Als Max Frisch den Neger dösen sah
- Historische Korrektheit ist wichtiger als politische Korrektheit -
von Thomas Baader
"Neger mit einem Mädchen, sie liegen an der Isar; der Neger döst gelassen vor sich hin, pflanzenhaft, während die kleine Blonde sich über ihn beugt, trunken, als wären vier Wände um sie."
Das hat 1946 Max Frisch geschrieben, als er sich im kriegszerstörten München aufhielt und seine Eindrücke sammelte. Ja, der Max Frisch, der das Stück "Andorra" verfasst hat, das Anderssein und Vorurteile zum Thema hat. In Frischs Beschreibung von München ist übrigens auch noch von einem "Krüppel" die Rede - auch das würde heute von selbsternannten PC-Sheriffs wohl beanstandet werden.
Neu ist die Debatte um die politisch korrekte Bereinigung von Literatur eigentlich nicht. Vom Bannstrahl der Sprachinquisitoren waren bereits schon ganz andere Autoren getroffen worden. Im Jahr 1983 erschien hierzu eine nette kleine Geschichte von Nat Hentoff mit dem Titel "The Day They Came to Arrest the Book". Darin soll es an einer amerikanischen High School Mark Twains "Huckleberry Finn" an den Kragen gehen - was keineswegs rein fiktiv ist. Anstoß erregt hier ein Wort, das noch sehr viel negativer konnotiert ist als "Neger" und ebenfalls zur Bezeichnung von Schwarzen verwendet wird (auf einer englischsprachigen Literaturseite entschuldigt sich übrigens ein Rezensent bezeichnenderweise dafür, dass er gleich das Wort "blacks", als "Schwarze", verwenden wird, das sei nun einmal in den 80ern so üblich gewesen und komme in dem Buch auch vor). Der korrektheitsbesessene Schulleiter Michael Moore - er heißt tatsächlich so - treibt seine Zensur sogar so weit, dass er Seiten aus der Bibel herausreißt.
Solche Michaels Moores melden sich nun auch in der Debatte um die Werke Astrid Lindgrens, Otfried Preußlers und Michael Endes zu Wort. Das Grundproblem dabei ist, dass zu viele ihre Stimme erheben, die zu wenig von Literatur und von der Geschichtlichkeit von Wörtern und Begriffen verstehen. Diesen Mangel an Kompetenz machen sie allerdings mit einem ausgeprägten Kontrollwahn wieder wett. Früher kamen die nach Anstößigem suchenden Schnüffler noch aus dem konservativ-reaktionären Lager, heute stehen sie zwar ganz weit links, sind aber deshalb um keinen Deut weniger besessene Eiferer - ständig betonend, dass es in Deutschland gar keine Political Correctness gäbe, und gleichzeitig schrill ihre Einhaltung einfordernd. Das hat auch Christine Nöstlinger ("Wir pfeifen auf den Gurkenkönig") erkannt:
"Das Fahnden nach politisch Unkorrektem ist sichtlich ein neuer Trend. In den vergangenen Jahrzehnten ging es um: zu viel Erotik, zu viel Aufmüpfigkeit, zu wenig gesittete Ausdrucksweise, zu wenig heile Welt und zu negativ beschriebene Lehrer und Mamas. Jetzt weht der Protestwind halt aus einer anderen Richtung. Aber ob nun Wind von rechts oder links, ganz gleichgültig, das geschieht, weil Kinderbücher nicht als richtige Literatur gelten, sondern als so etwas Ähnliches wie Erziehungspillen, eingewickelt in buntes G’schichterlpapier."
(http://www.zeit.de/2013/05/Kinderbuecher-Sprache-Political-Correctness-Christine-Noestlinger)
Aber dieser Tage schafft die politische Korrektheit es tatsächlich, sich selbst zu karikieren. Nöstlinger sieht sich einem Antisemitismusvorwurf ausgesetzt (ihr Gurkenkönig ist angeblich eine jüdische Gurke voller böser Stereotype) und die Türkische Gemeinde in Österreich geht gegen die Lego-Version des Palastes von Jabba the Hutt auf die Barrikaden (ja, das ist diese sprechende Teigrolle aus den Star Wars-Filmen), weil dieser klischeehaft den orientalischen Terroristen und Sklavenhalter schlechthin verkörpere. Man sieht: Die Satiriker werden dieser Tage arbeitslos, denn die Wirklichkeit können sie einfach nicht mehr überbieten.
Solange uns der Amoklauf der Political Correctness noch zum Lachen animiert, erfüllt er zumindest einen Zweck. Aber die Verunsicherung ist groß. Das folgende Beispiel ist nicht erfunden: Es kommt durchaus vor, dass Schüler (auch in der Oberstufe) in einer Klausur für einen Schwarzen die Bezeichnung "maximalpigmentierter Mensch" wählen - nicht etwa, um den Lehrer zu veralbern oder zu provozieren, sondern weil sie wirklich davon ausgehen, dass es sich dabei um den korrekten, "offiziellen" Begriff handelt. Offenbar traut man der Politicial Corectness etwas derartiges tatsächlich zu und ist durch die allgemeine Begriffsverwirrung nicht mehr in der Lage, satirische Übertreibung als solche wahrzunehmen.
In der ZEIT hat Ulrich Greiner mit Sachverstand und Humor die intellektuelle Dürftigkeit der Gegenseite überzeugend dargelegt. Die Passage, in der er sich mit dem umstrittenen Antisemitismusforscher Wolfgang Benz auseinandersetzt, verdient es, an dieser Stelle zitiert zu werden:
"Der Antisemitismus- und Rassismusforscher Wolfgang Benz hat vor einiger Zeit entdeckt, Astrid Lindgrens Buch sei »mit Ressentiments befrachtet« und von »Kolonialrassismus« gezeichnet. Beweis dessen: Pippi behaupte, alle Menschen im Kongo lögen.
Ja, sie sagt das, und es kommt so: Pippi geht eines Tages auf der Straße rückwärts. Von den Nachbarskindern Thomas und Annika darauf angesprochen, antwortet sie: »Leben wir etwa nicht in einem freien Land? Darf man nicht gehen, wie man möchte?« In Ägypten zum Beispiel, wo sie schon einmal gewesen sei, gingen alle Menschen so, und in Hinterindien liefen sie auf den Händen. »›Jetzt lügst du‹, sagte Thomas. Pippi überlegte einen Augenblick. ›Ja, du hast recht, ich lüge‹, sagte sie traurig. ›Lügen ist hässlich‹, sagte Annika. ›Ja, Lügen ist sehr hässlich‹, sagte Pippi noch trauriger. ›Aber ich vergesse es hin und wieder, weißt du. Und übrigens‹, fuhr sie fort, und sie strahlte über ihr ganzes sommersprossiges Gesicht, ›will ich euch sagen, dass es im Kongo keinen einzigen Menschen gibt, der die Wahrheit sagt. Sie lügen den ganzen Tag. Sie fangen früh um sieben an und hören nicht eher auf, als bis die Sonne untergegangen ist.‹«"
(http://www.zeit.de/2013/04/Kinderbuch-Sprache-Politisch-Korrekt/seite-1)
Wolfgang Benz ist nun eigentlich dafür bekannt, dass ihm so einiges entgeht. So ist dem Antisemitismusexperten bei einem Interview, das er der islamistischen Website "Muslim Markt" gegeben hat, beispielsweise nicht aufgefallen, dass dort Gedichte veröffentlicht werden, die das angebliche Streben der Juden nach Weltherrschaft zum Thema haben. Im Falle des Mörders von Toulouse, der vier Juden erschossen hat (darunter ein kleines Mädchen, das mit direkt aufgesetztem Kopfschuss hingerichtet wurde), kann Benz keine "neue Dimension des Antisemitismus" erkennen. Dafür erkennt er aber die kolonialrassistische Mentalität einer Pippi Langstrumpf sofort, wenn er sie sieht. Nur mit dem logischen Denken haperts dann ein wenig: Wenn ein Mädchen, dass sich selbst als Lügnerin bezeichnet, davon spricht, dass alle Menschen im Kongo Lügner wären, kann man getrost davon ausgehen, dass es sich dabei um eine Lüge handelt. Nicht bekannt ist bislang, ob Benz eine Studienreise nach Hinterindien plant, um zu überprüfen, ob die Menschen dort auch wirklich auf den Händen laufen.
Kurz, Ulrich Greiner entlarvt den PC-Kasperleverein als das, was er ist. Natürlich wird er dadurch selbst zur Zielscheibe. Mit reichlich Schaum vor dem Mund wirft Marius Münstermann Greiner "weißes Dominanzdenken" vor (http://www.eufrika.org/wordpress/2013/01/rassismus_in_kinderbuchern/) und Anneke Gerloff, die etwa auch das Thema "Deutschenfeindlichkeit" für erfunden hält (da fagt man sich allerdings, warum dann Sozialarbeiter, die an Schulen Projekte durchführen, dieses Phänomen im Zusammenhang mit Fremdenfeindlichkeit behandeln), reduziert Greiner in geradezu demagogischer Weise auf die Rolle des "weißen deutschen Feuilletonisten". Ein Blogger namens "momorulez" schließlich beklagt die "weiße" Perspektive (http://buehnenwatch.com/).
Warum eigentlich eine "weiße Perspektive"? Was hat dieser Ulrich Greiner eigentlich getan, um auf seine Hautfarbe reduziert zu werden (von der übrigens zum gegenwärtigen Zeitpunkt lediglich angenommen wird, dass sie hell ist - kaum einer der Kritiker dürfte Herrn Greiner schon einmal gesehen haben)? Warum billigt man ihm nicht eine "liberale Perspektive" zu? Oder eine, die kritisch gegenüber jeder Form der Sprachsteuerung ist? Vielleicht eine "linguistische Perspektive"? In jedem Fall könnte der Mann doch auch ganz einfach eine Perspekive eingenommen haben, die von Inhalten geprägt ist und nicht von seiner Hautfarbe. Warum also diese Unterstellungen?
Die Kritiker bewegen sich dabei auf sicherem ideologischen Boden. Der Irrsinn der "Whiteness Studies" hat längst schon Deutschland erreicht. Statt Rassentheorien zu überwinden, führt man sie in politisch korrekter Verkleidung fort. Dabei wird die Wertigkeitsskala der Nazis nahezu eins zu eins übernommen und als unveränderliche Diskriminierungsskala missbraucht: Ganz oben der weiße, nordische Typ, der alle anderen diskriminiert. Unten alle, die von den Nazis gehasst wurden, und das sind bekanntlich nicht wenige. Und wer nun äußert, dass er Wörte wie "Neger" nicht aus der Literatur verbannen möchte, der tut es natürlich, weil er weiß ist, und nicht etwa, weil er nachgedacht hat. So die Argumentation der einfältigen Sprachpolizisten. Mal ein Retourkutsche: Ist ihre Position denn eigentlich so viel weniger "weiß" - ein weißer, eurozentrischer Paternalismus, der davon ausgeht, der gedemütigte Schwarze benötige unbedingt zu seinem Schutze einen tapferen hellhäutigen Helfer? Man sieht, es würde auch so herum funktionieren.
Der politisch korrekte Rassenwahn scheitert letztlich, wie jede dieser kruden Theorien, an seinen eigenen inneren Widersprüchen. Statt dem Rassismus einen grundsoliden Humanismus entgegenzusetzen, d. h. das Menschsein zu thematisieren, wird nun das Weißsein als Inkarnation des Bösen thematisiert. Man muss deshalb noch lange nicht zu Vokabeln wie "antiweißer Rassismus" greifen - dafür sind die Ressentiments zu wenig konkret. Aber eine Weltsicht, die die "Weißen" als jene sieht, die zur Verantwortung gezogen werden müssen, die "anderen" hingegen als unmündige Kinder, die ihre eigenen Vorurteile niemals zu reflektieren brauchen, erfüllt die Kritieren eines "Rassismus der Antirassisten", wie Pascal Bruckner ihn umschrieben hat: Der "weiße" Antirassist behandelt andere "Weiße" wie Erwachsene, aber seine Mündel, die "Nicht-Weißen" bleiben von ihm, ihrem Fürsprecher, stets abhängig - ein Rassismus, der sich seiner selbst nicht bewusst ist. In Deutschland muss erst noch verstanden werden, dass militante Minderheitenschützer nicht das Gegenteil von Minderheitenhassern darstellen, sondern vielmehr einen Teil des Problems. Wer sind denn diese "Weißen", die ständig privilegiert werden, überhaupt? Sandra Maischberger sieht südländischer aus als Kenan Kolat. Ab wie wenig Pigmentierung ist man weiß? Aziz Bozkurt wiederum, der der "AG Integration und Vielfalt" der Berliner SPD vorsteht, bringt sich gerne gegen den Berliner Bezirksbürgermeister mit Formulierungen wie "der weiße privilegierte Buschkowsky" in Stellung. Man sieht: Man kann auch mal politisch korrekt die Sau rauslassen. Endlich!
Erinnert sei auch daran, dass die politische Korrekheit aus "Juden" bereits "jüdische Mitbürger" machen wollte. Aus den "Praktisch Bildbaren" (schon dieser Begriff verdient ein lautes "Autsch!") werden mittlerweile auch schon "seelenpflegebedürftige Menschen" (Doppel-"Autsch!"). Es ist nicht zu leugnen: Die PC-Bewegung ist ein Meister der Verschlimmbesserung. Erst müssen sich die geistig Behinderten sagen lassen, dass sie nur zu praktischen Dingen taugen, jetzt bedarf ihre Seele unserer Pflege. Und alles, weil man höflich sein will.
Ist es eigentlich überhaupt Höflichkeit? Vor einigen Jahren hat Asfa-Wossen Asserate, Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers, ein Buch über Höflichkeit und gute Umgangsformen geschrieben (Titel: "Manieren"). Als er sein Buch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vorstellte, definierte er Höflichkeit interessanterweise als das Gegenteil von Political Correctness. Und sollte jetzt jemand von der Gegenseite den Vorwurf erheben, ich bediente mich mit Herrn Asserate eines "Alibi-Negers", dann weiß ich wenigstens von da an ganz genau, wo die Rassisten sitzen - vielen Dank.
Aber was spricht eigentlich dagegen, Menschen so zu nennen, wie sie es gerne möchten? Nichts. Dummerweise sind aber nicht alle Menschen, die wir in eine Schublade packen, hinsichtlich dieser Bezeichnungen einer Ansicht. Es sei an die Differenzen zwischen dem Zentralrat der Sinti und Roma und der Sinti-Allianz bezüglich des Wortes "Zigeuner" erinnert. Während die letztgenannte Organisation den Gebrauch befürwortet, wittert der Zentralrat Rassismus. Pikanterweise hat der derzeitige Zentralratsvorsitzende vor Einführung des Begriffs "Sinti und Roma" in einer anderen Funktion die Bezeichnung "Zigeuner" selbst in öffentlichen Stellnungnahmen verwendet. Sind also bestimmte Begriffe grundsätzlich problematisch (und wir haben es bloß lange nicht erkannt) oder wurde bei einem an sich unproblematischen Begriff das Problem erst künstlich (und erfolgreich) herbeigeredet? Eine allgemeine Antwort kann es hier nicht geben, die Entscheidung wird im Einzelfall getroffen werden müssen. Aber deutlich wird: Die Dinge sind fast niemals so schwarz und weiß, wie es die Political Corectness gerne hätte. Entsprechend sieht Umberto Eco in der PC den Versuch der sprachlichen Kaschierung eines Problems, das man nicht zu lösen imstande ist.
In der Literatur ist es durchaus ein Vorteil, wenn uns im "Huckleberry Finn" der "Nigger" begegnet, in der "Kleinen Hexe" der "Neger" und in "Pippi Langstrumpf" der "Negerkönig". Otfried Preußlers Verlag ist zwar anderer Ansicht - man müsse Bücher "dem sprachlichen und politischen Wandel anpassen. Nur so bleiben sie zeitlos, diese Begriffe sind nicht mehr zeitgemäß, entsprechen nicht mehr dem heutigen Menschenbild." Ja, müssen die Bücher von damals denn eigentlich überhaupt dem heutigen Menschenbild entsprechen? Fremd ist nicht nur die andere Kultur, sondern auch die andere Zeit. Und die Begegnung mit der Fremdheit kann bekanntlich etwas sehr Wertvolles sein. Wenn man in einem literarischen Werk, das in einer anderen Zeit erschienen ist, die aus heutiger Sicht problematischen Begriffe tilgt, dann bringt man den Leser um diese Erfahrung der Fremdheit. Fremdenfeindlich, wenn man so will, ist also die Zensur. Zudem ist sich auch noch grob verfälschend. Sollen die Weißen in "Huckleberry Finn" denn Jim nicht mehr als "Nigger", sondern als "unseren afrokamerikanischen Freund" bezeichnen? Das haben sie nun mal damals nicht getan und wer hier korrigierend eingreift, zeichnet von dieser Slavenhaltergesellschaft ein freundlicheres Bild, als es historisch korrekt wäre. Historische Korrektheit verdient zweifellos den Vorrang vor politischer Korrektheit. Die letztere hat was mit Empörung und Selbstinszenierung zu tun, die erstgenannte mit Wissen.
Es geht bei der Beibehaltung der ursprünglichen Begrifflichkeiten also auch immer um Wissensvermittlung. Und genau das Wissen ist es, das so vielen PC-Besessenen fehlt. Paul Maar, der Schöpfer des Sams, sagt etwa im Deutschlandradio: "Wenn ein Inuit sich als Eskimo in einem Buch wiederfindet, findet er das auch nicht gut, weil Eskimo ja ein absolutes Schimpfwort ist, das die Indianer für die Eskimos oder für die Inuit genauer gesagt erfunden haben." (http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1971455/)
Unfreiwillig komisch ist dieser Satz deshalb, weil Maar bei seiner Argumentation gegen das politisch inkorrekte Wort "Eskimo" freimütig auf das politisch inkorrekte Wort "Indianer" zurückgreift. Und hätte Maar mal vorher mal kurz bei Wikipedia reingeschaut, hätte er erfahren, dass das Wort Inuit "nicht im Wortschatz aller um den Nordpol lebenden Volksgruppen enthalten" ist und dass daher "Inuit" auch "kein Ersatz für den Terminus Eskimo" sein kann. "Inuit" ist nur in Grönland und Kanada gebräuchlich, nicht aber in Alaska und auf den Aleuten. Aber auch im kanadischen Territorium Nunavut existiert eine "West Baffin Eskimo Cooperative". Dass das Wort "Eskimo" "Rohfleischfresser" bedeute, ist nach neuesten linguistischen Forschungen übrigens vermutlich ein Mythos. Aber dieser Mythos war nachweislich die Ursache dafür, dass in den 70ern in Kanada der Begriff "Eskimo" tabuisiert und von den Betroffenen als beleidigend empfunden wurde. Sich beleidigt zu fühlen ist vorranging eine emotionale Angelegenheit und kann, wie man sehen kann, auf Falschinformationen beruhen. Hätte man schon damals herausgefunden, dass die "Rohfleischfresser"-These falsch ist, wer weiß, vielleicht wäre "Eskimo" niemals zum Unwort geworden (siehe hierzu auch: http://alt-usage-english.org/excerpts/fxeskimo.html). Aber PC-Fanatiker gehen auf Argumente dieser Art nicht ein, sie beharren auch dann auf ihren Irrtümern, wenn dieses längst erwiesen sind. Argumentativ sind sie äußerst schwach aufgestellt, dafür haben sie aber umso mehr Wut im Bauch.
Laut einer Emnid-Umfrage sprechen sich 50% der Deutschen dafür aus, "Neger" und "Zigeuner" aus Kinderbüchern zu entfernen, 48% wollen diese Wörter beibehalten. Die Zahlen verändern sich jedoch mit steigender Bildung: 85 Prozent der Volksschüler ohne Lehre befürworten die Zensur, aber nur 37 Prozent der Befragten mit Hochschulreife. Durch diese Umfrage erfährt die hier vertretene Position empirische Bestätigung: Je gebildeter ein Mensch ist, desto mehr versteht er von den eigentlichen Sachverhalten und desto weniger geht er den Sprachpolizisten auf den Leim. Es sollte auch niemanden verwundern, dass sich bereits der Deutsche Lehrerverband und der Deutsche Philologenverband für die Beibehaltung der historischen Textfassung ausgesprochen haben.
Es wird nicht die letzte PC-Debatte gewesen sein, die Deutschland führt. Dabei hatte Dieter E. Zimmer bereits in den 90er Jahren im Zuge scharfsinniger Analsyen alles gesagt, was nötig ist. Seine Texte sind im Internet zu finden und auch heute noch von ungebrochener Aktualität. Die Google-Suche und anschließende Lektüre lohnt sich also. Manchmal tut es allerdings auch eine Folge der Simpsons: In einem Halloween Special kommt es zu einer dramatischen Begegnung mit Untoten. Lisa brüllt voller Angst: "Zombies!" Bart spricht daraufhin tadelnd: "Ich glaube, sie haben es lieber, wenn man sie vermindert Lebensfähige nennt."
Und bei Max Frisch döst der amerikanische GI mit seiner deutschen Freundin noch immer friedlich an der Isar, ungestört vom PC-Wahn anderer Zeiten, "als wären vier Wände um sie".