Der NSU-Prozess hält Deutschland seit Wochen in Atem. Weniger die Bevölkerung, der das ganze Hin und Her über zu wenig Stühle im Gerichtssaal und ausgeloste Prozessbeobachter ziemlich egal ist. Es sind vielmehr die Medien, die selbstreferentiell in nicht enden wollender Empörung über den zum „Jahrhundertprozess“ aufgeblasenen Justizakt berichten, was auf beklemmende Art den Zustand unserer Presse beschreibt. Nun hat das unwürdige Spektakel einen neuen Höhepunkt erreicht, diesmal gesetzt von einem türkischen Politiker, der als Beobachter dem Prozessauftakt beiwohnte. Für seine Forderung, das Kruzifix müsse im Sinne eines fairen Prozesses aus dem Gerichtssaal entfernt werden, bekommt Mahmut Tanal den „Klodeckel des Tages“. Das christliche Symbol sei ein Verstoß gegen den Säkularismus, also die Trennung von Religion und Staat. Einmal auf Temperatur gekommen, schwang sich Tanal gar zum Sprecher der übrigen Weltreligionen auf und geißelte das Kreuz als Bedrohung für alle Nichtchristen. Es gehört schon enormes Selbstbewusstsein dazu, wenn ein türkischer Politiker solche Sätze formuliert. Der Parlamentarier Tanal sollte seine Kraft mal lieber darauf verwenden, dass sich in seinem Heimatland ein ernstzunehmender Säkularismus noch in diesem Jahrtausend überhaupt ausbilden kann. Im Eifer des Gefechts übersieht er außerdem, dass es bereits seit 40 Jahren Regelungen gibt, die dafür sorgen, dass ein Kreuz im Zweifel aus dem Saal verschwindet. Anders als er dies aus seiner Heimat kennen mag, wird die Entscheidung darüber hierzulande jedoch nicht von außen getroffen, sondern obliegt allein den Prozessbeteiligten. Auch in diesem Punkt wünscht man der Türkei gerne alles Gute und viel Erfolg auf ihrem weiteren Weg zum Rechtsstaat unserer Prägung. Es war allerdings fast schon bemitleidenswert, wie die im Umgang mit Lobbyorganisationen ungeübte deutsche Justiz bei dem Versuch ins Schlingern geriet, es allen Krakeelern recht zu machen. Im Fall Tanal kam die Reaktion jedoch prompt und unmissverständlich: Das Kreuz bleibt hängen. Rückendeckung kam überraschenderweise vom Zentralrat der Muslime, der Tanal ermahnte, er möge „sich mit seiner Belehrung der deutschen Justiz etwas zurückhalten.“ Ungewohnte Töne von einer mächtigen Lobbygruppe, die Bundesinnenminister Friedrich gerade darüber belehrt hatte, wie ungerecht es in der Islamkonferenz zugehe. Apropos Islamkonferenz: Die Bezeichnung ist ein hübscher Etikettenschwindel. Es geht dabei nämlich nur vordergründig um die Belange des Islam. Eher schon dient das Gremium der Befriedigung der gewaltigen türkischen Lobby in Deutschland, deren oberste Vertreter sich rund um die Gremiensitzungen in der Regel fordernd und anklagend zu Wort melden. Sie erwecken dabei den Eindruck, als sprächen sie für weit mehr als die geschätzten 2,5 Mio. Menschen türkischer Herkunft. Dies sind zwar immerhin zwei Drittel der Muslime hierzulande, aber eben gerade einmal 3% der Gesamtbevölkerung. Im türkischen Verhältnis zu Deutschland ist – wie auch der Fall Tanal zeigt – jedes Maß verlorengegangen. Und mit der enormen Medienmacht im Rücken nimmt der Wille zur Integration immer weiter ab. Ergebnis: 83% der hier lebenden Türken wollen die deutsche Staatsbürgerschaft nicht – keine Migrantengruppe steht Deutschland ablehnender gegenüber. Nicht das Kruzifix ist das Problem, lieber Herr Tanal!
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