Qualität braucht etwas länger, das ist klar. Letztlich aber kommen auch professionelle Realitätsbeobachter irgendwann nicht mehr umhin, das eigene Tun, die eigene Tat, einzuordnen in den großen Gang der Dinge. Nur rund einen Monat, nachdem PPQ der Welt exklusiv offenbart hatte, wie eine vom An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung in Halle an der Saale erstellte Studie das grassierende Themensterben in der deutschen Medienlandschaft analysiert hat, zieht das Erfolgsblatt aus Hamburg jetzt nach.
Unter souveräner Vernachlässigung der Forschungsergebnisse des führenden Medienwissenschaftlers Hans Achtelbuscher, dem mit dem "Emp" erstmals eine einheitliche Einheit zur Messung medialer Empörung vorgelegt hatte, verknappt die "Zeit" das Thema auf die beiden frei erfundenen Begriffe "Schock" und "Hype": Unter "Hype" laufen dabei gigantische Spitzwellen wie die Diskussion um die "kruden Thesen" (Der Spiegel) des Thilo Sarrazin oder die Aufregung um die "Gorch Fock". Als "Schocks", die ohne Selbstsuggestion wirken, führt das Blatt hingegen Themen wie die Aufstände in der arabischen Welt, den Atomunfall in Fukushima und den Krieg in Libyen.
"Der Ansatz ist gewohnt boulevardest", urteilt Uni-Forscher Achterbuscher, dem auch sauer aufstößt, dass "in keiner Zeile des prominent auf Seite 3 platzierten Textes die Rolle der Organisatoren medialer Erregung gespiegelt wird". Die sich selbst als analytisches Medium verstehende "Zeit" setzte hier einmal mehr auf bunte Grafiken und flotte Thesen, bleibe aber eine wirkliche Analyse schuldig. "Es wird so getan", sagt Achtelbuscher, "als entstünden nicht nur die hier so genannten ,Schocks´, sondern auch die ,Hypes´ irgendwo außerhalb."
Dem wollen die Forscher aus Halle, die weltweit als erste darangingen, die Haltbarkeit bestimmter Schwerpunktsetzungen in Schlagzeilen und Brennpunkten mit ihrer Einheit Emp zu messen, so nicht folgen. Seriöser als doe Kurzatmigkeit des Nachrichten-Unterhaltungsgeschäft mit angeblichen "Schocks" und "Hypes" zu erklären, sagt Achtelbuscher, sei es, von A- und B-Themen zu sprechen. Beide Arten seien grundsätzlich austauschbar, ein B-Thema könne immer zum A-Thema werden, wenn ein solches gerade nicht verfügbar sei. "Wir sprechen hier von reinen Opportunitätsprinzipien", erläutert der Wissenschaftler, "man nimmt, was da ist." Weil die Welt nach dem ersten Gesetz der Mediendynamik in keinen Schuhkarton passe, unweigerlich aber in 15 Minuten Tagesschau, dürften Großereignisse nie gleichzeitig stattfinden, sondern immer fein säuberlich hintereinander. "Zuschauern und Zeit-Redakteuren kommt es dann vor, als plane eine große göttliche Regie den Ablauf von Flugzeugabstürzen, Prominentenhochzeiten, Sportevents und Skandalen."
Richtig sei jedoch, dass das nicht so sei. Damit erkläre sich auch die aus der reinen Themenbedeutung nicht ableitbare Emp-Verteilung bei den vielgespielten Themen des zurückliegenden Jahres. Nebenkriegsschauplätze feierten nachhaltige Erfolge, Großkatastrophen wie etwa die als "Tschernobyl des Ölzeitalters" eingeführte Ölkatastrophe im Golf von Mexiko vermochten sich hingegen nicht annähernd so zu etablieren wie etwa der Wettersprecher Jörg Kachelmann. Achtelbuscher ist sicher, dass hier noch viel Forschungsbedarf liegt. "Solange führende Magazine bei der Selbstanalyse von falschen Voraussetzungen ausgehen und am Ende hochzufrieden völlig verkehrte Ergebnisse öffentlich vorweisen, bleibt uns viel zu tun."
Speisefisch im Fichtennadelbad