Als ich auf „Leona – Die Würfel sind gefallen“ aufmerksam…

Als ich auf  „Leona – Die Würfel sind gefallen“ aufmerksam… … wurde, dachte ich mir zunächst einmal, dass dies ein völlig anderes Konzept wäre, als die anderen Krimis und Thriller, die ich bisher so gelesen hatte. Die Autorin Jenny Rogneby hat es geschafft, einen Thriller zu konzipieren, der hinsichtlich so vieler Aspekte gänzlich neu erschien.
Da war zum einen das kleine Mädchen, die Bankräuberin, die nur sieben Jahre alt war und als einzige Waffe einen Kassettenrekorder mitbrachte. Dann war da auch noch die Sache mit den Medien und die Darstellung der Medienarbeit, das hatte ich bisher in dieser Form auch noch nicht in einem Buch erlebt.
Schließlich die Überlegung, die Vielschichtigkeit, der Protagonisten, der Ermittler, die alle irgendwie komplex und unberechenbar wirkten, gleichzeitig aber auch nicht wirklich sympathisch. Wobei auch unsympathisch als Antwort absolut unpassend gewesen wäre. Man wird mit diesem Protagonisten konfrontiert, man erlebt sie und erlebt sie doch nicht.Die Protagonisten wirken dabei menschlicher und vielschichtiger als man dies bei einem Buch dieser Art erwarten würde.
Ich selbst habe ja schon einige Krimis und Thriller gelesen. Allerdings habe ich bislang kein einziges Buch erlebt, bei dem Eigenschaften von Protagonisten nur dazu genutzt wurden, diese lebendiger erscheinen zu lassen. Jenny Rogneby schafft es jedoch durch viele Details bei der Planung ihrer Charaktere ebenso interessante wie komplexe Protagonisten zu schaffen. Protagonisten, die in ihrer Vielschichtigkeit letztendlich dazu führen, dass man viel zu sehr von der eigentlichen Geschichte abgelenkt wird. Eine Vielschichtigkeit, die vermeidet, dass es irgendwie emotional wird und doch ist es genau die Vielschichtigkeit der Charaktere, die eine gewisse Emotionalität auslöst.
Was sich zunächst wie ein kolossaler Widerspruch anhört, entpuppt sich doch als in seiner Paradoxie absolut nachvollziehbar und nahe liegend.

Die Charaktere als echte Menschen

Betrachtet man die hier beschriebenen Charaktere unter dem Aspekt wie glaubwürdig diese sind, so könnte man behaupten, dass die hier beschriebenen Protagonisten die glaubwürdigen Charaktere sind über die man je in einem Buch gelesen hat. Doch genau diese Komplexität ist es auch, die so schwierig macht dem Protagonisten in ihrer eigenen Gedankenwelt zu folgen, ebenso schwierig ist es sie all ihrer Komplexität zu erfassen und nachzuvollziehen. Fast schon scheint es so, als ob sich Jenny Rogneby selbst lebendige Vorbilder genommen hat und doch weiß man das alles ist Fiktion.

Der Inhalt

Kommen wir nun zur Geschichte des Buches, die ebenso Komplexität ist ihre Protagonisten. Fangen wir zunächst mit dem Klappentext an:
„Dieser Bestseller aus Schweden hat die Krimiszene auf den Kopf gestellt: Was Sie mit der Ermittlerin Leona Lindberg erleben, werden Sie nicht wieder vergessen. Glauben Sie nichts – und machen Sie sich auf alles gefasst.
Stockholm: Ein siebenjähriges Mädchen betritt blutüberströmt eine Bank und schaltet einen Kassettenrekorder ein. Eine Stimme fordert Geld im Austausch für das Leben des Kindes. Die Angestellten sind entsetzt. Kurz darauf verlässt das Mädchen die Bank mit sieben Millionen Kronen und verschwindet. Der Fall macht Schlagzeilen. Bei der Polizei wird Leona Lindberg mit den Ermittlungen beauftragt. Leona ist 34, verheiratet und selbst Mutter von zwei Kindern. Sie gilt als Außenseiterin, doch ihr Ruf ist tadellos. Aber diesmal führen ihre Ermittlungen in eine Sackgasse, denn von dem Mädchen fehlt jede Spur. Und jeder scheint etwas zu verbergen. Allen voran Leona selbst.“ (Quelle: Atrium Verlag)
Was zunächst einmal klingt wie eine wirklich spannende Geschichte entpuppt sich schnell, bei dem der Krimi, der hier eigentlich beschrieben werden sollte, in den Hintergrund rückt. Vielmehr scheint es hierbei um eine Art Psychologie einer Mini-Gesellschaft zu gehen.
Denn was wir tatsächlich haben ist etwas anderes als in klassischen Krimi. Natürlich gibt es hier Erzählperspektiven aus Sicht des Kindes, also der Bankräuberin und aus Sicht der Kommissare. Was wir aber zudem auch noch bekommen, ist die Aufzeichnung dessen, was zwischen den Menschen passiert. Wir bekommen eine Demonstration, wie das Zusammenspiel der einzelnen Protagonisten miteinander, gegeneinander und aufeinander abgestimmt korrespondiert. Was wir außerdem bekommen ist eine vielschichtige Darstellung der Emotionalität einzelner Protagonisten.
Wir sehen zum Beispiel ein Mädchen, das von ihrem Papa dazu motiviert wird, einen Bankraub zu begehen, etwas, das in unserem Verständnis eine Eltern-Kind-Beziehung so nicht vorgesehen ist, dass genau deshalb, weil es nicht vorgesehen ist so unfassbar kriminell ist, so unfassbar unglaubwürdig, dass es schon wieder glaubwürdig ist.
Jenny Rogneby zeigt also die unterschiedlichen Facetten menschlichen Zusammenlebens auf, etwas das ich mehr in einer Gesellschaftskritik vermutet hätte, als in einem Krimi. Wobei es auch einen Krimi durchaus spannend werden lässt, wenn man die psychologischen Zusammenhänge, die gesellschaftlichen Ereignisse und Entwicklungen berücksichtigt. Problematisch wird dieses jedoch, wenn sich die unterschiedlichen Facetten gegenseitig blockieren. Somit könnte man sagen, Jenny Rogneby ist es in einer Art Meisterstück gelungen, ein Krimi zu erschaffen, der so verwoben ist, wie die einzelnen Fäden eines Teppichs. Nichts von dem gesamten Werk lässt sich so ohne weiteres herauslesen, nichts von alledem was in diesem Buch passiert, ist vorhersehbar oder gar erwartbar.
Um so ein Buch, einen Krimi mit so viel Sinn für Psychologie und dem Wesen des Menschen, zu schaffen, muss man selbst hinter viele Masken und Trugbilder geschaut haben, man muss sich mit dem komplexen Wesen Mensch näher beschäftigt haben, als dies üblicherweise geschieht.

Die Autorin Jenny Rogneby

Von der Autorin Jenny Rogneby habe ich bis dato noch nie etwas gehört, sie war mir also gänzlich unbekannt und doch war mir das Buch zunächst gar nicht so unsympathisch, da es mich, wie ich ja bereits beschrieben habe, sehr überraschen konnte. Das jedoch ist vor dem Hintergrund der vom Verlag angegebenen Biografie der Autorin keine große Überraschung:
„Jenny Rogneby wurde 1974 in Äthiopien geboren und als Ein jährige zur Adoption freigegeben. Sie wuchs im Norden von Schweden auf, wo ihre Adoptiveltern früh ihr musikalisches Talent entdeckten. Jenny Rogneby machte Karriere als Sängerin und stand u. a. mit Michael Jackson auf der Bühne. Sie studierte Kriminologie und arbeitete als Ermittlerin bei der Stockholmer Polizei. Über ihre Arbeit kam ihr die Idee für die Figur der Leona. Der erste Band der Trilogie wurde auf Anhieb ein Bestseller und wird in zehn Ländern erscheinen.“ (Quelle:Atrium Verlag)

Der Stil des Buches

Über die Komplexität des Buches habe ich bereits im Rahmen der inhaltlichen Betrachtung eine ganze Menge angesprochen, doch auch der Stil ist durchaus ungewöhnlich. Ungewöhnlich vor allem deshalb, weil die Emotionalität der Handlung nicht durch den Stil des geschriebenen transportiert wird, sondern durch die Handlung selbst, die jedoch so komplex ist, dass ein natürlicher Spannungsbogen, der eigentlich kein Spannungsbogen ist, entsteht.
Dieses Buch arbeitet, ob gewollt oder ungewollt, vor allem mit Paradoxien, die das Buch in seiner Entwicklung wiederum spannend erscheinen lassen, die eigentliche Handlung jedoch verliert in dem Moment an Spannung, und die Figuren in ihrer Vielschichtigkeit an Menschlichkeit gewinnen.
Gleichzeitig wird die Menschlichkeit durch die Handlung selber wiederum zurückgefahren, denn die Handlung selber ist alles andere als menschlich, fast schon bestialisch möchte man annehmen. Diese Art des Schreibens zeigt die Kunst des Verbrechens, dass hier dargestellt wurde, ist ein Buch, das ohne menschliche Emotionalität eine bestialische Emotionalität auszustrahlen scheint und etwas das zuvor als unvorstellbar galt, ist plötzlich so vorstellbar, dass es realistisch wird.
Wie oft sehen wir uns in der Realität Verbrechen konfrontiert, die auf den ersten Blick so unvorstellbar, so tragisch und unfassbar erscheinen, dass sie unglaubwürdig, tragisch und absolut erschütternd wirken. Entsprechen diese Verbrechen genau aus diesem Grunde dann nicht der Realität? Nun, ich würde behaupten, das kann man so nicht sagen, denn ein real vorgefallene Verbrechen als nicht real zu bezeichnen nur weil es für unseren Geist unvorstellbar ist, bedeutet nicht dass es nicht tatsächlich vorgefallen ist, es bedeutet lediglich, dass es unserer Psyche, unserem Geist, besser geht als jenem der diese Tat durchgeführt hat.
Was ich an dieser Stelle sagen möchte, das ich behaupte, die Autorin Jenny Rogneby sei selbst eine psychisch beeinträchtigte Person, dass sie sich das vorstellen können, sondern lediglich, dass sie bereits so viele Erfahrungen durch die Realität sammeln musste, dass ich mir sicher bin, dass sie in genau solche psychischen Abgründe und daraus folgenden Taten hineinschauen musste. Sie musste hinsehen, um als Ermittlerin jene Fälle aufzuklären.
Wahrscheinlich sind es genau solche Erfahrungen gewesen, die sie zu einer perfekten Thrillerautorin macht, die uns mit ihrer perfiden Handlung schockiert zurücklässt.

Der Versuch eines Fazits

An dieser Stelle ist es nun schwierig, ein Fazit zu ziehen, vor allem aus dem Grunde, da ich nicht weiß, wie ihr als Leser die einzelnen Szenen und Kapitel, die das Buch nicht unbedingt leichter werden lassen, interpretiert und versteht. Ich weiß nicht, wie stabil eure Fantasie mit dem zusammenpasst, was psychologisch präsentiert wird, eine Sache kann ich jedoch sagen. Mit diesem Buch ist der Umgang und somit auch die Bewertung nicht ganz so einfach, weswegen ich jedem einzelnen selbst die Frage unbeantwortet lassen muss, ob ich ihm oder ihr das Buch empfehlen würde. Ich weiß nicht, ob du dieses Buch lesen möchtest, habe keine Vorstellung davon, was du bisher gelesen hast. Eine Sache, nein eigentlich sind es zwei, kann ich jedoch anmerken. Nicht geeignet, die in ihrer gedanklichen Reife sicher noch nicht so weit sind, jenen Facetten des Menschen zu begegnen.
Sicher, wer Steven King liest, sollte auch hier keine echten psychischen Probleme bekommen, hier jedoch ist insbesondere aufgrund der Komplexität der Geschichte das Niveau der Erzählung und der Belastung durch das Lesen des Buches ein anderes.
Ich denke, jeder, der mit dem Gedanken spielt, dieses Buch zu lesen, sollte zunächst einmal hinterfragen, was er von diesem Buch erwartet. Erwartet er locker leichte Unterhaltung, die spannend und irgendwie kriminell zugleich ist, dann sollte er oder sie vielleicht lieber zu einem anderen Buch greifen. Erwartet er jedoch komplexe, abgründige psychiatrische Darstellungen, bei dem er selbst zu mitdenken angeregt wird, und benötigt er keinerlei Sympathie für Protagonisten, dann kann er getrost zu diesem Buch greifen. Denn eins doch am Ende festhalten, eine wirkliche Beziehung zum Protagonisten hat sich zu keiner Zeit ergeben.

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