Das Wehgeschrei ist nun schallend, weil die Spendenwilligkeit im Falle des pakistanischen Hochwassers nur sehr gering ausgeprägt ist. Auf generöse Zeiten wird verwiesen - auf die schlechten alten Zeiten, in denen noch freimütig gegeben wurde. Schlechte alte Zeiten, die für Spendensammler gute alte Zeiten waren. Damals wars, als ein Seebeben den Indischen Ozean überschwappen und die Länder der westlichen Hemisphäre großzügig spenden ließ. Besonders Thailand hat es der damaligen deutschen Berichterstattung angetan - so ein wundervolles, schönwettriges, mit allen Vorzügen der Natur gesegnetes Touristenparadies, jetzt unter Schlamm begraben: da könne man doch nicht nur zusehen! Da müsse man handeln! Etwas tun! Etwas spenden!
Und genau hier lag der Hund, naja, eher die schöne Urlaubserinnerung, unter Schlamm begraben: Thailand hatte etwas zu bieten. Strände, Wälder, prächtige Paläste, noch prächtigere Hotelanlagen, dazu noch nette, stets lächelnde Eingeborene, hilfsbereites Hotelpersonal, flinke Masseurinnen - und natürlich nicht zu vergessen, die eigentlichen Starlets jedes profunden Thailandurlaubs: transsexuelle Stricherinnen und Mädchenhuren. Und all das, mit Ausnahme von Wäldern und historischen Prunkbauten vielleicht, wurde entschädigt und wiederaufgebaut. Touristenherz was willst du mehr! Ob nun Fischer Somchais Hütte oder Zimmermädchen Panyas Küche instandgesetzt wurde, war weniger bedeutungsvoll. Denn strömten erst wieder Touristen an siamesische Gestade, würden auch Hütten, Küchen, Fischerboote wieder aus dem Schlamm geschält: mit freundlichen Grüßen von Adam Smith! Denn so wirkt seine unsichtbare Hand...
Pakistan krankt nicht alleine an der Sintflut; es ist unpässlich, weil es an vorsintflutlicher Reputation leidet. Bettlägrig harrt man der Spenden, die nicht eintreffen wollen - wobei Bettlägrigkeit gerade das ist, was westliche Touristenlenden gerne spürten. Bettlägrig in wohligen Decken, bettlägrig entblättert, bettlägrig zwischen zwei Huren! Wer dergleichen garantiert, der sichert sich Spendenbereitschaft, wenn das Bettidyll einmal unter Wasser steht. Pakistan mangelt es an Mädchenhuren, an Transsexuellen, an gefügigen Sexgesinde - an Stränden und devot lächelndem All-inclusive-Personal natürlich auch. Ein mieses Image zeichnet die islamische Republik aus: Wüste, Dürre, bärtige Männer mit dunklem Teint, verschleierte Damen - so gewinnt man keine Freunde in einer genusssüchtigen Welt. Und obendrein ist man noch Atommacht! Nur: wo sind die Puffs? Die Peepshows? Man kann dort vielleicht dreizehnjährige Mädchen ehelichen - der einschlägige Tourist aus industriestaalichen Gefilden heiratet aber nicht; meist ist er das zuhause ohnehin schon. Er will keine Mädchen heiraten, er will sie... genau das!
Warum sollten Spendengalas das abendliche Schnitzel vermiesen? Was hätte der hiesige Bürger davon? Kann er in Pakistan urlauben? Faul am Strand flacken? Kann er dort seine sexuellen Neigungen befriedigen? Ausleben, was hier verboten ist? Nein, kann er nicht! Das ist es ja grad! Es war doch ein einwandfreies Arrangement, was die Industriestaaten mit dem Rest der Welt getroffen hatten. Die Leistungsträger dieser Erde würden ihre Urlaubsarmeen dorthin schicken, wo die Minderleister, ungerechterweise mit erlesen schönen Plätzchen von der Natur beschenkt, ihr Leben fristen. So würden sich auch jene einen Stellenwert schaffen, würden eine legitime Anstellung auf einem Erdenrund des Handels und der Geschäftemacherei einnehmen. Thailand hat das perfekt umgesetzt - und das gehörte seinerzeit belohnt. Dort konnten Sexurlaube gebucht werden, damit dem westlichen Gesellschaften ein Ventil geboten würde; allerlei Perversitäten waren irgendwo in Asien kanalisiert - und sind es mittlerweile wieder: Spenden sei dank! Aber natürlich sind nicht alle Gäste so - aber alle kennen wir welche, die von geilen Thaimietzen nur so schwärmen!
Sicher, man spendet, weil man Menschen in Not helfen möchte. Das ist die oberflächliche Definition von Spendenbereitschaft. Aber man ist um so vieles bereiter, wenn der Empfänger sympathische Züge aufweist. Die Spende ist nie Selbstzweck, sie will Gegenleistung. Offiziell nicht; offiziell gilt die oben genannte Definition. Doch man geht mit mehr Freude ans Spendenwerk, wenn potenzielle Empfänger gute alte Urlaubsbekanntschaften sind, Orte und Menschen, die man kannte, die man kennen könnte, wenn man dort mal gewesen wäre - nur war man eben bislang nie in Thailand. Dafür in Kenia, in der Dominikanischen Republik - in den anderen Fernreisezielen, die sich so rührend um die deutschen Touristen kümmern. Um die europäischen Touristen generell - Houellebecq beschreibt in seinem Buch "Plattform" ja den französischen Touristen, der dem deutschen Exemplar derart aus dem Gesicht geschnitten scheint, dass man von einer europäischen Gattung sprechen muß, wenn nicht gar von einer westlichen Spezies, die auch über dem Nordatlantik heimisch ist. Für Thailand wurde nicht nur weitherzig gegeben, weil es des homo touristicus' Terrain war. Es war nur sein potenzielles Terrain - ein mögliches zukünftiges Ziel, eine asiatische Spielart seines sonstigen Urlaubsdomizils in Afrika oder in der Karibik.
Wie soll Pakistan da konkurrieren? Der Spendenmarkt ist begrenzt - es ist nicht für jeden ausreichend Freimütigkeit vorhanden. Will man dort erfolgreich sein, braucht es mehr als die pure Not: man braucht Hotelmeilen, devotes Personal, leidenschaftlich Orgasmen vortäuschende Huren - davon ist Pakistan meilenweit entfernt. Da ist man wahrlich noch vorsintflutlich! Und das mitten im Hochwasser! Man muß sich schon anstrengen, will man von den reichen Ländern der Erde Unterstützung; man muß etwas bieten können. Hunger und Obdachlosigkeit, Krankheit und Tod, Witwen und Waisen beunruhigen zwar: aber das alleine ist immer noch zu dürftig. Was, wenn morgen ein Elysium des Urlaubs im Elend versinkt? Was, wenn morgen Bali brennt oder Djerba versinkt? Dann hat man das schöne Spendengeld nach Pakistan verfrachtet und muß erdulden, dass für wahrlich nutzvollere Orte die Mittel knapp sind. Das kann der deutsche Spender, der gleichermaßen Tourist ist - sich wenigstens als solcher wähnen könnte, wenn er mal wieder mehr Geld hätte, um einer zu werden -, niemals verantworten.
Pakistan, so wie schon andere unattraktive Katastrophengebiete, muß zurückstehen - wäre man beliebtes Reiseziel: ja dann! Säumten Huren die Promenaden Karatschis: ja dann! Stünde nicht Moschee neben Koranschule neben Moschee, sondern Puff an Puff: ja dann! Träumte hierzulande mancher von flotten Dreiern oder Genitalmassagen auf pakistanischen Hotelzimmern: ja dann! Dann wäre die Spendenbereitschaft angefacht, dann gäbe es Galas, dann gäbe es prominente Fürsprecher... dann wäre Pakistan im Herzen der westlichen Welt angelangt.