Am Schlimmsten ist das Schweigenmüssen

Von European-Cultural-News

Markus Kupferblum schuf mit „Die Stimmen hinter dem Schleier“ eine berührende Collage aus zeitgenössischen Texten arabischer Frauen, die er jenen des bekannten Lyrikers Hafis im Brick5 gegenüberstellte.

Die Auseinandersetzung mit dem Islam erfolgt in Europa derzeit meist über negative Schlagzeilen. Attentate, von langer Hand vorbereitet und im Namen „Allahs“ verübt, schockierten zu Beginn des Jahres die ganze Welt. Schnell werden auf allen Seiten Positionen bezogen und Statements abgegeben, die Schuldigen gesucht. Dabei wird ganz auf die Geschichte vergessen, die diese Religion prägte. Auf ihre kulturellen Errungenschaften und die Menschen, die diese schufen.

Markus Kupferblum, einer jener Umtriebigen, die sich nie dem Mainstream anbiedern, setzte sich mit dem Thema des Islam und dem darin vertretenen Frauenbild auseinander. Schon eine ganze Zeit lang bevor „Chrarlie Hebdo“ allen ein Begriff wurde. Er recherchierte zeitgenössische Texte von Muslimas, übersetzte sie und stellte sie arabischen Gedichten aus dem 14. Jahrhundert gegenüber.

Gedichten von Hafis, jenem Dichter, der in der arabischsprachigen Welt bis heute eine Ikone ist. „Hafiz nannte man im arabischsprachigen Raum jemanden, der den Koran auswendig konnte; es ist so etwas wie eine Ehrenbezeichnung“, erzählt Kupferblum zu seiner historisch determinierten Figur. Der „Diwan“, eine Zusammenstellung von Gedichten, gilt als das wichtigste Werk von Hafis, auf das sich sogar Goethe mit seinem „West-östlichen Divan“ bezog. „Ich wollte aufzeigen, dass der Islam vor vielen hundert Jahren in der Zeit von Hafis eine viel offenere Religion war. Hafis beschreibt in seinen Gedichten nicht nur die Schönheit der Natur, sondern besingt auch die Liebe, den Wein und die Musikanten. Etwas, das heute unvorstellbar ist“. Die Vergangenheit unter einem heutigen Blickwinkel aufzuarbeiten ist Kupferblums Stärke. Aufzuzeigen, was war, und was aus dem Ruder gelaufen ist, ebenso.

„Die Texte von Zeitgenossinnen zu finden war nicht leicht. An die Frauen, die hinter dem Schleier leben, kommt man nicht heran“, präzisierte der Regisseur die Recherche zu seiner Arbeit in einem Gespräch. So stammen die verwendeten Textstellen allesamt, das kann man ohne Übertreibung behaupten, von Muslimas, die sich in einer privilegierten Position befinden. Als Wissenschaftlerinnen oder Ärztinnen zum Beispiel. Was sie niederschreiben, ist keine behübschende Poesie. Nichts, das man einmal schnell kurz vor dem Einschlafen liest. Es sind Texte, die von Unterdrückung erzählen. Davon, wie schwer es ist, seine Gefühle hinter einem Schleier auszudrücken und davon, wie groß die Angst in einer hierarchischen Gesellschaft ist, in der den Frauen eine freie Ausdrucksmöglichkeit genommen wird.

Und so kommt es in dem höchst poetisch inszenierten Stück der Schlüterwerke, in welchem sich die Frauen allesamt hinter einem schwarzen Bühnenschleier bewegen, auch zu drastischen Aussagen. Wie der Bericht einer in Kairo praktizierenden Ärztin über die durch Beschneidung verstümmelten Frauen aus dem Sudan. „Als die Schauspielerinnen diesen Text zum ersten Mal hörten, haben sie sich zum Teil empathisch vor Schmerzen gewunden“ erzählt der Theatermann, was man ihm sofort glaubt. Denn auch während der Aufführungen kam es immer wieder im Publikum zu entsetzten Gesichtern bis hin zu Reaktionen, die es erforderten, nach dem Stück erst einmal sitzen zu bleiben und tief durchzuatmen.

Die Gedichte von Hafis waren teilweise in Vertonungen von Max Kowalski zu hören. Therese Cafasso begleitete ihre Mitstreiterinnen Ingala Fortagne, Ulla Pilz und Andrea Köhler dabei mit viel Einfühlungsvermögen auf dem Klavier. Keine der Damen war bei den musikalischen Nummern jedoch sichtbar. Verborgen hinter einer Wand konnte man der Musik lauschen, ohne die Interpretinnen dabei zu beobachten. Kowalski war jener Komponist und Jurist, der Arnold Schönberg in den 30er Jahren in einem Rechtsstreit gegen die Frankfurter Oper als Rechtsanwalt vertrat. Schon einmal waren Werke von ihm in einer Kupferbluminszenierung zu hören und es hat den Anschein, als ob der Wiener Theatermacher einer der wenigen Kreativen ist, der sich um die Aufrechterhaltung seines Namens kümmert.
„Für mich ist das Schweigen der Schleier, der wahre Schleier. Wenn eine Frau sich nicht ausdrückt, sich nicht äußert. Die katastrophalste Einschränkung des Menschseins ist, wenn man sich nicht äußern kann“.
Eindringlicher als die Worte einer Soziologin, die 1940 in Fez geboren wurde, kann die Situation von Frauen nicht beschrieben werden, die sich nicht äußern dürfen.

Neben den schon genannten Schauspielerinnen verliehen noch Stephanie Schmiderer und Katharina Weinhuber den verschleierten Frauen ihre Stimmen und im Halbdunkel verborgenen Körper. Klaus Haberl als Hafis agierte indessen frei und unbeschwert, nur von Liebesleid geplagt, vor dem Vorhang. Prägnanter hätte man den Freiheitsunterschied aber auch die historische Entwicklung dieser Religion wohl nicht veranschaulichen können.

Das Engagement aller ist umso mehr hervorzuheben, als die Schlüterwerke von Markus Kupferblum beständig eine Inszenierung nach der anderen zur Aufführung zu bringen, ohne dafür jedoch subventioniert zu werden.