An enormously sophisticated eye

Es gibt Kulturmomente, bei welchen ich extrem dankbar bin, für ein Medium zu arbeiten, das mir jene Freiheiten bietet, die für eine ausführliche Würdigung einer künstlerischen Position notwenig sind. Wären die European Cultural News einer bestimmten Ausrichtung verpflichtet, würde dieser Text völlig anders aussehen müssen, als er es hier tut. Eine Tageszeitung oder ein monatliches Kulturjournal muss an die Berichterstattung über die derzeitige Ausstellung im Haus der Verbund AG in Wien mit einem ganz anderen Fokus herangehen, als ich dies hier tun werde. So gut es geht, steht dort eine möglichst objektive Herangehensweise, eine möglichst objektive Berichterstattung über die Ausstellung Francesca Woodman am Programm und wird zusätzlich durch eine gewisse Dringlichkeit in der Abgabe des Textes begleitet. Ich kann hier auf jene nennenswerten Artikel verweisen, die bisher anlässlich dieses Geschehens veröffentlicht wurden, mit dem Vorteil, mich eben nicht dieser Objektivität unterordnen zu müssen und die Betrachtung über die Künstlerin Francesca Woodman aus einem sehr subjektiven Blickwinkel aus durchführen zu können. Zudem war es mir auch möglich, mich dem Studium des die Ausstellung begleitenden Kataloges zu widmen und mir auch den 2010 entstandenen Dokumentarfilm „The Woodmans“ anzusehen, um so noch intensiver in die Welt der Künstlerin einzutauchen. All diese Freiheiten habe ich mir ganz bewusst genommen, da Woodman eine jener seltenen Neuentdeckungen im Ausstellungsgeschehen darstellt welche auch Auswirkungen auf meine zukünftigen Betrachtungen bestimmter Kunstströmungen des 20. und 21. Jahrhunderts haben wird. Eine Ausnahmekünstlerin also, die ich zu einem Zeitpunkt entdecke, von welchem aus man nur mehr geschichtlich auf ihre Arbeit blicken kann.

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Vom Geheimtipp zum Star

Woodman, die erst in den letzten Jahren von einem amerikanischen Geheimtipp zu einer internationalen Größe avancierte, ist hierzulande vielen noch gänzlich unbekannt. In – und das soll an dieser Stelle hier explizit hervorgehoben werden – tatsächlich weitblickender Voraussicht hat Gabriele Schor, die Direktorin der Sammlung, von Ankaufsbeginn an beständig Arbeiten von Francesca Woodman erworben, sodass heute das Energieunternehmen zu jenen Institutionen gehört, welche die größte Sammlung an Arbeiten ihr Eigen nennen kann. Die Gelegenheit, nun die gesamte Sammlung der Verbund – 80 Werke sind es insgesamt – zu sehen, ist eine Großartige. Vor allem durch die Herausgabe der ersten deutschsprachigen Monographie, die anlässlich dieser Ausstellung verfasst wurde, wird sich ihr Bekanntheitsgrad sicher auch in Europa verstärken und das auch zu Recht. Vorweg ist anzumerken, dass Woodmans Werk innerhalb eines Zeitraumes von nur 8 Jahren zustande kam. Von ihrem ersten Foto aus dem Jahr 1973 bis zu ihrem letzten im Jahre 1981. Das Werk, das in Wien zu sehen ist, konzentriert sich hauptsächlich auf Woodmans Fotos, beinhaltet jedoch auch einige Videos. Ausgespart sind nur die allerletzten Arbeiten der Künstlerin, die in Farbe ausgeführt und in einem großen Format reproduziert wurden. Sonst jedoch findet sich quer durch die unterschiedlichen Themenschwerpunkte tatsächlich alles, was zu einem monographischen Überblick von Francesca Woodman notwendig ist.

Historische Bezüge im Werk von Woodmann

Die Bilder von Francesca Woodman weisen einige Charakteristika auf. Wie schon beschrieben, fast durchwegs in Schwarz-Weiß ausgeführt, sind sie auch beinahe alle in kleinen Formaten abgezogen. Das zwingt die Betrachtenden sehr nah an die Fotos heranzugehen und diese intensiv zu studieren. Manches Mal würde man ein Vergrößerungsglas benötigen, um all jene Details genau zu erkunden, die darauf zu erkennen sind. So kam es aufgrund der schweren Lesbarkeit auch schon zu falschen Interpretationen. Abigail Solomon-Godeau schreibt dazu, dass sie sich in der ersten Interpretation des Bildes „i could no longer play…“ getäuscht habe und ein Accessoire als „reptilartiges Objekt“ beschrieb, was sich bei genauem Hinsehen jedoch als Streifen von kleinen Portraitfotografien erwies. Dass alleine dieser Sehfehler größte Auswirkungen auf die Interpretation des Bildes hat, zeigt Gabriele Schor in ihrem Beitrag der Monographie auf. Darin geht sie unter anderen auch auf dieses Bild ein und beschreibt es als ein „Bündnis“ mit Michelangelo, da sowohl auf einem Ausschnitt des Jüngsten Gerichts in der Sixtina als auch in diesem Bild von Woodman ein Messer und ein bzw. mehrere Selbstportraits eine Rolle spielen, was bei näherer Betrachtung und Überlegung schlüssig erscheint. Mit dieser Interpretation, die auf historische Vorbilder Bezug nimmt, spricht Schor auch ein weiteres Charakteristikum an, das, wie sie ebenfalls richtig feststellt, offenbar bis heute in der Untersuchung zum Werk der Fotografin nicht ausreichend beleuchtet wurde. Die Tatsache nämlich, dass sie in vielen ihrer Bilder explizite Bezüge zu historischen Bildern aber auch antiken oder christlichen Überlieferungen abgegeben hat. Als weiteres Beispiel wird ein Portrait mit einer Venusmuschel, das Botticellis Geburt der Venus gegenübergestellt wird, angeführt. Die Abbildung, in der sie mit erhobenen und mit Rinden umwickelten Armen in einem Wald steht, verweist wiederum auf den griechischen Daphne-Mythos. Von Apoll verfolgt, ersuchte sie ihren Vater um Verwandlung, die ihr tatsächlich in Gestalt eines Baumes zuteil wurde. Interessant zu wissen, dass die Künstlerin sich zu jener Zeit auch von der Liebe ihres Geliebten verfolgt fühlte. Ein ausgezeichnetes Beispiel, wie sehr es Francesca Woodman gelang, ihr eigenes Erleben in einen kunsthistorischen Bezug einzubetten und daraus ein eigenes Werk mit einer Formensprache zu entwickeln, die dennoch nur von Menschen dechiffriert werden kann, deren Wissen und Bildung sich im gleichen kulturellen Kanon bewegen wie dem ihren. Die Samson-Legende, das Ecce-homo-Motiv, Kleopatras Tod, Leda mit dem Schwan und Caravaggios Narziss-Interpretation finden sich ebenfalls in Schors Untersuchungen, die auf diesem Gebiet höchst aufschlussreich sind. Interessant dabei ist, dass es sich nicht ausschließlich um weiblich besetzte Themen handelt, die Woodman in ihr Werk integrierte. Mit dem Ecce-homo-Motiv und jenem des Narziss sind es allgemein gültige psychologische Erscheinungen, die von beiden Geschlechtern nachempfunden werden können. Vor allem die narzisstische Interpretation lässt sich sehr schlüssig auf Woodman selbst übertragen. Ihr Vater äußerste dazu im Dokumentarfilm seine damaligen Bedenken bezüglich einer allzu obsessiven Beschäftigung seiner Tochter mit sich selbst, um dies jedoch kurz danach zu relativieren. In der Tat gibt es ein weiteres Charakteristikum, das in den Fotos von Woodman augenfällig ist. Die Tatsache, dass sie selbst auf den allermeisten Bildern auftaucht mag vielleicht auf den ersten Blick verblüffen. Ihre Argumentation, dass sie sich selbst als ihr eigenes Modell sah, zu dem der Zugang jederzeit möglich war, deckt sich mit vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern, wie dies zum Beispiel auch Arnulf Rainer zur gleichen Zeit tat. Auch er argumentierte die Aufnahme der Selbstportraits zuallererst im Fotoautomaten, dann zuhause mit Hilfe von Assistenten, dass dies einerseits aus finanziellen Gründen, andererseits auch aus der Idee heraus entstanden sei, nicht auf bereits von anderen Künstlern oder Fotografen vorgefertigtes Material zurückgreifen zu müssen, was auch mit Urheberrechtsproblemen einher gegangen wäre. Es sind also oft nicht nur künstlerische Überlegungen, die zur Ausführung eines Werkes in einer bestimmten Art und Weise drängen. Vieles, was Woodman im Kopf hatte, war für sie selbst sicherlich auch de facto leichter umzusetzen. Ihre penible Vorbereitung, bei der ohnehin jedes Attribut seinen bestimmten, unverrückbaren Platz hatte, konnte sich so auf das Anordnen von Gegenständen im Raum beschränken. Anweisungen zu ihrer eigenen Platzierung und ihrem eigenen Tun, mussten nicht umständlich ausgesprochen und erklärt werden.

Die feminine Sicht und Interpretation

Um noch einmal auf die Beschäftigung mit kunsthistorischen Vorbildern zurückzukommen, soll an dieser Stelle noch angeführt werden, dass es ein wenig befremdlich ist, dass die Bilderserie und das dazugehörige Video, in welchem sie den Boden des Ateliers mit Mehl bestäubte um sich dann reglos darauf zu legen und schließlich ihren eigenen Körperabdruck zu erhalten, meines Wissens bisher nicht mit Yves-Kleins Anthropometrien, die Ende der 50er Jahre entstanden waren, verglichen wurden. Das Bild, das sie dabei erzeugte, konnotiert extrem mit Kleins weiblichen Körperabdrücken. Die selbe Frage könnte man sich auch bei den Bildern „Portrait of a Reputation“ stellen, in welchen sie sich nackt, mit farbigen Abdrücken von Händen auf ihrer Brust und ihrer Scham präsentiert. Die Idee, die hinter der Abdruckaktion auf dem Boden des Ateliers steht, ist jedoch eine sehr selbstbezogene. Anders als bei Klein ist es die Künstlerin selbst, die Herr über ihren eigenen Körperabdruck ist. Eine Haltung, die sich auch in anderen Werken findet, in welchen der weibliche Körper ursprünglich von männlichen Kunstinterpretationen besetzt worden war. So zum Beispiel in jenem Foto, welches den Unterleib und die beiden Beine der jungen Frau zeigen, die von einem durchsichtigen Band einzeln fest umwickelt sind. Hans Bellmers „Unica Bound“ drängt sich hier automatisch als Vergleich auf. Ein Vorbild, das sich – wie einige andere auch – nicht auf eine jahrhundertelange Bildtradition bezieht, sondern auf ein fotografisches Werk des 20. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu Bellmers Sichtweise, die den Körper einer Frau mit einem sadistischen Blick als handlungsunfähig wiedergibt, verwendet Woodman auch hier nur das gleiche Attribut. Nicht einmal der Handschuh, den sie sich vor ihre Scham hält, erweckt in diesem Fall den Anschein von Laszivität. Nicht aus Leder oder Seide, sondern schlicht aus bunter Wolle gestrickt, vermittelt er andere Assoziationsketten als sexuell Verknüpfte. Auch in diesem Foto behält die Dargestellte ihre uneingeschränkte Aktionsfreiheit, was auf eine neue weibliche Sichtweise in Zusammenhang mit sexuellen Fetischen rückschließen lässt.

In einer Zeit tätig, in welcher eine Reihe von Frauen ihren eigenen Körper und ihre Sexualität als Motiv ihres künstlerischen Handelns entdeckten thematisiert Woodman einen scheinbar völlig ungezwungenen Zugang zu ihrer Nacktheit. Diese ist in den meisten Fällen mit einem Selbstverständnis aufgeladen, welches im Gegensatz zum männlichen Blick steht, der die nackte Frau an vorderster Stelle als Sexualobjekt verstanden wissen will. Francesca Woodmans Zugang ist ein anderer. Sie verwendet Nacktheit so selbstverständlich, wie sie es aus vielen musealen Kunstwerken einerseits her kennt, andererseits gelingt es ihr in einer sehr unprätentiösen Art und Weise ihren Körper in einen sinnhaften Bezug zu ihrer Umgebung zu setzen. Sei es in der Serie, in welcher sie am Strand, teils eingegraben liegt, sei es in ihrer „mirror“-Serie, in welcher sie trotz ihrer Nacktheit durch ihre Interaktion mit sich am Boden befindenden Spiegel mehr von der Bewegung als ihrer Nacktheit selbst sichtbar macht, was auch für die Reihe „self deceit“ gilt.

Woodman und die Kunstgeschichte

Einmal gefangen von der Idee, dass Woodman in ihren Bildern versteckte ikonographische Hinweise platziert hat, beginnt man unweigerlich, sich bestimmte Bilder von ihr auf eine kunsthistorisch genetische Relevanz zu untersuchen. Und tatsächlich drängen sich noch mehrere Vergleiche auf, bedenkt man, dass die Künstlerin Themen niemals nur nachstellte, sondern in eine eigene Formensprache und Uminterpretation goss. Einer ihrer stärksten Akte, der sie sitzend zeigt, die Hände auf die Oberschenkel gelegt, der Kopf nicht mehr am Bild sichtbar, weckt starke Empfindungen durch die sieben Wäscheklammern, mit denen sie ihren zarten Körper malträtiert. Die christliche Kunst kennt die Darstellung des Hl. Sebastian, einige der wichtigsten Bilder hierzu wurden von Andrea Mantegna gefertigt, an dem kein kunsthistorisch gebildeter Mensch vorbeikommt. Geht man einmal von der ein sexuell konnotierten Aussage des Fotos von Woodman ab, stellt sich unweigerlich die Frage nach der dahinter liegenden Metabotschaft. Was sie zeigt, ist ein schmerzhaftes Ereignis, dem sie offenkundig völlig ungerührt begegnet. Der aufgerichtete Leib, die ruhige Position der Hände und die entkrampfte Haltung ihrer Beine lassen keine Schmerzen erkennen unter denen sich die junge Frau krümmen könnte. Somit vermittelt diese Abbildung zweierlei Botschaften, die man sehr gut mit einer Beschreibung von Märtyrerdarstellungen von Adolf Holl wiedergeben kann, die er anlässlich einer Ausstellung in der Kunsthalle Wien über zeitgenössische Darstellungen des Hl. Sebastian tätigte: „Einerseits ist ein Märtyrer jemand, der wie Jesus für seine Überzeugung furchtlos mit seinem Leben einsteht. Auf der anderen Seite aber transportieren die Bilder der Märtyrer eine destruktive Mischung von Schmerz, Tod und Erotik.“ Woodmans Ungerührtheit, die keinerlei sexuellen Genuss aus der Behandlung erkennen lässt, weist eher auf die metaphorische Aussage, Schmerzen aufgrund eines Glaubensbekenntnisses erleiden zu müssen – und sei es auch aufgrund eines rein privaten Liebesbekenntnis. Es wäre lohnenswert, nicht nur diese Idee in einer näheren Untersuchung aufzugreifen, sondern auch einen Blick auf das Foto „About being my model“ zu werfen, in welchem eines der ältesten kunsthistorischen Motive eine fröhliche Auferstehung feiert – nämlich die Abbildung der drei Grazien. Auch hier zeigt sich, gesetzt den Fall, Woodman hatte tatsächlich dieses Motiv vorbildhaft im Kopf gehabt, dass es ihr mühelos gelingt, Aussagen, die ihre persönliche Situation betreffen, in ein ikonographisches Umfeld einzubetten, welches ihre Arbeit mit zusätzlichen Interpretationsebenen auflädt. Der Titel steht in einem vermeintlichen Widerspruch zur Abbildung von drei jungen Frauenkörpern, wird aber erklärlich, wenn man weiß, dass Woodman gerne mit Freundinnen zusammengearbeitet hat. Zwar war sie selbst ihr bevorzugtes Modell, benötigte jedoch für mehrere Werke noch andere Frauen, die auch bei der Betrachtung der Fotos oftmals für Woodman selbst gehalten wurden. Die Kunstgeschichte ist von der Antike an voll von Darstellungen der drei nackten jungen Mädchen, deren Symbolkraft nicht von der Erotik besetzt ist, sondern von der Freude und dem Genuss an den verschiedenen Künsten, wie Musik, Tanz, Malerei und Poesie. Aus dieser Perspektive betrachtet, verweist die Fotografin nicht nur auf ihre persönlichen künstlerischen Produktionsumstände und auf ihr immanentes Spiel mit An- und Abwesenheit, sondern auch auf eine kunsthistorische Verbindung, die sie formal aufnimmt und in ihren Darstellungskosmos einbindet. Kunsthistorisch untermauert sind diese letzten, von mir assoziierten Vergleiche selbstverständlich nicht. Dennoch war es mir ein Anliegen, darauf hinzuweisen schon aus der Tatsache, dass es immens großen Spaß macht, sich mit Woodmans Arbeiten über die derzeitige wissenschaftliche Erkenntnislage hinaus, zu befassen.

Zeitgeist und Werk

Woodman fertigte aber auch eine Reihe von Bildern, die klar erkennbare Parallelitäten zu vorher- oder beinahe gleichzeitig Entstandenen aufweisen, wobei sich die Untersuchungslage derzeit nicht eindeutig für oder gegen ein Kennen der Künstlerin dieser ähnlichen Positionen aussprechen kann. Zu nennen wäre hier Claude Cahun, deren Self-Portrait von 1932, liegend in einem Schrank stark an Woodmans Bild aus den Jahren 1975-78 erinnert. Weiters die Fotos der Amerikanerin Ana Mendieta in der „Glass on body imprints“-Serie, welche Woodman in ähnlicher Art vier Jahre später fertigte. Birgit Jürgenssens Fotos mit Masken wurden wiederum nach Woodmans Aufnahme „face“ angefertigt und sind von ihrem Geist her genauso wie die Arbeiten der Österreicherin Valie Export im feministischen Künstlerinnendiskurs der 70er und 80er Jahre angesiedelt. Die Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Werken mögen einerseits tatsächlich als direkte Zitat zu verstehen sein, andererseits lässt sich auch einiges mit einer zeitgeistigen Kunstströmung erklären, die, einmal begonnen, sich in vielen Ländern rasant verbreitete und dabei zu vergleichbaren Ergebnissen führte. Was allerdings dabei auffällt, ist die Tatsache, dass sich die junge Künstlerin explizit immer wieder mit der Arbeit von unterschiedlichen Künstlerinnen auseinandergesetzt hat und somit sehr früh ihren Standpunkt mit den von Kolleginnen verglichen oder Aussagen ihrer Kolleginnen in eigene Werke eingearbeitet oder umgedeutet hat. Diese Geisteshaltung zeigt, wie sehr sie sich nicht nur im historischen, sondern auch im zeitgenössischen Kontext in ein Kunstgeschehen eingebettet sah, von dem zu ihrer Zeit viele noch nicht einmal richtig Notiz nahmen. Dies hat wohl mit ihrer familiären Prägung zu tun. Beide Eltern waren und sind noch nach wie vor künstlerisch tätig und bestrebt, ihre Kinder von klein an an die Kunst heranzuführen. Francescas Bruder Charles erwähnte im Dokumentarfilm, dass es für ihn und seine Schwester nichts Selbstverständlicheres gab, als sich mit Kunst tag-täglich auseinanderzusetzen und ins eigene Leben zu integrieren.

Die für viele faszinierendste Serien, die Francisca Woodman schuf, betiteln sich grob mit „house“ oder „space“. In beiden spielt sie mit dem Phänomen der Absenz in der tatsächlichen Anwesenheit. Fotos mit Mehrfachbelichtungen suggerieren ein beinahe körperloses Wesen, das sich in Räumen aufhält, die oft von „schrägen“ Blickwinkeln aus fotografiert wurden, sodass sie wie aus den Fugen geraten erscheinen. Aufschlussreich verwies Elisabeth Bronfen bei der Ausstellungspräsentation darauf, dass diese Bilder, die im Englischen mit dem Attribut „gothic“ versehen werden, eine unglaubliche Anziehungskraft auf viele junge Mädchen und Frauen haben. In diesen Werken schlüpft Woodman in verschiedene Rollen, oftmals in Kostümen, die mehr an das 19. denn an das 20. Jahrhundert erinnern. Sie umhüllt ihren Leib in so geschickter Art und Weise, dass er schwer zu erkennen ist, oder schlüpft unter eine abblätternde Tapete, sodass man meint, sie entsteige der Wand dahinter in den Raum. Annabell Hirsch erläuterte dazu in einem Artikel aus dem Jahr 2012, der in der Weltkunst erschienen war und sich im Zeit Online Archiv findet, dass diese Bilder als Illustrationen von Schauerromanen wie „The Yellow Wallpaper” von Charlotte Perkins Gilman gelesen werden können und hat damit ein gewichtiges Argument gegen all jene Interpretationsansätze, welche diese Bilder als eine bewusste Vorwegnahme des physischen Verschwindens der Künstlerin deuten.

Sophisticated eye

Abgesehen von all den Vergleichen und Zuschreibungen, die das Werk von Francesca Woodman mit einer enormen Komplexität ausstatten, bleiben ihre Bilder schlicht ästhetische Meisterwerke. Es gibt darin kein Zuviel oder kein Zuwenig. Nichts, was nicht seinen rechten Platz gefunden hätte. Keine Anordnung von Requisiten, die unausgegoren erscheint und keine eingenommene Attitüde, die nicht betroffen macht oder zumindest die Betrachtenden in irgendeiner Art und Weise anspricht. Trotz aller sozialkritischen Bezugnahmen bleibt ihre Arbeit eine sehr persönliche, die ein hoch begabtes, fragiles und denkendes Wesen zeigt, welches ihr Leben ausschließlich der Kunst widmete. Ausgestattet mit einem „sophisticated eye“, wie es Catherine Chermayeff, eine Studienkollegen bezeichnete, schuf sie Bilder, die ohne Zweifel gerade dabei sind, in den Kanon der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts aufgenommen zu werden.

Wer weiterführende Hinweise auf das Leben von Francesca Woodman sucht, möge in den folgenden links fündig werden. Die Biografie wurde an dieser Stelle ganz bewusst weggelassen, um jenen Leserinnen und Lesern, die vielleicht das erste Mal über das Werk von Francesca Woodman lesen, jene Unvoreingenommenheit zu bieten, welche diese außergewöhnliche Arbeit tatsächlich auch verdient hat.

Die Ausstellung „Francesca Woodman. Werke aus der Sammlung Verbund“ ist noch bis zum 21. Mai in der Vertikalen Galerie Am Hof 6 in Wien zu sehen.

Links:


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