Analog Love – Ein Kommentar

Erstellt am 16. Mai 2011 von Denis Sasse @filmtogo

Er ist der wichtigste, und markanteste Raum in einem Kino: der Vorführraum. Man erkennt ihn sofort an den Geräuschen, die dort herrschen; ein zuckendes Rattern erfüllt die Atmosphäre. Oder besser: erfüllte. Denn die großen, lauten Filmprojektoren sind stark vom Aussterben bedroht. Ersetzt werden sie durch vor sich hinrauschende Festplatten-Projektoren. Ein Lüftungsgeräusch, ähnlich dem eines übergroßen Computers, wird nun durch die Vorführräume tönen. Diese Veränderung der Geräuschkulisse ist aber nur eine Begleiterscheinung der Digitalisierung der Kinos. Über die Vorteile möchte ich jetzt nicht sprechen, die ganze Welt spricht ja davon. Bessere Ton-und Bildqualität, weniger Verschleiß, weniger Kosten, erleichterte Handhabung und so weiter.

Und natürlich, der Auslöser und der Grund für dieses massive, digitale Umrüsten: die Ermöglichung der 3D-Technik. Mit Avatar begann der Hype. Alle Welt war sich auf einmal darüber einig, dass 3D-Filme die Zukunft des Kinos sind. Eine völlig neue, angeblich lang vermisste Form des Films wurde ermöglicht. Dass bei 90% der Filme, die in 3D erscheinen, aber auch auf diesen mehrdimensionalen Effekt verzichtet hätte werden können, scheint offensichtlich niemanden zu interessieren. Oft gewinnen die Filme nicht an Qualität durch diesen Effekt, sondern wirken nur noch effekthaschender als ohnehin schon. Denn Filme die in normal schon schlecht sind, werden durch dreidimensional auch nicht besser.

Es gibt auch noch weitere Nachteile der digitalen Umrüstung: Zunächst mal rein technisch: wieviele Leute sind schon in der Lage einen Festplatten-Kino-Projektor von der Größe eines Koffers zu reparieren? Sicher nicht annährend soviele, wie die, die einen klobigen, mechanisch-funktionierenden Projektor von der Größe eines Kleiderschrankes zu reparieren verstehen. Spezialtechniker werden benötigt und die sind rar gesät. Und sie selbst kennen auch noch nicht alle Fehler, die bei der neuen Technik auftreten können. Die Filmvorführer in den Kinos werden keine Filmvorführenden Aufgaben mehr haben. Reperaturarbeiten verkommen zu einem Ratespiel.

Mit den alten Filmprojektoren ist man einen sauberen Deal eingegangen. Eine klare Sache. Es gab einen zu lernenden Ablauf. Zusammen mit dem riesigen und lauten Projektor saß man in einem gefühlt 50 Grad warmen Vorführraum und kämpfte gemeinsam darum, nicht zu schmelzen. Klar, das war nicht schön, aber es war ein erlernbares Handwerk. Von Filmvorführer zu Filmvorführer weitergegeben. Und man hatte das Gefühl, etwas zu leisten, etwas zu ermöglichen, für Menschen, die ins Kino gehen und einen Film schauen wollen.

Heute kann jeder DVDs zu Hause gucken. Und mit der Digitalisierung kann man das nicht nur zu Haus, sondern auch im Kino tun. Jeder Laie ist mit ein bisschen Übung in der Lage dazu, einen Festplatten-Projektor anzustellen. Und nein, das ist nichts Gutes. Denn: Die Menschen werden verlernen, wie man Filmrollen zusammenklebt, einen Film einlegt, alles richtig am Projektor einstellt um sich dann am monotonen Rattern des Malteserkreuz-Getriebes zu erfreuen. Stattdessen: Festplatte rein, an und los. Wofür geht man dann noch ins Kino, wenn sämtliches Kinoflair flöten geht? Keine kleinen Fussel und Streifen mehr auf dem Bild, kein Ton-Knacken, stattdessen völlig sterile Perfektion ohne Abnutzungserscheinungen, gesättigte Digital-Farben statt sepia-eingefärbter Tönungen.

Klar, grade diese Argumente werden von vielen als die großen Vorteile von digitalen Filmkopien betrachtet. Und sicher wird das sowohl die Filmschaffenden und die Verleiher, als auch die Kinogänger freuen. Auch ist es nun theoretisch möglich, dass allen Filme-Machern ein Weg ins Kino ermöglicht wird. Es gibt keine teuren Entwicklungskosten für den Film mehr und keine noch teureren Kosten für die analogen Kopien. Ob denn aber in der Praxis tatsächlich auch die kleinen no-name Produktionen, Laien-Filme oder andere nicht-Blockbuster einen Weg in die großen, öffentlichen Kinos finden, bleibt sehr fraglich.

Die digitale Umstellung der gesamten Filmindustrie bietet in der Tat viele Vorteile und noch mehr neue Möglichkeiten. Das kann man nicht leugnen und auch nicht die Augen davor verschließen. Aber werden diese neuen Möglichkeiten auch genutzt werden? Oder wird sich die Kinolandschaft nur noch mehr auf Effekte, Oberflächlichkeit und Profit ausrichten?

Am Ende kommt es noch soweit, dass es bald Selbstbedienungs-Nasch und Knabber-Theken in den Kinos gibt. Oder Automaten. Damit ja nichts mehr von Menschen gemacht werden muss. Da kann man auch zu Hause bleiben, und sich auf seinem sterli-verzerrenden Plasmabildschirm-Fernseher steril-nachbearbeitet Blu-Rays angucken. Viel Spaß dabei…

Sarah Peters