Als Russe noch verboten war

Als  Russe noch verboten warIn dem Land früher, das damals war, saßen niemals irgendwo Russen und Ukrainer zusammen, weil sie alle Sowjetmenschen waren. Wer Russe sagte, war ein Feind des Fortschritts. Richtig hieß es "Sowjetmensch", nur westdeutsche Journalisten machten daraus "Sowjets", ein Wort, das in zwei Silben mehr Verachtung ausdrückte als eine offene Beschimpfung.
Die DDR schaffte es, das Wort "Russe", das zuvor nichts weiter war als die korrekte Zuschreibung einer Landsmannschaft, völlig aus dem öffentlichen und aus dem veröffentlichten Leben zu verdrängen. Hilfslose Synonyme wie "Sowjetbürger" oder die "Freunde" mussten die Lücken füllen, die das Auslöschen der traditionellen Bezeichnung für die Angehörigen des größten ostslawischen Ethnie hinterlassen hatte.
Geschichtlich kein Einzelfall. Dem 200 Jahre lang beschreibend gebrauchten Begriff "Neger" geschah in der Neuzeit Vergleichbares. Als sei er selbst böse, landete der eigentlich nur das lateinische "Schwarz" eindeutschende Begriff auf dem Index für unbedingt zu vermeidende Vokabeln. Um durch hilflose Synonyme wie "Afrikaner", "Afroamerikaner", "Schwarzer" und "Farbiger" ersetzt zu werden. Wer "Neger" sagt, ist Rassist. So wie der, der "Russe" sagte, seinerzeit ein Faschist war.
Die Welt, gestaltet von der Sprachpolizei. Konnte Lovis Corinth 1884 noch ein Bild malen und es "Neger Othello" nennen, müsste er heute zur korrekten Begrifflichkeit greifen: "Schwarzer Mensch Othello". Denn "die Verwendung und Wirkung eines rassistischen Begriffs im öffentlichen Raum" kann "nicht durch die Intention der Macher_innen aufgehoben werden" (Blackfacepalm).
Der Sowjetmensch weiß, worauf das langfristig hinausläuft. Denn im Untergrund der Alltagssprache blieb der Sowjetmensch dennoch immer Russe, anders gesagt, die Russen kamen nicht, sie waren nie weg. "Voll wie tausend Russen" war, wer voll war. Im so genannten Russenwirt trafen sich nie ein DDR-Bürger, ein Amerikaner und ein Sowjetmensch, sondern stets die ersten beiden - und ein Russe. Der Russenfilm schließlich etablierte eine neue Kunstform: Das Fantasiedrama, das behauptete, dokumentarisch zu sein.
Der Russe war nie fort, um nun allerdings mit Macht zurückzukehren. Was früher nicht sein durfte, ist nun Pflicht, der "Russe" darf wieder Russe sein.
Selbst wenn er Ukrainer ist. Als der ukrainische Torwart beim EM-Spiel gegen Schweden einen Ball mit gerade vor dem Körper ausgestreckten Unterarmen pariert, schlägt ihm der Kommentator des ZDF spontan vor, er könne sich bei der Volley-Nationalballmannschaft melden, die sei ja bei Olympia ja nicht chancenlos. Nach einer kurzen Pause schiebt er hinterher: Nein, er meine nicht die ukrainische, sondern die russische. Ist ja irgendwie alles immer noch Sowjetunion, da hinten.

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