Ich habe die große und gute Aufgabe, im Sommer mit vielen hundert jungen Menschen aus verschiedenen Jugendverbänden und -Organisationen die Gedenkstätten Auschwitz und Auschwitz-Birkenau zu besichtigen. Damit die Fahrt gut gelingen kann, ist viel zu tun. Die folgenden Zeilen sind mein persönlicher Reisebericht vom Vorbereitungswochenende, das jetzt gerade, ziemlich genau 70 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers durch die Rote Armee, in Oświęcim stattfand. Ich freue mich über Rückmeldungen und Nachfragen.
Mittwoch, 28.01.2015
Ich sitze im RegionalExpress nach Duisburg. Von dort wird ein Bulli mit sieben anderen TeamerInnen nach Polen fahren. Wir hatten im Vorfeld beschlossen, die Fahrt in die Nacht vorzuverlegen. Am Nachmittag hatte ich versucht, ein Stündchen vorzuschlafen, mit mäßigem Erfolg. Ob es der Kaffee auf der Arbeit war oder doch die Aufregung, ich weiß es nicht.
Ich fühle mich gut vorbereitet. Nicht nur die Last-Minute-Winterkleidung, die ich noch besorgt hab, die Reserveakkus für Kamera und Telefon und der Proviant geben mir ein gutes Gefühl, sondern auch die Tatsache, dass ich die Gedenkstätte, das ehemalige deutsche Konzentrationslager, schon einmal besucht habe. Damals war ich mir sicher, nochmal an diesen Ort des Grauens, der Erinnerung und des Gedenkens zurückzukehren. Jetzt ist es soweit.
Donnerstag, 29.01.2015, 7:50 Uhr
Irgendwo vor Katowice müssten wir jetzt sein. Ganz genau habe ich das nicht mitbekommen. Die Fahrer rotieren fleißig, aber trotz Energydrinks kommt man nach so langer Strecke an seine Grenzen. Achja, Grenze: die habe ich gar nicht bemerkt. Im Jahr 1999 hat noch ein schwer bewaffneter Trupp Grenzpolizisten rabiat an unser Schlafwagenabteil geklopft und alle verschlafenen Gesichter mit den Reisepässen abgeglichen; heute merkt man nur, dass die Straßenschilder ein anderes Layout haben.
Inzwischen habe ich den DeLuxe-Platz im Bulli eingenommen: letzte Reihe, aber kein Sitz vor mir. Endlich Beinfreiheit. Da es seit einiger Zeit dämmert, sieht man jetzt auch mehr von der Landschaft. Es liegt Schnee, die Straßen waren aber durchgehend in Ordnung.
10.38 Uhr
Es gab Zimmer und Frühstück! Mit mehr konnte man nun wirklich nicht rechnen. Hungrig war ich nicht, aber der Kaffee tat gut. Die zweite gute Nachricht: WiFi-Zugang für alle!
Doch dann der erste Rückschlag. Beim Einschalten der Spiegelreflexkamera kam die Meldung “Keine Speicherkarte”, obwohl eine SD-Karte eingelegt war. Auch die beiden Reservekarten wurden nicht erkannt. So eine Kacke. Letztes Wochenende war ich mit leerem Akku unterwegs, diesmal sollte es an der Karte scheitern? Ich hab dann mal die inzwischen recht alte Eos auf Werkseinstellungen zurückgesetzt, den Akku rausgenommen und jetzt geht’s. Nachricht in die Heimat hab ich auch schon geschickt, es sollte sich also herumgesprochen haben, dass wir gut angekommen sind. Einige Leute vom Orga-Team sind auch schon da, einige kommen nach.
Freitag, 30.01.2015, 0:38 Uhr
Es herrschte Unruhe. Viel zu viele Dinge mussten noch geklärt werden, die Anreise steckte den meisten in den Knochen und auch inhaltlich wollten wir einsteigen. Es erfordert schon Konzentration zwischen Fragen zum nächsten Vorbereitungsseminar, dem Besichtigungstag morgen früh und den Nachwirkungen der Anreise zu jonglieren. Mein persönliches Wohlbefinden hat sich mit dem Tausch diverser Euros in Zloty und dem Erwerb eines Sechserträgers Wassers “Gazowana” deutlich verbessert. Ich darf zudem mit netten und kompetenten Menschen zusammenarbeiten, die sich der Verantwortung, eine Gedenkstättenfahrt für 1000 junge Menschen zu stemmen, bewusst sind. Allen Beteiligten dafür vielen Dank!
7:11 Uhr
Gleich gibt es Frühstück. Zum Glück mit einem süßen Brotaufstrich auf Haselnuss-Kakao-Basis.
Mir ist jetzt schon warm, obwohl ich noch lange nicht alle geplanten Kleidungsstücke angezogen habe. Die Investitionen vom Mittwoch scheinen sich also gelohnt zu haben. Blöd nur, dass laut Wetterbericht das größere Problem eher Regen sein wird. Die -10°C kommen erst morgen. Man darf keine größeren Taschen mit auf das Gelände der Gedenkstätte nehmen. Ich beschränke mich also gleich auf eine kleine Wasserflasche und meine Kamera.
18:16 Uhr
Was ein Tag. Die meisten Leute sitzen noch beim Abendessen, während ich nach einem schnellen Happen die Zeit nutze, um die Eindrücke festzuhalten. Und das ist gar nicht so leicht. Im Konzentrationslager ereignete sich soviel Grausamkeit, das während der Führung heute Morgen irgendwann der Punkt erreicht war, das ich die Dinge nur noch zur Kenntnis genommen habe, sie mich aber nicht mehr schockierten. Die schiere Menge an Informationen und Details zu perfidesten Methoden, Millionen Menschen möglichst großes Leid zuzufügen, überfordert leider. Ich hatte das Glück, nicht unvorbereitet durch die Gedenkstätte zu gehen, aber die Verarbeitung wird ihre Zeit brauchen.
Doch zum Ablauf des heutigen Besuches: Zunächst führen wir zum Stammlager. Das Stammlager ist der kleinere Komplex, der vor allem durch das Eingangstor mit dem zynischen Schriftzug “Arbeit macht frei” bekannt wurde. Die Einlasskontrollen waren beeindruckend gründlich. Dann ging es durch eben jenes Tor ins Lager. In den verschiedenen Blocks, zweistöckigen Steinbauten, sind die Abläufe im Lager dargestellt und viele, sehr viele Alltagsgegenstände der Opfer zu sehen. Wir besichtigten den Todesblock, die Wand, an der viele Menschen erschossen wurden, ein Krematorium und erfahren viel über die Entstehung des Lagers, die Herkunft der Opfer und die Grausamkeiten der Täter. Immer wieder erstaunt und verstört mich die organisatorische Präzision der Massenvernichtung durch die Deutschen. Die Täter haben an alles gedacht und im Laufe der Geschichte des Holocaust die Effizienz der Ausbeutung und Vernichtung immer weiter gesteigert. “Das Menschen dazu in der Lage sind”, ist für mich ein Angelpunkt in der Gedenkarbeit. In einer der neueren Ausstellungen steht ein Spruch an der Wand: “It happened, therefore it can happen again: this is the core of what we have to say.” (Primo Levi, Schriftsteller und Überlebender des Holocaust).
Mit dem Bus fahren wir dann um 12.00 Uhr ins nahegelegene Lager Auschwitz-Birkenau. Hier, das weiß ich, beeindrucken nicht die Exponate oder Räume, sondern die enorme Größe des Areals. Ich weiß nicht, wie viele Kilometer Stacheldraht ich heute gesehen habe, wie viele Wachtürme im engen Abstand das Gelände umgeben, wie viele Fundamente von Baracken ich im Schnee sah.
Traurig macht mich auch, das viele Baracken, die ich beim letzten Besuch noch betreten durfte, inzwischen gesperrt wurden, weil sie einsturzgefährdet sind. Ich bin der Meinung, das dieser Ort unbedingt erhalten werden muss und zwar so umfassend wie möglich.
Es ist schwierig, den Ort zu beschreiben, aber ein Detail möchte ich gerne festhalten: Die Einrichtungen und Gebäude und das Personal (natürlich nicht die Häftlinge) des Lagers waren versichert. Bei der Allianz. Eine Auflage der Versicherung war das Anlegen eines Löschteichs. Mitten im Lager ist dieser heute noch zu sehen. Alles hat seine Ordnung. Irgendwo habe ich gelesen: “Wenn ein Deutscher die Wahl zwischen Unrecht und Unordnung hat, wählt er immer das Unrecht”. Es scheint hier überall zu stimmen.
Die Kälte ist zunächst nicht so schlimm wie angekündigt. Allerdings setzt irgendwann heftiger Regen ein. Nach einer kurzen gemeinsamen Gedenkzeremonie wird aus dem Regen Schneeregen. Die letzte Stunde unseres Aufenthalts ist geprägt vom Warten im Regen und Schnee. Das ist kräftezehrend.
Zurück in der Begegnungsstätte gibt es zum Glück heiße Getränke. Wir tauschen unsere Eindrücke aus und überlegen, welche Dinge wir aufgrund unserer Erfahrungen für die Fahrt im Sommer beachten müssen.
Samstag, 31.01.2015, 8:54 Uhr
Wir konnten gestern in lockerer Runde noch viele Dinge besprechen. Auch die ganz persönlichen Eindrücke. Das tat gut, denn leider geht viel Zeit dafür drauf, die ganzen organisatorischen Fragen zu besprechen. Heute werden wir uns um das Programm des Vorbereitungswochenendes kümmern. Es ist eine ganz wichtige Sache, dass wir die Teilnehmenden gut vorbereiten und dafür haben wir schon gute Ideen, die jetzt mit Methoden konkretisiert werden müssen.
12:52 Uhr
Mittagspause. Wir haben viel geschafft. Das Raster der Vorbereitungsseminare steht bereits und jetzt sind noch Details zu klären. Inzwischen richten sich schon viele Gedanken an die Rückfahrt. Wir wollen frühstmöglich aufbrechen, damit alle gut von Duisburg nach Hause kommen. Sehr schade eigentlich, denn mit vielen Leuten hätte ich auch gerne länger gearbeitet und zu tun gab es auch genug. Andererseits könnte ich auch gut mein eigenes Bett gebrauchen. Und das Ernährungskonzept der Begegnungsstätte hat jetzt auch nicht so viele Überschneidungen mit meinem Speiseplan. Man setzt hier gerne Akzente mit Kohl und Gurken, nicht gerade meine Lieblingsgeschmäcker.
Wir wissen auch immer noch nicht, was wir gerade gegessen haben. Die Meinungen schwanken zwischen Reis und Grütze, Hirse und Graupen. Es war jedenfalls genießbar. Und zum Nachtisch gab es Kuchen, der geht immer.
19:56 Uhr
Alles erledigt! Die grundlegenden Pläne sind geschmiedet und die Aufgaben sind verteilt. Jetzt muss das Orga-Team noch die letzten Rückmeldungen einpflegen und wir haben ein Programm, dass den vielen Wünschen gerecht wird. Mich beruhigt dies sehr, denn ich möchte meine Gruppe so gut wie möglich vorbereiten, damit sie Erfahrungen machen, aus denen weiteres Engagement erwächst. Und das geht nicht, wenn die Eindrücke der Gedenkstätte überwältigen. Ich möchte viel mehr einladen, über historische Erfahrungen dazu zu kommen, über Erinnern und Gedenken nachzudenken, damit wir alle als Zeugen unserer Generation dafür sorgen, dass Auschwitz nie wieder sei.
Der Eingang zum Stammlager Auschwitz I.
Der Appellplatz im Stammlager und einige Häftlingsblöcke.
Das Hab und Gut der Menschen wurde Ihnen als erstes genommen. Die beschrifteten Koffer sind Teil der Ausstellung.
Stacheldraht begrenzt alles.
Die Todeswand im Stammlager, an der die SS unzählige Menschen erschoss.
Der Zaun war elektrisch geladen. Hier eine Aufnahme aus Auschwitz-Birkenau.
Wachturm und Zäune in Auschwitz-Birkenau.
Die Rampe in Auschwitz-Birkenau, an der die Selektionen nach der Ankunft über das unmittelbare Schicksal entschieden. Das bekannte Eingangsgebäude ist anlässlich der Gedenkfeier von einem Zelt verhüllt.
Eine der neueren Ausstellungen zeigt Fotos aus dem Leben der Menschen, aus dem sie durch die Nazis brutal herausgerissen wurden.
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