Ein Gedanke lässt Martin Suter seit etwa 10 Jahren nicht los: Dass es gentechnisch möglich sei, einen winzigen rosaroten Elefanten zu erzeugen. Er beginnt, Fachleute zu den Gefahren und zu den Chancen der Gentechnik zu befragen, erfährt Erstaunliches und findet ganz nebenbei die Inspiration zu einer neuen Geschichte. Dieser Geschichte. Und die ist alles andere als rosarot! Sie hat mich erschüttert und gleichzeitig total glücklich gemacht. Und, ganz klar – der kleine Elefant Saba hat mein Herz im Sturm erobert. Mein hundertprozentiges Mitgefühl allerdings auch.
Was ich an Suters Romanen so mag – sein Sprachstil ist sehr reduziert. Er beschreibt nicht seitenlang das Aussehen und den Charakter seiner Figuren, sondern er tut dies mit zwei oder drei Sätzen. Und sofort ist ein Bild da. Da ist beispielsweise Schoch: ehemaliger Investmentbanker, lebt seit 10 Jahren auf der Straße. In einer kleinen Höhle am Ufer der Limmat in Zürich. Er hat sich ein Stück Menschlichkeit bewahrt, trinkt jeden Morgen um 10 Uhr seinen Kaffee, geht duschen. Oder Valerie, 40-jährige Tierärztin, Vegetarierin, arbeitet ehrenamtlich für Straßentiere, hasst Genmanipulation und würde alles tun, um der Genindustrie zu schaden. Sie ist nicht auffällig hübsch, auf eine ganz besondere Art aber attraktiv. Schoch mag sie und ihre beherzte Art, sofort zu helfen, als es darum geht Saba, das Elefantenbaby zu beschützen. Dieses kleine Wesen mit seinen 2,5 Kilogramm Gewicht.
… besaß den Charme, die Tapsigkeit und die Anhänglichkeit aller Elefantenbabys. Nur dass sie viel, viel kleiner war. Und rosa. Und im Dunkeln leuchtete wie ein außerirdisches Wesen (S. 175).
Zugegeben, das klingt fast kitschig. Ein niedlicher leuchtender Elefant? Spätestens wenn der engagierte Gentechniker Roux in der Story auftaucht, ist klar, dass hier gar nichts niedlich ist. Denn Roux sieht – sollte das Projekt gelingen – in der Zukunft bereits Internationale Patente, Pressearbeit, Marktpositionierung. Gab es einen saudischen Prinzen, der seinen Kindern nicht gern einen kleinen leuchtenden rosaroten Elefanten schenken würde? Gab es einen Genforscher, der nicht begeistert gewesen wäre, seine Zellen in einer beliebigen Farbe leuchtend markieren zu können? Sein stiller Teilhaber war ein chinesisches Gentechnik-Unternehmen. Eines der Großen. Eines, das täglich massenweise Erbgut entschlüsselte. (S. 91).
Irgendwas läuft hier verdammt falsch, denke ich. Das klingt jetzt gerade schrecklich real. Ich wünschte, all die gegenwärtigen Forschungen zur Gentechnik und zum Erbgut würden Fortschritte in der Heilung von Aids, Krebs und Alzheimer bringen. Wozu Glowing animals? Es läuft mir eiskalt den Rücken runter, als ich im Internet diese Seite finde. Ohne Sinn!, würde Tschick sagen. Ich will das einfach nicht glauben, finde aber Bestätigung, als ich im Radio höre, dass es in China tatsächlich längst leuchtende Minischweine und Weißbüscheläffchen mit leuchtendem Fell gibt (Gespräch mit Thomas Böhm zum Buch von Martin Suter am 18.01.17 auf radioeins). Sinngemäß sagt Thomas Böhm weiter, das Spannende am Roman sei für ihn gewesen, wie Suter zeigt, dass alle Menschen von den Veränderungen der Gentechnik betroffen sein werden. Vom Elefantenflüsterer bis zum Obdachlosen. Um das Perfide dieser Forschungen klar zu zeigen, hätte Suter wahrscheinlich ganz bewusst ein so niedliches Tier wie den rosarot leuchtenden Elefanten wählt. Stimmt, denke ich, eine hellblau leuchtende Mini-Ratte hätte den Leser vielleicht weniger betroffen gemacht. Oder eine orange Hyäne. Doch die Geschichte Sabus kann einfach niemanden kalt lassen.
In ihr Schicksal verwickelt sind unzählige Personen. Manchmal sind sie mir zu klar in Gut und Böse geteilt, so wie Schoch, Kaung und Valerie auf der einen und der geldgierige Roux und sein chinesischer Partner auf der anderen Seite. Rasant erzählt und mitunter spannend wie ein guter Krimi, fesselt mich die Story dennoch auf besondere Weise. Außerdem berührt die Geschichte des Obdachlosen, dessen Leben sich dank Sabu ganz leise ändert und plötzlich wieder einen Sinn hat. Ganz besonders fasziniert mich aber die Story um den Burmesen Kaung, der das Elefantenmädchen anbetet und es Barisha nennt. Voller Ehrfurcht legt er ihr kleine Blumenkränze um den Hals, verehrt und beschützt sie wie eine Gottheit. Kaung ist ein Elefantenflüsterer, ein Ooozie. Hier bringt Suter die spirituelle Welt ins Spiel, wo Tiere noch heilig sind und verehrt werden, jenseits von Macht- und Geldgier. Für mich als Leser ist ganz klar, wo ich stehe. Zu absurd sind mir klein gezüchtete fluoreszierende Wesen. Und es beruhigt irgendwie, wenn Suter im Nachwort seine Tochter Ana um Verständnis bittet, dass er ihr nie einen kleinen lebenden rosa Elefanten schenken wird.
Martin Suter. Der Elefant. Diogenes Verlag. Zürich 2017.
348 Seiten. 24,- €