Amsterdam soll warten

Warum Haarlem mehr als EINEN Besuch wert ist ...

Warum treffen wir uns nicht in Harlem?
Harlem - wer denkt da nicht zuerst an Jazz in New York? An Ghetto, Gangs und Gospel? Spinnt Ihr?
Schnell klärt sich die E-Mail-Anfrage unserer australischen Freunde auf: ein Lesefehler.
Die Verknüpfung mit Amerika ist indessen nicht so falsch, denn im 17. Jahrhundert gründete der Niederländer Peter Stuyvesant im Zuge der Besiedlung der amerikanischen Ostküste das Neue Haarlem, „Nieuw-Haarlem", worauf die niederländische „Mutterstadt" auf ihrer Website mit einigem Stolz hinweist. Gemeint ist jedenfalls die Provinzhauptstadt Nordhollands nahe der Nordseeküste. Und die liegt praktischerweise nicht sieben Flugstunden, sondern nur gut zwei Autostunden vom westlichen Ruhrgebiet entfernt. Drei Tage im August zu viert die „kleine Schwester Amsterdams" zu erkunden, ist schnell verabredet.

Unsere Freunde haben ein kleines House-Swap-Apartment, wir suchen eine eigene Unterkunft. Hochsaison, Strand- und Hauptstadtnähe sind Faktoren, die sich grundsätzlich unangenehm auf die Preise niederschlagen - in unserem Fall trifft leider ALLES zu: Das meiste ist ausgebucht oder unerschwinglich, ein Doppelzimmer unter 100,00 € ein echter Schnapper.
„Fed up with research", simse ich unserer Freundin. Fast im selben Moment kommt eine Zusage per Mail: ein Studio-Apartment (für 2 Personen) in nur 5 Gehminuten bis zum Grote Markt, mit Küche, Bad, Balkon (!) und Garage (!!) , was angesichts der hohen Parkgebühren in Haarlem (4,20 € pro Stunde und mehr) erwähnenswert ist. Für uns perfekt.

Was wir in 3 Tagen tun wollen? Uns die Stadt erlaufen, ein Museum besichtigen, Live-Musik hören, Chillen am Strand und durch die Dünen wandern. Soweit die Hauptacts, der Rest ergibt sich vor Ort. Mein niederländischer Freund aus Venlo hat noch einen Tipp: "Besser, Ihr sprecht in Haarlem kein Deutsch." Die nationalsozialistische Besatzungsgeschichte hat bleibende Spuren hinterlassen. Im Corrie-ten-Boom-Huis, wo einst Juden und andere Verfolgte eine Zuflucht fanden, wird sie lebendig. Was uns betrifft: wir machen, selbst wenn wir zwischendurch deutsch sprechen, keinerlei deutschfeindliche Erfahrung. Vielmehr erleben wir die Stadt und ihre Bewohner als bemerkenswert offen, freundlich und entspannt.

Nach erstem Wiedersehen am pittoresken Botermarkt brauchen wir alle was zu essen. Catering ist für unsere gemischte vegetarisch-allesfressende Kleingruppe immer eine Herausforderung. Erfreulicherweise gibt es in Haarlem viele Möglichkeiten, sich fleischlos zu ernähren. Nach kurzem Gang durch hübsche Gassen landen wir bei VanVeg, einem vegetarischen Imbiss, wo man das Gekaufte im Garten unter Weinranken und in Loungeatmosphäre verzehrt.

Irgendwann brandet aus den Nachbarlokalen lautes Jubelgeschrei auf: Die holländischen Fußballfrauen sind Europameister ... kein Wunder, dass wir fast die einzigen Gäste sind: Der Imbiss ist klasse, aber fernsehfrei.
Die allseits gepriesene „ Jopenkerk", ein Brauhaus in einer ehemaligen Kirche, überlassen wir lieber anderen: Massenbetrieb meets Müll. Dann lieber eine richtige Kirche: Die St.-Bavo-Kathedrale am Großen Markt ist auch für Ungläubige sehenswert und kostet deshalb Eintritt (2,50 €). Man sollte nicht zögern, an der Kasse Fragen zur Kirche, ihrer Architektur und Geschichte zu stellen - der Mitarbeiter ist kenntnisreich und auskunftsfreudig. Für den Besuch sollte man sich richtig Zeit nehmen und vielleicht eine Pause im Café mit einplanen.

Den Rest des sonnigen Tages verbringen wir ... klar! - am nahegelegenen Strand von Bloemendaal. Der beste Platz mit Überblick, umfangreicher Menükarte, auf der alle was finden und hohem Chillfaktor ist eindeutig San Blas. Wir müssen mehrfach die Parkuhr nachfüttern ... Der Strand ist nicht überfüllt, und die unvermeidliche Fischbude lässt Kindheitserinnerungen wach werden.

Angesichts der Wassertemperatur bleiben die mitgebrachten Badesachen allerdings in der Tasche, und wir entscheiden uns für eine Wanderung im Nationalpark Zuid-Kennemerland (Parnassia-Parkplatz, Tagesgebühr: 12,00 €). Auf der parkeigenen Website haben wir einen passenden Weg „Rondom het Vogelmeer" gefunden. Der Ausdruck, eigentlich nur als Gedächtnisstütze mitgenommen, ist vor Ort hilfreicher als die Wandermarkierungen (die Wegetafel am südöstlichen Ende des Parkplatzes finden wir leider erst nach unserer Wanderung). Gemischte Fuß- und Radwege sind gewöhnungsbedürftig, doch sobald man abzweigt, entdeckt man eine erstaunlich abwechslungsreiche, wilde Dünenlandschaft mit üppiger Flora.

Bis auf einen Schwarm unentwegter Kormorane scheint die Fauna den zahlreichen Radlern und Wanderern eher auszuweichen. Verständlich.

Abends basteln wir gemeinsam ein Abendessen auf dem Balkon unseres hübschen Domizils - der R&B-Abend bei „Stiel's", der angesagten Jazzbar der Stadt, fängt ja erst später an ... Als wir die zweite Flasche Wein öffnen, ist die „S-Frage" im Prinzip schon beantwortet: Balkony, not Blues. Für den folgenden Tag bleibt uns noch genug Programm.

„Haarlem hat viele Merkwürdigkeiten", heißt es in der Enzyklopädie der Wissenschaft und Künste aus dem Jahr 1827. Die „ Haarlemer Hofjes " zum Beispiel (eine Broschüre zur Route gibt's im VVV am Grote Markt): Im Mittelalter geschützte Lebensmittelpunkte für verwitwete, oft adelige Frauen, sogenannte Beginen, beherbergten die Höfe später auch Arme und Waisen. Nach außen hin fügen sie sich unauffällig in die Stadtarchitektur ein, so unauffällig, dass wir bei unserer Suche nach den „Verborgenen Oasen" mehrfach auf die Hilfe von Einheimischen angewiesen sind. Nicht alle Hofjes sind zugänglich, die offenen aber sind atmosphärisch dichte Orte der europäischen und Stadtgeschichte.

Abseits der Legende von der Erfindung des Buchdrucks (die kann man in jedem Reiseführer nachlesen) fällt auf, dass die Stadt ein besonderes Verhältnis zur schreibenden Zunft hat. Harry Mulisch (1927-2010), einer der großen Erzähler der europäischen Gegenwartsliteratur, wurde hier geboren. Ein Denkmal am richtigen Ort - auf dem Grote Markt, im Schatten der Kathedrale vor dem berühmten Grand Café Brinkmann - erinnert an ihn.

Vom ältesten Museum der Niederlande sind wir enttäuscht. Das Teylersmuseum ist ein klassisches Beispiel dafür, wie europäische Museen vor der Französischen Revolution sammelten: eklektisch und ausschließlich dem Geschmack ihrer Gründer verpflichtet. Gesammelt wurden Fossilien, technische Errungenschaften, Münzen, Bilder und vieles mehr. Man entdeckt skurrile versteinerte Insekten aus dem schweizerischen Jura und überlegt, wie wohl ein Phonautograph funktioniert ... Kunstfreunde kommen hier, trotz der vergleichsweise beachtlichen Gemäldesammlung, nicht auf ihre Kosten. Der „Ovale Zaal" versöhnt immerhin Liebhaber der Baukunst. Insgesamt fällt der Eintrittspreis von 12,50 € deutlich zu hoch aus.

Ein Hollandbesuch ohne Fisch? Geht nicht. Ausnahmsweise trennen wir uns einvernehmlich zum Essen. Die „ Fishbar MONK" ist neu in Haarlem. Die Verwandlung der ehemaligen Kfz-Werkstatt am Turfmarkt 20 in ein Restaurant mit Fischmarktflair ist überzeugend, ebenso das Konzept „Alles teilen!" Bei MONK unterscheidet man nicht in Vor- und Hauptspeise. Gegessen wird, was schmeckt und vorzugsweise gemeinsam. Fisch (gegrillter Seebarsch) und Wein (ein frischer Colombard, Gascogne 2016): ein Hochgenuss, der Service auch. Stammlokaltauglich! Schade, dass wir nicht in Haarlem leben ...

Beim abendlichen (Gratis!-) Orgelkonzert in der St.-Bavo-Kathedrale treffen wir unsere Freunde wieder. Den Programmpunkt „Live-Musik" hatten wir uns anders vorgestellt, aber die Gelegenheit, die Orgel von Christian Müller (1690-1763) zu erleben, also die, auf der schon Händel und der 10jährige Mozart gespielt haben, lassen wir uns auf keinen Fall entgehen. Gemischt wie das Programm ist unsere Reaktion. Allein Jos van der Kooys Interpretation von Wim de Ruiters „Trifid" geht uns allen nahe - großartig!

Nach viel zu kurzen drei Tagen stellen wir fest: es gibt noch jede Menge zu sehen in und um Haarlem. Beim nächsten Mal würden wir durch die vielen kleinen Geschäfte bummeln, uns Frans Hals' Gemälde ansehen, Haarlems kulinarische und vor allem seine Jazz-Szene erkunden. Amsterdam soll warten ...

Weiterführende Links zu Haarlem

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