Wer Amewu kennt, weiss' dass seine Zeilenkaskaden ohne zur Handnahme des Textheftes immer etwas sehr irreales anhaftet, weil dieser Mensch die dichteste Poesie verfasst, die Deutschland momentan zu bieten hat. Keine ausgetretenen Pfade, keine halbgaren Bilder und niemals inhaltsfrei.
Ich will kurz schildern, was sich seit der Entwicklungshilfe änderte. Sein Rapstil wurde vielfältiger, Tempiwechsel und Ausdifferenzierung galore. Die Texte drehen sich aber immer noch um den persönlichen, inneren Kampf, um das Wachsen und Reifen, um das Abschiednehmen und Neubeginnen. Ich werde einige Zitate einführen, damit das Genie, das seinen Zeilen innewohnt besser zur Geltung kommt.
An die Zuhörer, mein Wissen ist jetzt dein / wenn jemand wirklich sterben will, dann mischst du dich nicht ein [Amewu - All Ein Sein]Eine dieser Zeile, die dich erst einmal sprachlos machen und wenn die Spucke dann zurück in deinen Mund kehrt, dann weisst du, er spricht eine große Wahrheit gelassen aus. Jeder, der jemanden dabei begleiten musste, wie die Lebenslust in dieser Person abstarb wird wissen was ich meine. Niemand kann helfend assistieren, wenn der betroffene Mensch dies nicht wünscht und zulässt.
Aber Amewu ist nur wegen seiner abstrakten und doch hochkonkreten, bildgewaltigen Sprache berühmt-berüchtigt. Er hat auch ein sehr begabtes Händchen für die Beats mit dieser gewissen Stimmung. Und spätestens seit dem Interview mit der Sendemast-Crew ist klar, die Klasse eines MCs erkennt man vorallem an den Beats, die er pickt.
Die (fast) durchgängige melancholische, verdüsterte Stimmung des Albums machen Leidkultur zu einer sehr launenabhängigen Platte. An hummeligen Sommertagen kommt sie mir sicherlich nicht ins Ohr, aber ich habe bislang keine der nächtlichen Radfahrten mit ihm als Begleitung auf dem Ohr bereut. Er wird wahrscheinlich nie so groß & grell wie das Pandakind, aber sei's drum, dieses Album wünscht sich Begleiter und keine Konsumenten.
Natürlich gibt es immer wieder diese Momente, an denen du denkst, nein zieh' mich jetzt nicht noch tiefer hinab, aber Amewu wäre nicht kein Spieler im Segment A New Kind Of Complete MC, wenn er nicht die offensiv ausgestellten Schwächen zu Stärken umschmieden könnte. Was sicherlich auch in seinem hellsichtigen Konkurrenzbegriff liegt, der richtig genutzt wunderbares aus beiden Widerstreitenden hervorbringt.
Also sei mein Feind für begrenzte Zeit und wir kämpfe beiden und besiegen uns / jeder geht gestärkt aus dem Kampf hervor / Erst wird die Angst und dann die Distanz verloren / Wir erledigen das geben uns Kraft und laufen dann gemeinsam die Wand empor [Amewu - Training Day]Zeile wie diese sucht man im aktuellen Geschehen vergebens, dort dominiert die destruktive Battleethik oder der kuschelweiche Schwunkelschmuddel. Graurücken & Pandas, aber kein Weisen. Amewu ist anders - er bietet Punches, die sich zuerst in deine Seele und dann ins Ohr brennen, weil sie heimtückisch eingängig sind. Ein monolithischer Brocken, aufbereitet und weich gemacht, der dir trotzdem tagelang im Magen liegt.
Auch wenn mein Wesen auf seine spirituellen Werte oftmals widerwillig reagiert, kann ich nicht umhin, zuzugestehen, dass mich seine zwiespältige Weltsicht, die heilen und versöhnen will und trotzdem spaltet und verletzt, mehr als einmal tief berührt hat.
Ich habe der Platte einige überraschende Momente der Klarheit zu verdanken. Einmal schob ich meinen Wagen durch einen Discounter - Stein Im Meer auf dem Ohr und zunächst fiel der Groschen, dann die Schuppen von den Augen und dann lag meine Kinnlade mir zu Füssen. Wenige, sehr wenige Alben hatten bisher diese Wirkung auf mich. Bezaubernderweise kann ich oller überanalytischer Geist die Gründe dafür nicht fassbar machen, was mir die Platte nochmals zuträglich macht.
Und wenn sich Amewu aufmacht zur tiefen Introspektive bleibt nichts mehr heil ...
Egal wie tief ich in mich reinschau da ist nichts / und so klammer ich mich fest an das Nichts / in der Hoffnung, dass irgendwo noch ein Rest da ist [Amewu - Demut]... nehmt eure Hände (obwohl der Singular genügt wahrscheinlich) und zählt die MCs auf, die ähnlich hart mit sich ins Gericht gehen. Manchen dürfte der Begriff der Demut nicht einmal geläufig sein & falls doch, so haben sie ihn weitläufig aus ihrem aktiven Vokabular verbannt und durch aggressive Nebelwände ersetzt.
Nein, das Album ist kein Zuckerschlecken, eher ein Wundenverschliessen mit Salz und dennoch ist es größer als die meisten Veröffentlichungen der letzten Jahre. Die drei Jahre Pause zwischen den Releases haben Amewu sehr gut getan. Er will nicht mehr gnadenlos überzeugen durch Niederbrennen, wie noch bei Maschine. Der Silbenstürmer hat sich beruhigt, aber er wurde nicht milder, sondern bestechender, konziser, treffender.
Die Beats der Platte sind alle so unglaublich, dass ich keinen exemplarisch herausstellen mag, aber ich war (und bin) seit der Stein Im Meer-Version von Trommeltobi an den Drums, Werd an der Harmonica & Kenji451 an der Geige beim Releasekonzert im Lido überzeugt davon, dass es sehr lange dauern wird, bis mich wieder ein Beat derart berühren wird. Dieses Kribbeln im Bauch, dass du nie mehr vergisst, als ob sich ein Dorn durch deine Herzdecke sticht.
Ich hab Kenji451 vor kurzem beim WhopWhop getroffen und konnte kurz mit ihm plaudern, sehr nette Type & ja, er und Amewu sind Symbioten, ich hoffe wir kommen noch in den Genuss einer EP, die nur aus seinen Beats & Amewus Raps besteht - könnte ähnlich großartig werden wie diese Platte.
Leidkultur ist ein offenherziges Porträt von Momenten der Leere und der Hoffnungslosigkeit, ein intimer Einblick in die (nicht selten wirre) Gedankenwelt eines der klügsten Talente gegenwärtig am Mic. Herausfordernd, tief- und abgründig gleichermaßen.
Ich bin beeindruckt, berührt - ja überwältigt von dieser Platte, die sicherlich nicht bei jeden Gemütstyp funktioniert, aber Menschen mit einem offenen Geist muss ich sie wärmstens ans Herz legen, weil sie dich verändern kann - wenn du es willst, da sie fähig ist wertvolle Bilderfluten auszulösen. Flaneurempfehlung. Punkt.