Amouröses an der Uni – Deleted Scene aus “Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman”

Von Ralf Boscher @RalfBoscher
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Miriam war mir im Seminar über Phänomenologie aufgefallen. Zurück zu den Sachen! Klar, warum lange drum herumreden. Als ich sie auf einer der wöchentlich stattfindenden Asti-Diskos zusammengesunken in der Ecke sitzen sah, kam ich gleich mutig zur Sache (hatte mich zuvor nicht gerade, was den Alkohol angeht, in phänomenologischer Enthaltsamkeit geübt): „Geht es Dir nicht gut, kann ich Dir helfen?!“ Sie war einige Stunden zuvor von ihrem Freund verlassen worden, sah aber auch mit ihren verweinten Augen sehr ansprechend aus (was ich natürlich nicht nur dachte, sondern auch hervorhob). Miriam war sehr redselig in ihrem Kummer, zeichnete sich auch ansonsten durch besondere Zungenfertigkeit aus, soweit dies unter dem erheblichem Alkoholeinfluss meinerseits noch objektiv festzustellen war. Deswegen hätte ich diese Erfahrung gerne unter günstigeren Bedingungen wiederholt, wozu es aber wegen Schulterzuckens ihrerseits nicht kam. Sie wolle nichts überstürzen. Ihr Freund würde es sich sicher anders überlegen, wäre nicht das erste Mal, und würde Morgen mit Blumen vor ihrer Tür stehen. „Man sieht sich!“, meinte Miriam beim Abschied noch zu mir.

Rahel, ebenfalls ein Gesicht, das mir aus einem Seminar vertraut war, lernte ich auch auf der Asti kennen, exzessiver Tanzstil mit großen Gesten, hat mich, der ich – wie zufällig – auf der Stelle neben ihr tanzte, glatt umgehauen. Gab ein Bier zum Trost. Anschließend war das Trösten wieder mein. Denn sie war ebenfalls von ihrem Freund verlassen worden. War Paris die Stadt der Liebe, so schien Wuppertal die Stadt der einsamen, verlassenen Herzen zu sein. Immerhin sah sie für sich und ihren Freund keine Hoffnung mehr. Was mich hoffen ließ. Auch wenn sie sich meinen Versuchen, sie zu küssen, nicht aufgeschlossen zeigte. Aber: „Nicht jetzt!“ sagte sie, was doch nur soviel heißen konnte, wie: Dann ein anderes Mal! Und dazu kam es dann einige Tage nach unserem Kennenlernen nach der Habilitationsfeier eines unserer Philosophiedozenten. Wir hatten beide ordentlich Wein getrunken, ich wohl mehr als sie, jedenfalls traute ich mich, ihr vorzuschlagen, doch mal ein paar Schritt mit mir zur Seite zu treten. Ich fände, sagte ich in einem Anflug von professoralem Pathos, dass wir lange genug die Wahrheit im Weine gesucht hätten, ich würde doch jetzt lieber die Wahrheit im Weibe suchen. Anscheinend gefiel dies ihr, denn flugs fand ich mich ganz unphilosophisch mit ihr im Aufzug und anschließend noch in einer Toilette wieder. Dieses eine Mal war aber nicht auf Wiederholung angelegt. „Erst mal genug von Männern!“, sagte sie gegen später, als ich sie durch das nächtliche Wuppertal nach Hause brachte, womit sie wohl genug von einem Mann für länger! meinte. Obwohl… vielleicht wäre es mit uns was geworden, wenn ich im Aufzug ihrem oralem Pathos nicht vollends erlegen und auf der Herrentoilette zur Wiederholung aufgelegt gewesen wäre.

Wenig später lernte ich dann Sara kennen, Grundstudium wie ich, kein Freund. Wir haben einige Male nach einem Seminar Kaffee zusammen getrunken. „Mit mir könne man so einfach über alles reden!“, sagte sie. „Klar doch!“ sagte ich. Und schließlich lud sie mich zum Schwimmen in der Bever ein, und wir fuhren zusammen mit einigen ihrer Bekannten hin. Sonne, Nacktbaden, Grillen, Bier, Lagerfeuer. Sie ging dann irgendwann für kleine Mädchen in die Büsche und kam nicht wieder. Besorgt suchte ich sie schließlich, trat ihr aber im mondlichtenen Halbdunkel fast auf die Hände, welche sie ins Gras gekrallt hatte, weil gerade einer ihrer Bekannten mir meine Sorge um sie abnahm. Bevor ich aber meinem spontanen Impuls, meine Hände auch irgendwo hinzukrallen, folgen konnte, spürte ich plötzlich sanfte Hände auf meiner Schulter. Eine Bekannte von Sara, mit der ich zuvor nur ein paar Worte gewechselt hatte, war ihrerseits mir gefolgt. Und so lag ich schließlich mit dem nacktem Rücken im Gras, während Saras Bekannte still rhythmisch auf mir saß, was sehr angenehm war, da ich so Sara hören konnte, die unweit von mir, ebenfalls rhythmisch, aber laut, das ihrige im selben Gras tat und es mir somit leicht fiel, mir vorzustellen, dass es ihre Silhouette war, die sich da über mir vor dem Mondlicht abhob und senkte und hob. Ob ich Saras Bekannte nochmals wiedergesehen habe, kann ich nicht sagen. Ich habe nur sehr verschwommene Erinnerungen an ihr Gesicht, und sie hatte mir weder in dieser Nacht ihren Namen genannt, noch sich später einmal – wenn ich Sara in der Uni oder auf der Asti mit ihren Bekannten und Freundinnen traf – als jene welche zu erkennen gegeben. Sara und ich tranken dann noch einige Male Kaffee zusammen. Einmal fuhren wir sogar Abends nur zu zweit mit einer Flasche Wein an die Bever. Wieder schien der Mond. Die Sterne strahlten. Es lief aber nichts. Auch wenn sie immer noch keinen Freund hatte. Mit mir konnte man halt gut reden.

Rebekka nun war eine junge Angestellte in der Bibliothek. Wir sahen uns oft, aber auch nur, da ich sie ständig um Bücher anging, die laut Katalog nicht verliehen waren und dennoch nicht an ihrem Platz standen. Natürlich hatte ich sie verstellt. Lauter Bücher zur Partnerpsychologie. Was immer das heißen mag. Aber ich hatte sie einmal, als ich auf Recherche für meinen Roman unterwegs war, in einem solchen Buch lesen gesehen und hoffte nun, dass sie mich irgendwann neugierig geworden fragen würde, was ich denn mit diesen Büchern wolle. Und so kam es auch. Ich erzählte ihr dann, dass ich an einer Hausarbeit über die im Laufe einer Partnerschaft verschwindende Kommunikationsbereitschaft arbeiten würde, und besonders an der Frage interessiert sei, ob Sex in diesem Zusammenhang als Kommunikationsform zu gelten habe. Was sie sehr interessant fand, so interessant, dass sie sich lächelnd mit beiden Händen in die Haare greifen musste, um den Sitz ihrer langen Locken zu überprüfen. Und später, nachdem wir schon einige Mal freundlich geplaudert hatten, verstellte ich das Buch Joy of Sex. Dabei bräuchte ich das doch dringend, sagte ich mit niedergeschlagener Miene, das sei doch ein Buch, was gerne auch von Paaren gelesen würde, ich müsse doch schauen, ob die dargestellten Stellungen sich als rhetorische Positionen in einem Kommunikationszusammenhang deuten ließen. Sie hatte wohl schon so viele Wissenschaftler kommen und gehen gesehen, dass sie auch den größten Schwachsinn, der einen forschenden Geist umtrieb, gelassen hinnahm. Na, vielleicht mochte sie mich auch einfach und war – obwohl sie mich und meine Absichten durchschaute – so gutmütig, auf mein kleines Spiel einzugehen. Jedenfalls führte sie mich lächelnd in die hinterste Ecke des Sozialwissenschaftlichen Buchbereichs: „Das kann doch gar nicht sein“, sagte sie, und dann meinte sie noch mit diesem gewissen Lächeln in den Augen, mit dem sie auch ihre Haare geordnet hatte, „das muss doch hier sein, habe ich doch erst letztens in der Hand gehabt, weil ich selbst was nachschlagen musste!“ Was immer sie auch letztens in der Hand gehabt hatte, jetzt war ich es, den sie in die Hand nahm. „Ja, da steht er doch, der gesuchte Joy of Sex!“ meinte sie noch, rhetorisch geschickt mit den Wortbedeutungen und dem Verhältnis von res und verba und handwerklich geschickt mit meiner res spielend. Dann nahm sie mit der freien Hand ein Buch aus dem Regal – Die Prinzenrolle, wie ich auf dem Einband las – und entnahm dessen Seiten ein Kondom. Womit mir schlagartig klar wurde, dass sie nicht nur viele, von ihrem forschenden Geist umgetriebene Wissenschaftler hatte kommen sehen. Mehr als diese einmalige Einführung in ihre bibliographischen Praktiken gab es leider nicht. Gerne hätte ich ihr – wie ich ihr vorschlug – das Bücherregal bei mir Zuhause gezeigt. Aber daran hatte sie kein Interesse. Ich würde doch wohl nicht glauben, meinte sie noch, dass sie sich – bei all den Professoren, die ihr Avancen machen würden – auf einen kleinen Studenten einließe. Ich solle das doch nicht so ernst nehmen. Was ich dann auch versuchte, aber die Bemerkung, dass sie vorhin hinter’m Bücherregal mit meiner Größe wohl zufrieden gewesen sei, konnte ich mir dann doch nicht verkneifen.

Szenen, die es nicht ins veröffentlichte Manuskript meines zweiten Romans geschafft haben.

Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman

Liebe, Lust und Leichen im Keller. Leben und Sterben zwischen Nietzsche, dem Niederrhein und der Müllverbrennungsanlage in Wuppertal, in einer Nebenrolle: die Imperia in Konstanz außer Rand und Band.

„Abschied ist ein scharfes Schwert“ ist ein ungewöhnlich erzählter, an Ironie reicher Mordsroman über einen Schriftsteller und einen Fan, über Gewalt und Gier, Tod und Wiederauferstehung. Ein Buch, das in vielen Genres wildert.