Die Dresdner Frauenkirche und ihr Wiederaufbau faszinieren mich, daher wollte ich während unseres Dresden-Aufenthalts im Sommer mehr darüber erfahren, als im DuMont Kunst-Reiseführer Sachsen steht. Zur Frauenkirche werden in Dresdner Buchhandlungen Bücher unterschiedlichsten Umfangs angeboten, und ich wählte ein mittleres, das Gebäude und Wiederaufbau ausführlich schildert, aber noch innerhalb relativ kurzer Zeit zu lesen ist. Daher schaffte ich die Lektüre auch noch während unserer Tage in Dresden, sodass ich die Frauenkirche zum Schluss noch einmal besichtigen und von der Lektüre dabei schon profitieren konnte.
Baugeschichte
In diesem Band wird schon die Baugeschichte unter der Leitung des Barockbaumeisters George Bähr genau beleuchtet, vor allem auch die ständigen finanziellen und politischen Schwierigkeiten, die zu immer neuen Abänderungen und Einsparungen während des Baus führten, die später zum Teil zu gefährlichen Bauschäden und daraus erwachsenden aufwändigen Renovierungen führten. Doch auch die Steinkuppel, das „Alleinstellungsmerkmal“ dieser Kirche, ist ein Resultat von Sparmaßnahmen, da – was mich überrascht hat – eine Holzkonstruktion mit Kupferverblechung teurer als die Steinversion gewesen wäre und daher fallen gelassen wurde. Allerdings muss Bähr bereits früh mit diesem Gedanken gespielt haben, weil er – entgegen den ursprünglichen Planungen – von Anfang an viel wuchtigere Fundamente legte, als für die Holzkonstruktion vonnöten gewesen wäre.
Auch die Sanierungsmaßnahmen, die sich als nötig erwiesen, werden genau geschildert. Noch wenige Jahre vor der Zerstörung im Jahr 1945 wurde der Bau grundlegend renoviert und das Fundament verstärkt, sodass man sogar beim Wiederaufbau dieses Fundament weiterverwenden konnte.
Bombenhagel und Brand
Vom britischen Bombenhagel am 13. und 14. Februar 1945 blieb die Kirche zwar verschont, allerdings fing sie im darauf folgenden Feuersturm Feuer, sodass die Steine so stark erhitzt wurden, dass sie Gewicht der Kuppel nicht mehr tragen konnten. Alles stürzte ein, bis auf einige wenige Teile der Außenwand und des Altarbereichs. Unter dem Schutt wurde das Altarrelief allerdings so gut konserviert, dass es beim Wiederaufbau verwendet werden konnte.
Zu DDR-Zeiten ließ man die Ruine stehen bzw. liegen, baute nur einen Zaun herum und erhielt so den Steinbestand zu einem großen Teil für die Nachwelt. Nur ein geringer Teil der Steine wurde für andere Zwecke entnommen.
Beispiellose Unterstützungskampagne
Gleich nach der Wende wurde der auch während der DDR-Zeit nie ganz begrabene Gedanke an einen Wiederaufbau wieder lebendig und es entwickelte sich eine beispiellose Kampagne für die Frauenkirche. Hauptanliegen war, das Geld für den ganz nach modernsten Gesichtspunkten durchzuführenden Wiederaufbau zusammenzubringen. Und da gab es so viele Initiativen, dass man den Kraftakt des Wiederaufbaus wagen konnte: Benefizkonzerte, Großspenden potenter Gönner, Sammelaktionen, Bildung von Unterstützervereinen, aber zum Beispiel auch Einzelinitiativen wie die eines Mannes, der jahrelang vor der Münchner Frauenkirche mit einer Spendenbüchse für die Dresdner Schwesterkirche sammelte.
Wiederaufbau
Bevor es losging, musste man eine grundsätzliche Entscheidung fällen: Sollte – wie es die moderne Philosophie des Denkmalschutzes eigentlich forderte – die Ruine lediglich vor weiterem Verfall bewahrt, aber in ihrem durch die Geschichte geformten Dasein akzeptiert werden, oder sollte die Kirche neu gebaut werden, was dem Betrachter ja nur vorgaukelt, er stehe vor einer barocken Kirche, während es sich eigentlich um ein Werk des 21. Jahrhunderts handelt? Dem offiziellen Verein, der inzwischen zur Koordination des Wiederaufbaus gegründet worden war, wurde schnell klar, dass all jene, die sich in selbstloser Weise für die Frauenkirche einsetzten, diese natürlich nicht als Ruine, sondern als benützbare Kirche sehen wollten, und daher fiel der Beschluss auch für den Wiederaufbau. Es sollte eine Kirche entstehen, die mehreren Zwecken dient: Sie sollte als Gotteshaus, als Konzertsaal, als Sehenswürdigkeit, als Museum (in der Krypta) und als Mahnmal dienen.
Sehr günstig für den Wiederaufbau war nun, dass für die vielen Renovierungen jeweils genaue Pläne und Zeichnungen bzw. Fotos angefertigt wurden, die wie durch ein Wunder im Keller der Kirche erhalten geblieben waren. Auf diesem Material konnte man aufbauen.
Steinpuzzle
Schon 1990 begannen die konkreten Planungen des Wiederaufbaus, für den ja zunächst einmal eine passende Vorgangsweise erfunden werden musste, da es vergleichbare Bauaufgaben bisher nicht gegeben hatte. Berühmt ist dann die genaue Bestandsaufnahme und Katalogisierung der noch vorhandenen Steine, die wie Teile eines Puzzles ihrem ehemaligen „Einbau-Ort“ zugeordnet werden mussten. Wo es sinnvoll möglich war, sollten die alten Steine ja in den neuen Bau integriert werden. Innerhalb von 17 Monaten wurden 22000 m3 Schutt abgetragen und wissenschaftlich ausgewertet (S. 91). Von 1995 bis 2005 wurde dann die Kirche wieder aufgebaut und mit Inneneinrichtung und Bemalung versehen. Man hielt sich, wo sie sich bewährt hatte, an Bährs Bauweise, verwendete aber besseren Sandstein und verstärkte die Kuppel mit einem hochmodernen „Stahlband“, sodass der Schub nach außen abgemildert ist. Unter dem Platz rund um die Kirche befinden sich moderne Zubauten, nämlich Technikräume und Künstlerzimmer, die für Konzerte gebraucht werden. Außerdem wurde als modernes Einsprengsel ein Lift eingebaut, damit die Touristen bequem zur Kuppel hinaufgelangen konnten, von wo dann der schon von Bähr stammende spiralförmig bis zur Laterne nach oben führende Umgang zwischen den beiden Schalen der Außenkuppel beginnt. Die Bestuhlung auf den Emporen ist etwas geräumiger als im Original und die Kirche ist modern klimatisiert.
Versöhnungszeichen
Als Zeichen der Aussöhnung zwischen den einstigen Feinden fertigte der Sohn eines der britischen Bomberpiloten das 4 Meter hohe goldene Kreuz, das samt dem Laternendach am 22. Juni 2004 von einem Kran an die Spitze der Kirche gesetzt wurde. Das alte Kreuz steht dafür so deformiert, wie es im Schutt gefunden wurde, im Inneren der Kirche.
Zu all diesen Informationen bietet das Buch auch viele sehr schöne und instruktive Bilder, sodass man wirklich aufs Angenehmste belehrt wird.
Es gibt auch eine englischsprachige Version, die allerdings statt 9.- Euro 16.- kostet.
Andreas Friedrich (Text), Jörg Schöner (Fotos): Die Frauenkirche zu Dresden. Geschichte und Wiederaufbau. Michel Sandstein Verlag, Dresden, 2. Aufl. 2006. 131 Seiten.
Bild: Wolfgang Krisai: Die Frauenkirche in Dresden. Tuschestift, Buntstift, 2015.