Auf manche Dinge muß man eben direkt mit der Nase gestoßen werden – auf dieses wunderbare Album zum Beispiel mit dem nicht minder faszinierenden Video zum „Black Kite“, dem letzten Song der Platte. Monochrome, grobkörnige Bilder, meistenteils düster, unscharf, aus dem Fokus, oft sekundenlang scheinbar im Stillstand verharrend – dazu Mark Kozeleks sanfte Stimme, all das hat an Faszination über die Jahre seit dem Ende der Red House Painters nichts verloren. Und auch wenn Kozelek solche Vergleiche nicht mag, die Liga, in der er Zeit seines Künstlerlebens spielt, ist die erstklassigste: Smog, Bill Callahan, José González, Bon Iver, drunter geht’s nicht.
„Among The Leaves“ ist das fünfte Album, das Kozelek mit Sun Kil Moon, also Anthony Koutsos, Geoff Stanfield und Tim Mooney eingespielt hat – letzterer verstarb vor einigen Tagen – und es ist vielleicht kein typisches geworden. Allein die Überlänge, 17 Songs mit teilweise amüsanten Namen („The Moderately Talented Yet Attractive Young Woman vs. The Exceptionally Talented Yet Not So Attractive Middle Aged Man”) überrascht – er wollte irritieren und an die Zeiten von Pink Floyd und Led Zeppelin erinnern, so sagt er, wo Musik noch mit dem bewußten Anspruch gemacht wurde, etwas Einzigartiges, etwas bislang Unerhörtes zu schaffen: „I didn't want to put myself, or anyone else, asleep with another quintessential Mark Kozelek album.”
Natürlich ist es das dann irgendwie doch: essentiell, beispielgebend, denn die einzigartige Tiefe haben die Songs behalten, die Fähigkeit, im Moment des Hörens etwas in einem anzustoßen, die Stücke in einem selbst weiterklingen und –schwingen zu lassen – das ist typisch und eben gottlob auch typisch geblieben. Die Vielzahl der Stücke nötigt dem Hörer Aufmerksamkeit ab, es braucht Zeit, bis man sich das Album in seiner Gänze erschlossen hat – dass es ein großes ist, begreift man allerdings recht schnell. Schon der Beginn, nur gute anderhalb Minuten lang, eine kleine Backstage-Anekdote aus dem fernen Moskau, kaum Worte, später ein Brief mit den Worten „I know it’s pathetic but it was the greatest night of my life“, so viel mit so wenig. Auch in der Folge ironische, auch sarkastische Selbstbetrachtungen, Spiegelungen aus dem endlosen Touralltag und dem Leben dazwischen, alles behutsam akkustisch untermalt, sparsame Drums, mal ein paar Streicher wie im Titelsong, kaum mehr. Bestes Beispiel: „That Bird Has A Broken Wing“ – gedoppelte Vocals, gezupfte Einkehr, man fällt hinein und ergibt sich bereitwillig dem Sog.
„I'm a boxing junkie, a serial-killer junkie, and a classical guitar junkie” – man wußte es bereits, schließlich hat er schon seine Band nach dem koreanischen Boxer Sung-Kil Moon benannt. Seine fast kindliche Verehrung für Faustkämpfer wie Joe Frazier oder Ed Gein („The Winery“) wirkt auf den ersten Blick altmodisch und kautzig, offenbart aber auch eine tiefe Sehnsucht nach Einfachheit und bedingungsloser Ehrlichkeit – einfach und ehrlich eben wie ein Schlagabtausch im seilumspannten Viereck. Seine Stücke haben ob dieser zum Prinzip erhobenen Simplizität noch immer oder immer wieder eine berauschende Unmittelbarkeit, mit ihnen scheint er schon angekommen.
Ihm zuzuhören ist in jedem Falle eine lohnenswerte Unternehmung, bei den Stücken dieses Albums ebenso wie bei seinen Auslassungen zum Bühnenleben eines abgeklärten Mittvierzigers (pitchfork): „There were a lot more girls at the shows early on. I'd get off stage and there would be options. But those days are long gone, and thank god. I didn't need any sleep back then, but I need sleep now, to play guitar the way I do. The audience has gotten a lot softer now, more middle-aged. I've guess I've gotten older and my sex appeal has waned. It's OK.“ Diesen Gedanken, dieser Musik, man möchte ihnen gern noch weiter folgen – meinentwegen auch: ebenso bedingungslos. http://sunkilmoon.com/