Wieder jemand anderes hat mir vor einigen Wochen erzählt, dass eine Führungskraft aus dem Konzern, in dem er arbeitet, verlautbaren ließ, dass der so genannte Burnout keine Sache sei, die man sich in der Arbeit einhandle. Der Burnout-Patient infiziert sich gewissermaßen daheim damit. Er kommt ausgebrannt aus seiner Wohnung und seinem Privatleben und glaubt dann irrtümlich, es sei eine Art Arbeitsunfall geschehen. Wahrscheinlich wollte diese Führungskraft nur mal klarstellen, dass das Privatleben reduziert werden sollte, um am Arbeitsplatz bei voller Gesundheit erscheinen zu können. In manchen »Leistungsträgern« schlummert tatsächlich noch immer eine latente Bereitschaft zum Gulag.
Ich glaube zwar auch nicht, dass der Burnout eine komplette Arbeitserkrankung ist. Viel mehr spielen da verschiedene Komponenten des modernen Lebens mit hinein. Wobei Gontscharows »Oblomow« zu belegen scheint, dass es ausgebrannte Zeitgenossen auch schon gab, als dieses moderne Leben noch nicht den Takt angab. Aber Erscheinungen wie lange Arbeitswege, Hektik auf allen Wegen, Menschenaufläufe, dazu private Verpflichtungen oder familiäre Probleme, die in Zeiten der Hetze nicht mehr adäquat behandelt werden, können einem schon zusetzen und desillusionieren. Dieses Phänomen ist aber eben nicht ausschließlich privat. Und da die Menschen jeden Tag zwischen sieben und zwölf Stunden für die Arbeit aufbringen müssen, dürfte dieser Faktor natürlich primäre Ursache sein.
All diese Ratschläge und Empfehlungen, die man Leuten mit psychischer Erkrankung angedeihen lässt, erinnern mich immer an ein bestimmtes Lied der »Biermösl Blosn«: »Sind Sie ein armes Würschtel, Sozialhilfeempfänger? / Haben Sie bei der Bank schon seit längerem einen Hänger? / Macht Sie die nächste Ratenzahlung schon bang und bänger? / Dann werden Sie doch einfach reich / dann werden Sie doch einfach reich / und zwar nicht irgendwann, sondern am besten gleich / am besten gleich.« So simpel kann die Welt manchmal sein. Man muss sich halt nur wahlweise für den Reichtum oder für die seelische Gesundheit entscheiden, nicht wahr?
Worauf ich hinauswill: So richtig weiter sind wir nicht. Gut, die Menschen gehen nun mit ihren psychischen Geschichten zum Arzt, nehmen diese Symptome ernster als früher. Aber Verständnis bekommen sie von ihrem Umfeld noch immer nicht uneingeschränkt. Eine harte und raue Arbeitswelt, in der man nur durch schroffen Einsatz von Ellenbogen weiterkommt, erlaubt solche Kinkerlitzchen nicht. Das färbt auf alle Marktteilnehmer ab, sodass eben auch Kollegen das seelische Dilemma als übersensible Anwandlung abtun, die man gefälligst hintanstellen soll. Die zur Schau getragene Unaufgeklärtheit in dieser Frage präzisiert bloß, dass auch Kollegen in diesem System knapper Jobs und gewollter Prekarisierung nur Gegenspieler sind.
Von überall her kommen diese Unverständigen und Besserwisser, die einem erklären, dass seelisches Ungleichgewicht Eigenverantwortung sei, eine Frage schlechten Charakters oder einfach nur ein hypersensibilisierter Auswuchs, den man sich nicht leisten darf. Sie raten heutigen Schwermütigen wie zu Oblomows Zeiten Arbeit und geregelte Struktur. »Mensch, steh' auf, die Sonne scheint, raus aus den Federn, nur keine Traurigkeit vorschützen!« Als sei der eigene Antrieb etwas, was man auf Knopfdruck auslösen könne. Wie der Prokurist in Kafkas »Die Verwandlung« stehen sie vor Gregor Samsas Türe und mokieren sich, dass man »leichtes Unwohlsein sehr oft aus geschäftlichen Rücksichten einfach überwinden« müsse. Sie sind wie diese Leute von gestern. Noch nicht im Heute angelangt. Immer noch die alten Lieder singend. Stell dir vor es ist medizinischer Fortschritt - und keiner kapiert es.