Am 29. Mai wurde die Ausstellung „Am Grundstein der Demokratie. Die Revolution 1848 und der Friedhof der Märzgefallenen“ im Volkspark Friedrichshain eröffnet. Erstmals in Berlin existiert nun ein Gedenkort, der die Ereignisse rund um das Jahr 1848 aufarbeitet. 48 spielt in der Geschichtsschreibung eine besondere Rolle: Der deutsche Michel gilt gemeinhin als obrigkeitstreu und wenig aufbegehrend. Autoren wie Heinrich Mann hat in seinem Roman „Der Untertan“ diese Eigenschaft meisterhaft beschrieben. Und die Diktaturen in Deutschland im 20. Jahrhundert haben dann bewiesen, wie weit man es mit willfährigen, vorauseilend gehorsamen Bürgern treiben kann. 1848 ist demgegenüber ein völlig anderes Symbol, eins, das zeigt, dass es in Deutschland offensichtlich auch andere Traditionen gibt. 1848 fand die erste Revolution auf deutschem Boden für mehr Demokratie und soziale Gerechtigkeit statt. In Berlin hatte diese Bewegung eines der Zentren.
Viele Jahre engagierten sich die Mitglieder des Paul-Singer-Vereins, um den historischen Friedhof der Märzgefallenen im Friedrichshain zu renovieren und eine Ausstellung auf dem Friedhofsgelände zu eröffnen. Mit der Eröffnung im Frühjahr hat der Verein sein großes Ziel erreicht – mit Hilfe vieler Unterstützer. Die Projektleiterin und Geschäftsführerin des Vereins, Dr. Susanne Kitschun, hebt besonders die Stiftung Klassenlotterie Berlin hervor, die die Ausstellung und die bauliche Gestaltung finanziert, die Betriebskosten für zweieinhalb Jahre übernommen hat und damit den Grundstein für eine nationale Gedenkstätte gelegt hat.
Betritt man das Areal vor dem Friedhof, sticht zunächst der Ausstellungspavillon ins Auge. Er besteht aus zwei ehemaligen Seecontainern, die von einer Hamburger Firma für das Projekt bereitgestellt wurden. Im Pavillon wird die Geschichte der Berliner Märzrevolution im europäischen Kontext dargestellt. Die Ausstellung ist innovativ gestaltet und insgesamt gut gelungen: Neben großen Infotafeln, liefert die Ausstellung viele vertiefende Informationen. Der Geist der Revolution und des Aufstandes weht hier in den Containern: Auf Transparenten werden die Losungen und Parolen der 48er-Revolution dargestellt. Die „Helden“ dieser Revolution begegnen den Besuchern als Farbdrucke auf originellen Stoffbeuteln. Als Hingucker erweisen sich auch die „Revolutionsbuttons“. Auf diesen Ansteckern finden sich zentrale Forderungen der Revolutionäre, wie „Gleichberechtigung“, „Religionsfreiheit“ oder „Toleranz“. Für Besucher und insbesondere für Schulklassen besteht sogar die Möglichkeit, sich eigene Buttons zu erstellen. Die 48er-Revolution auf Bannern, Buttons, Jutebeuteln – so macht man Geschichte anschlussfähig für die Popkultur. Das mag nicht jedermans Geschmack sein, aber eröffnet einen sympathisch einfachen und direkten Zugang zur Thematik. Ausstellungspädagogisch ist die insgesamt multimediale Inszenierung des Themas im Container sehr gelungen und das Ausstellungsdesign animierend.
Zur Ausstellung gibt es einen Audioguide, der zusätzliche biographische Informationen aber auch Originaltexte wie die Ansprachen bei der Trauerfeier vom 22. März 1848 und Ausschnitte aus den Festreden zur Hundertjahrfeier von 1948 bietet.
Neben dem Container wartet auf Besucher das historische Friedhofsgelände, auf dem Aufständische der Barrikadenkämpfe von 1848 begraben worden sind. Es sind Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung gewesen, die hier Seite an Seite liegen. Auf dem Friedhofsgelände selbst dokumentiert eine um den zentralen Gedenkstein errichtete Rotunde von Ausstellungstafeln die Geschichte der Begräbnisstätte.
Einer Revolution zu gedenken, die die Abschaffung des geltenden politischen Systems zum Ziel hatte, ist mutig. Dass die öffentliche Hand und öffentlich-rechtliche Geldgeber hinter dem Projekt stehen, stimmt optimistisch. Es spricht für eine offene Geschichtskultur. Das war nicht immer so. Die Tatsache, dass mit der Einweihung der Ausstellung erst relativ spät an die Wurzeln der Demokratie in Deutschland erinnert wird, hat auch damit zu tun, dass Revoluzzer in Deutschland nie besonders gut gelitten waren. In der Kaiserzeit war das deutlich, da wurde der Friedhof von der Polizei ständig überwacht, schließlich kamen hier immer wieder suspekte Personen vorbei, um den Aufständischen zu gedenken. Auf geheimen Fotos der Sicherheitskräfte finden sich über die fotografierten Personen auch Vermerke. So zeigt ein Foto einen Mann, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Friedhof aufsucht und bezichtigt wurde, dass er einen „Anarchistenkranz“ niederlegen wollte. Diese Zeiten sind heute vorbei.
Fertiggestellt ist die Gedenkstätte noch nicht – aber das kann heute problemlos konzeptionalisiert werden. So verstehen auch die Ausstellungsleiter die Ausstellung als noch nicht abgeschlossen, sondern vielmehr im Werden begriffen. Das Unfertige hat etwas Einladendes. Das Werdende ist Ausdruck von Diskursivität. Projektleiterin Kitschun möchte damit einen „möglichst niedrigschwelligen Zugang“ gewähren, also so viele Anregungen wie möglich diskutieren und die Facetten der Ausstellung erweitern. So wird aus einer Ausstellung ein lernendes Museum.
Vor allem auf die Resonanz der Besucher wird es aber ankommen, damit die derzeit temporäre Ausstellung in Zukunft dauerhaft finanziell abgesichert wird. Dieser Aufgabe sieht Kitschun sehr positiv entgegen und würdigt dabei die besondere Stellung der Revolution von 1848, die es leichter mache, Schüler für Demokratie zu gewinnen. 48 ist eine selbst erwirkte Revolution. Sie sollte ähnlich positiv konnotiert werden wie 1989. Dass Demokratie nichts nach 1945 von den Amerikanern Auferlegtes ist, man hier an authentischem Ort Demokratietraditionen ohne den Gedanken der Kollektivschuld diskutieren kann, ist einer der großen Vorteile dieser Ausstellung. (Text: Wolf-Rüdiger Knoll)
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