter werden von Jahr zu Jahr immer schwerer für mich zu ertragen. Ich sehe, dass ich seit fast 7 Jahren und noch ca. 14 weitere Jahre nicht so oder nur eingeschränkt leben kann, wie ich eigentlich gern möchte. Ich sehe, wie meine Eltern und Verwandten älter werden, das Verhältnis immer schwieriger wird und die Familien auseinanderfallen, seit die Großelterngeneration nicht mehr da ist. Ich sehe, wie schnell alles in Vergessenheit gerät. Ich merke, wie schnell ich selbst vergesse.
All das macht mir ehrlich gesagt große Angst. Einerseits lebe ich zwar in den Kindern weiter, andererseits erinnern sie mich aber auch mehr als je zuvor an mein eigenes Ende. Das ist schmerzhaft und manchmal auch schon mit dem normalen Bewusstsein kaum auszuhalten. In den schwarzen Momenten ist das unmöglich. Die Existenz der Kinder hat darauf keinerlei Auswirkung, weder ist sie ein Trost noch kann sie solche Momente verhindern. Eher hat sie sie noch verstärkt. Das ist insofern merkwürdig, weil mein Empfinden sonst generell weniger tief geworden ist, seit ich die Kinder habe.
Im Sturm "Xavier", der Anfang Oktober über Norddeutschland tobte, ist eine Frau ums Leben gekommen, die ich persönlich kannte. Es ist schon viele Jahre her, seit sich unsere Wege beruflich kreuzten, und wir haben kaum mehr als ein paar Worte gewechselt. Trotzdem fühlte sich dieser Tod für mich anders an als sonstige unpersönliche Todesfälle, und die Irrationalität eines solch verfrühten Lebensendes trat besonders deutlich zum Vorschein. Das hat mich stark beschäftigt und lässt mich bis heute nicht los. Sie war nur ein Jahrzehnt älter als ich, als ein dummer Zufall, anders kann man es nicht nennen, während des Sturms ihr Leben auslöschte. Es ist unbegreiflich und führte mir die eigene Endlichkeit und besonders auch die potentielle Plötzlichkeit des Endes hart vor Augen. Ich ringe streckenweise stark mit dem Thema und nein, meine Kinder sind mir dabei kein Trost. Das eine hat mit dem anderen für mich überhaupt nichts zu tun.
Ungefähr die Hälfte meines Lebens ist vorbei. Die zweite Hälfte vergeht bekanntlich immer schneller. Und obwohl ich mir wünsche, dass die Kinder älter werden und ich dadurch wieder etwas freier leben kann, habe ich gleichzeitig Angst davor, denn mit dem Älterwerden der Kinder vergeht mein eigenes Leben. Diese Ambivalenz ist schwer auszuhalten. Ich möchte sie ja gern noch lange begleiten und sehen, wie sie ihr Leben gestalten. Andere, leichtere Gemüter als ich würden jetzt sagen: "Ach was, genieße einfach jeden Moment deines Alltags, damit du weißt, du hast dein Leben gut gelebt." So simpel ist das aber für mich nicht und wird es auch nie werden. Aber auch das gehört zu meiner Existenz dazu. Vielleicht kommt dieses Gefühl, wenn das Hamsterrad des Alltags etwas nachlässt. Was aber nichts an der Unausweichlichkeit des Endes ändert. Wir müssen alle mit dieser Perspektive leben. Der eine verdrängt, dem anderen gelingt das nicht. Ich gehöre zu Letzteren, schon immer. Daran hat die Mutterschaft nichts geändert. Und bei euch?