An einem Sontag in Belgrad

An einem Sontag in Belgrad

Der serbische Christopher Street Day konnte in diesem Jahr nicht stattfinden. Er wird auch als „Parade der Schande“ bezeichnet. Dass diese Schande aber nicht vonseiten der Homosexuellen, sondern vom Staat selbst fabriziert wird, indem er die Demonstration auf Druck der rechten und konservativen Kräfte  verbot, konnte die serbisch-orthodoxe Kirche nicht ahnen, als sie die Bezeichnung einführte. Schon seit ein paar Monaten bereist balkanjoe die Länder des Balkans und beobachtet dabei die Seele dieser Gesellschaften. Während er zuletzt von der aufstrebenden Streetart-Szene sowie der vitalen Volksfest-Kultur berichtete, beschäftigt er sich im Folgenden mit den negativen Folgen von „Freiheit“. Er erzählt das, was Mainstream-Medien entweder ignorieren oder so direkt gar nicht mitbekommen. Zum Beispiel, wie einfach das staatliche Gewaltmonopol in Bedrängnis gebracht werden kann. Oder Gesetze, Minderheitenrechte und die körperliche Unversehrtheit von Schwulen und Lesben. (Phire)

Es ist Sonntag, der 2. Oktober 2011 und in Belgrad strahlt die Sonne vom Himmel. Der beginnende Herbst zeigt sich von seiner goldenen Seite, Schäfchenwolken ziehen vorbei und der Wind weht leicht und angenehm. Die Szenerie scheint perfekt für einen Familienspaziergang, für turtelnde Pärchen und alte Herren, die Stadtpark- Schach spielen.

Nicht so an diesem Sonntag.

An diesem Sonntag ist Belgrad eine Stadt im Ausnahmezustand. An jeder Straßenecke und auf allen Plätzen sieht man Polizei und Spezialeinheiten des Innenministeriums. In voller Kampfmontur, mit Schildern und Schlagstöcken ausgerüstet, halten sie die Innenstadt besetzt, um jede Ansammlung von Menschen sofort aufzulösen.

An diesem Sonntag scheint die Polizei das Gesetz wortwörtlich auf der Straße zu verteidigen, doch dieser Eindruck ist falsch! Nicht die Polizei, sondern Hooligans, Neonazis und klerikal-faschistoide Gruppen diktieren an diesem Sonntag das Gesetzt auf den Straßen der serbischen Hauptstadt.

An diesem Sonntag sollte in Belgrad die „Belgrade Pride“, der serbische „Christopher Street Day“, abgehalten werden, doch von Demonstranten mit Regenbogenfahnen ist weit und breit nichts zu sehen.  Was ist passiert?

Rückblende: Im Jahr 2010 fand in Serbien, zum ersten Mal seit 10 Jahren, die Homosexuellenparade „Belgrade Pride“ statt. Während etwa 1.000 Teilnehmer für die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben demonstrierten, lieferten sich 5.000 Polizisten gewaltige Straßenschlachten mit geschätzten 10.000 Gegendemonstranten. Was man sich in Deutschland kaum vorstellen kann, wurde in Belgrad Wirklichkeit. Westliche Botschaften wurden angegriffen, Geschäfte und die Büros liberaler Parteien demoliert und Autos angezündet. Am Ende des Tages waren 150 Polizeibeamte zum Teil schwer verletzt und der Sachschaden belief sich auf eine Million Euro. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das Verbot der „Belgrade Pride“ 2011.

Zwei Tage vor dem geplanten Termin, dem 2.10.2011, wurde die Parade durch den serbischen Innenminister, Ivica Dacic, untersagt. Mit der Begründung, öffentliche Sicherheit und staatliches Eigentum seien gefährdet, wurde das Recht auf Versammlungsfreiheit, welches die serbische Verfassung ebenso garantiert wie z.B. das deutsche Grundgesetz, ausgehebelt. Diesem Verbot waren heftige Diskussionen vorausgegangen.

Wie ein Mantra hatte Goran Miletic, einer der Hauptorganisatoren der Parade, seine Forderung wiederholt, dass „die staatlichen Organe ihrer Arbeit tun, die Parade schützen und das Aussagen der Regierung zur EU-Integration und zur Übernahme von europäischen Werten, wie Toleranz und Meinungsfreiheit, nicht nur Lippenbekenntnisse sind.“

Dem gegenüber stand die Einschätzung der Polizei, dass angesichts der Geschehnisse 2010 der Schutz der Demonstranten nicht garantiert werden könne und die Parade unweigerlich mit Sachschäden, Verletzten und womöglich sogar Toten verbunden sein würde.

Die Diskussion tobte in den serbischen Medien hin und her. Konservative und rechtsgerichtete Organisationen beharrten darauf, dass Homosexualität eine Krankheit sei und dass der serbische Staat wahrlich andere Sorgen, wie z.B. Arbeitslosigkeit und Korruption, habe. Das Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche meldete sich zu Wort, erklärte die geplante Veranstaltung zur „Parade der Schande“ und rief zu kollektiven Gebeten für „Huren, Junkies und Schwule“ auf, damit diese von Gott bekehrt und auf den richtigen Weg zurückfinden würden.

Die Organisatoren der Parade, sowie linke Intellektuelle und NGO’s hielten gekonnt dagegen.

Jedes Fußballspiel oder der Besuch eines hohen Staatsgastes, wie zuletzt der von Angela Merkel, würde von einer vergleichbar hohen Zahl Polizisten geschützt und sei mit ähnlich hohen Kosten verbunden. Dennoch käme niemand auf die Idee, ein solches Spiel abzusagen oder EU-Politikern zu erklären, sie sollen bitte zu Hause bleiben.

Je näher der Termin der Parade rückte, desto mehr kippte die öffentliche Meinung zu Gunsten eines Verbotes. Die rechtsgerichtete Organisation Obraz kündigte massive Gegendemonstrationen an und als die Polizei schließlich ein Gruppe von Hooligans festnahm, die für den Tag der Parade einen Aktionsplan mit dem Namen „Belgrad in Flammen“ ausgearbeitet hatte, war das Verbot der Parade besiegelt.

An einem Sontag in Belgrad

Tatsächlich war die Begründung, Sicherheit und Eigentum seien gefährdet, also nicht ganz falsch, denn die Gefahr von Ausschreitungen und Straßenschlachten war real. Jedoch muss man sich fragen  warum. Warum können Schwule und Lesben in Serbien nicht friedlich für ihre Rechte demonstrieren?

Dass es in Serbien lebensgefährlich ist, schwul zu sein, liegt nicht zuletzt daran, dass die politischen Eliten des Landes seit Jahren nicht den Mut aufbringen, gegen Diskriminierung von sexuellen Minderheiten vorzugehen. Das Verbot der Parade war daher auch nicht nur eine Frage der Sicherheit, sondern vor allem eine politische Entscheidung und darin zeigt sich einmal mehr die Machtlosigkeit des serbischen Staates.

Spätestens seit 2010 wussten Polizei und Regierung sehr gut, welches Risiko von rechtsradikalen Kräften in Serbien ausgeht. Gegen diese Risiken vorzugehen, haben die staatlichen Organe  versäumt. Der Grund für dieses Versäumnis ist so einfach wie tragisch: Um ihre Wiederwahl zu sichern, müssen serbische Politiker Verstöße gegen nationales und internationales Recht zum Schutz von Minderheiten legitimieren. Ein Verbot der Parade war deshalb aus wahltaktischen Gründen angebracht, auch wenn es gegen geltendes Recht verstößt. Bedenklich an dem Verbot ist auch, dass mit dem Argument, die öffentliche Sicherheit sei gefährdet, von nun an die Einschränkung aller Freiheitsrechte vorgenommen werden kann, wenn nur der Druck der Straße groß genug ist. Damit einher geht das implizite Eingeständnis, dass Gewalt in Serbien ein effizientes Mittel ist um sich durchzusetzen.

An diesem Sonntag haben in Belgrad die Gewalt und das Gesetz der Straße gesiegt, denn was viele schon vorher spürten, war nun unmissverständlich klar: In dem Moment als sich der Innenminister, gestützt durch den Präsidenten und Vertreter der Polizei, für das Verbot der Parade entschied, gab der serbische Staat offiziell zu, sein Gewaltmonopol nicht ausüben zu können.

An diesem Sonntag haben in Belgrad Neonazis und Hooligans ihren Willen durchgesetzt. Schwule und Lesben mögen in Serbien zwar Rechte haben und theoretisch ist der Staat auch bereit diese zu schützen, aber eben nicht immer. Zumindest nicht an diesem Sonntag.

Links:

Parade:  www.parada.rs

Obraz:  http://en.wikipedia.org/wiki/Obraz

Weitere Medienbeiträge:

http://www.civilrightsdefenders.org/en/news/13465/

http://www.balkaninsight.com/en/article/serbian-police-likely-to-ban-belgrade-pride-march

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