Teufel aber auch: dieses zweite alt-J Album, This is all yours, ist von einer solchen Wucht, dass es notwendig war, einen Monat nach Erscheinen vergehen zu lassen und einmal gehörig darüber nachzudenken, was man naiverweise über gute Musik zu wissen glaubte.
Die Band klingt, als schriebe sie solche Stücke seit 15 Jahren. Dabei ist es, wie schon gesagt, erst das zweite Studioalbum, das sie nun veröffentlicht hat. Das Klangbild des Longplayers bleibt dem Vorgänger An awesome wave verhaftet und neigt zur Introversion eher denn zum lauten Hall. Die Single Left Hand Free, die angeblich in nur 20 Minuten im Kasten gewesen sein soll – als Antwort auf die reißende Frage des Labels nach einem „Hit“ – bleibt die absolut schnelllebig-zuckende Ausnahme. Beinahe rotzig klingt das Stück, von den Black Keys geborgte Gitarrenriffs werden mit einer Brise Ironie zu einer Blues-Parodie umgemünzt, die einfach nur schnell einmal am Rande aufschimmern lässt, dass alt-J auch ganz anders können – wenn sie denn wollten.
Zurück zum Beginn: Eigentlich ahnt man nach den ersten Takten des Intros, dass man es hier mit keiner einfachen Platte zu tun hat. Im Gegenteil: Alt-J setzen schwere Kost vor. Es kristallisiert sich im Laufe der folgenden Minuten deutlich heraus, wie verkopft das Album produziert wurde – nach zwei Minuten der reinen Instrumentalisierung setzt die Stimme Joe Newmans bekannt rau-heiser ein. So minimalistisch der musikalische Grundaufbau der einzelnen Stücke oft wirkt, so durchdacht ist er in seiner schlussendlichen Entfaltung. Der crazy shit dabei liegt darin, dass dasselbe auch für die Melodiebögen oder die Lyrics gilt – was kommt also dabei raus? Ganz genau, ein geniales Monstrum.
Das zweite Stück Arrival in Nara beschreibt die LP gleichzeitig als ein Reise-Album: Nara, gelegen auf einer japanischen Halbinsel, war 710 bis 794 nach Christus Japans Hauptstadt. Auch heute noch gibt es immer wieder Referenzen an diese Zeit, in der noch alles rosa wie Zuckerwatte und wunderbar gülden war. Und so wie man das Album und somit Nara betritt, wird es auch wieder verlassen (Schlussstück Leaving Nara). Auch für diejenigen, die einen großen Bogen um den ganzen holy crap machen, werden verzückt in die Hände klatschen, wenn sie dann das dritte Stück Nara hören: Es bedient sich nämlich einer fast schon sakralen Aura, nicht nur durch den am gesamten Album immer wieder eingesetzten, verquer-kitschigen männlichen Doppelgesang, sondern ebenso durch Glockenspiel und ein beinahe geflüstertes „Hallelujah“. Die dröhnende Basslinie, die das Lied im zweiten Drittel aufzufangen scheint, steht dabei keineswegs in Diskrepanz zum Balladencharakter des Stücks. „Love ist the warmest colour. Petrol blues.“
Vereint This is all yours also Blues mit Blockflöte (Choice Kingdom – und nein, irgendwie schaffen es alt-J, keine direkte Verbindung zum traumatischen Volksschulkindgepiepse herzustellen), mit Geschrammel und A capella-Einlagen, gibt der formale Rahmen und strukturierte Aufbau dem Album den Eindruck eines stimmigen Gesamtpakets. Einige Stücke wirken nicht fertig. Oder um es pragmatisch in schöner Psychologen-Manier zu sagen: offen. Und doch, weil nichtsdestotrotz aufs Kleinste durchdacht, stellt sich vor allem die Präzision der Band und das harte Erarbeiten dieser Kunstfertigkeit in den Vordergrund, ohne es aber bei protzigem “Seht-her-was-wir-alles-Können” ruhen zu lassen.
Every other freckle bildet den Mikrokosmos im Makrokosmos dieser Platte. Die anzüglichen Lyrics werden anfangs vielleicht holprig klingen („I’m gonna paw paw at you like a cat paws at my wollen jumper“), sind aber in ihrer ironisch-erotischen Aussage schlichtweg an Originalität nicht zu übertreffen. Lasziv-überstrapazierte Texte würden an dieser Stelle überhaupt nicht passen, die Kunstfertigkeit in Nachfolge einer Artschool à la Radiohead gemischt mit Fairport Convention setzt sich durch. Noch dazu kommt hier echte Lyrik ins Spiel: Angelehnt sind Text und Rhythmus am Gedicht „I wanna be yours“ des Performance-Poeten John Cooper Clarke, einer sehr coolen Socke, die in den 70ern zunächst als Punk-Poet bekannt war. Hier heißt es: „I wanna be your vacuum cleaner, breathing in your dust“. Beinahe also ebenso offensichtlich holprig-fadenscheinig wie die Liebesgeständnisse in Every other freckle. Doch patziger Text hin oder her, das Stück an sich ist einfach sexy, und basta. Wie viel Erotik kannst du ohnehin ertragen, Welt? Eben.
Miley Cyrus’ Stimme wurde dann bei Hunger of the pine geliehen. Und – der folgende Satz versteht sich komplett ohne Sarkasmus – das klingt nicht einmal so merkwürdig, wie es im ersten Moment den Anschein machen könnte! Ihre Zeile „I’m a female rebel“ verbindet sich im Refrain mit einem Triphop-Beat und gehört mitunter ebenso zu den wichtigsten Stücken des Albums, weil es wieder eine vollkommen andere Facette der Band zeigt. Wen Joe Newman, sein Gesang, Auftritt oder textliche Sicherheit nicht schon längst heiß gemacht hat, kann ja an dieses Wreckingball-Experiment denken. Für jeden ist hier was dabei. Langsam kriecht Hunger of the pine in den Gehörgang, nistet sich dort gemütlich ein und endet, um die Extravaganz noch zu doppeln, in einem französischen Zweizeiler (Punkt sexy No.3 – french is always hot). Und als ob man nicht Experiment genug präsentiert bekommen hätte, gehen alt-J mit dem nächsten Stück, Warm Foothills noch einen Schritt weiter. Beinahe fröhlich pfeifend wird der Schwerpunkt auf die akustische Gitarre verlegt, wobei Joe Newmans Gesang durchsetzt wird von einzelnen Wörtern oder Passagen, die Conor Oberst, Lianne Le Havas, Marika Hakman und Sivu eingesungen haben. Dadurch entsteht ein waberndes Konstrukt, das in sich selbst immer wieder so sehr bricht, weil es nicht nur zeilenweise wie bei einem Duett die verschiedenen Stimmen abwechselt. Es stört sich mitten im Satz, spring ungefähr dreimal pro Zeile von männlicher zu weiblicher Stimme. Verwirrung zunächst, sich entfaltende Brillanz fortwährend.
Wem das neue alt-j-Album nicht gefällt, bitte sehr. Da kann man an diesem Punkt eigentlich nur noch sagen: Sorry, fail. Die Frage nach der subjektiven Meinung scheint zu verschwimmen in diesem Konstrukt, das wirklich im Sinne von „this is really all yours“ dem Zuhörer geschenkt wird. Man kann damit machen was man will, es wird jedoch dringend empfohlen es zu vergöttern (Pathos here we go!). Wenigen gelingt es, ihr schon sehr erfolgreiches Debutalbum um einen weiteren Deut zu übertrumpfen. Man ruft, Joe Newmans Aufforderung spiegelnd, zurück: Devour me. Verschluckt und entschwunden im oh so sexy Deltazeichen.
alt-J – This is all yours, PIAS Coop/Rough Trade, www.altjband.com