Als Dinosaurier die Erde beherrschten

Von Stefan Sasse

Als Dinosaurier die Erde beherrschten

Aktuelles Foto von Kurt Biedenkopf

Zugegeben, als am Ende des Action-Reißers "Jurassic Park" seinerzeit ein Banner mit der Aufschrift "Als Dinosaurier die Erde beherrschten" direkt vor einem herummarodierenden Tyrannosaurus Rex herunterfiel, war die Ironie und Moral schon mit dem Holzhammer. Kurt Biedenkopf haben wir es zu verdanken, dass das heutzutage subtiler geschieht. Er hat nämlich ein neues Buch geschrieben, das den eindringlichen Titel "Wir haben die Wahl" trägt. Wer jetzt an ein deutsches "Yes, we can!" und eine Merkelelogie glaubt, ist aber schief gewickelt, denn unter einer Grundsatzentscheidung über das zukünftige Wohl und Wehe der Republik macht es Biedenkopf nicht: "Freiheit oder Vater Staat", das verrät der Untertitel, stehen scheinbar zur Auswahl. Im Buch selbst findet sich dann eine Auflistung der üblichen Unwahrheiten: die Reichsten tragen 55% der Steuerlast, der Staat erstickt die Freiheit, der Sozialstaat ist unser aller Untergang, blabla. Um 2004 hätte Biedenkopf mit diesem Buch begeisterte Rezensionen von Spiegel bis Welt eingeheimst, jetzt reicht es immerhin für einen müden Verriss in der Zeit, die die berechtigte Frage stellt, ob es im intellektuellen Ideenschrank nicht vielleicht auch mal was Neues gebe. Nun, Dinosaurier haben noch selten eingesehen warum sie nicht mehr für ihre Umgebung geeignet sind. Man muss es ihnen nachsehen, sie waren auch diverse Millionen Jahre an der Macht, zumindest gefühlt. 
Was Biedenkopf immerhin von den Neoliberalas wie Gabor Steingart oder Friedrich Merz unterscheidet, ist sein spezifisch konservativer Ansatz. Der Mann ist ja schließlich nicht liberal, das sollte man um Gottes Willen nie annehmen. Ihm bleibt nicht völlig verborgen, dass ohne den Sozialstaat eine klitzekleine Lücke im Gesellschaftsgefüge entsteht. Diese gedenkt er mit einer rasend originellen Idee zu schließen: die Familie soll einspringen. Man muss den Zeit-Artikel hier direkt zitieren: »Subsidiarität« heißt Biedenkopfs Gegenwort zum sozialistischen Zwangsstaat, und in warmen Tönen ruft er die Familiensolidarität und die »kleinen Lebenskreise« auf – allerdings in nostalgischer Unschärfe, denn in Ludwig Erhards Utopie einer nivellierten Mittelstandsgesellschaft von Eigentumsbürgern war die Voraussetzung der subsidiären Ordnung ein Einkommen, das für das selbstverantwortliche Leben einer Familie ausreicht. Eine Gesellschaft, in der »eine kleine Schicht Wohlhabender einer großen Masse sozial schwacher Einkommensgruppen entgegensteht«, fand Erhard, dem das Buch gewidmet ist: »reaktionär«.Biedenkopfs Ruf nach Subsidiarität hingegen ertönt in einer Situation, in der ebendiese Polarisierung zunimmt. Die »subsidiäre« Verantwortung und die »Wärme und Geborgenheit« von Familie und »kleinen Lebenskreisen« wurden durch 150 Jahre industriegesellschaftlichen Wachstums geschwächt und durch sozialstaatliche Regelungen ersetzt, nicht zuletzt, weil Markt und Mobilität sie dysfunktional machten oder kommerzialisierten. Und nun, in einer Zeit, in der die schrankenlos gewordene Wirtschaft »sich den wohlfahrtsstaatlichen Zumutungen [!] entzieht«, sollen sie wiederauferstehen – als Nothelfer in der Wende zum Weniger.
Gigantischer Plan. In einer Zeit, in der es dem ausgreifenden Sozialstaat irgendwie gelungen ist, Leiharbeit und Ein-Euro-Jobs sowie geringfügige Beschäftigung zum Leitbild zu erheben - interessant, wie man selbst das dieser ollen Krake unterschieben kann - soll das alte, patriarchalische Familienbild fröhliche Urständ feiern, wo ein (männlicher) Haupternährer alle versorgt. Wie das funktioniert, sagt Biedenkopf natürlich nicht, aber das macht ja nix. Wenn ein Dinosaurier nichts mehr zu fressen findet, sagt er sich auch, dass es früher schließlich auch immer was gab und ignoriert einfach die Realität. Ich hege allerdings berechtigte Zweifel daran, dass jemals jemand die Fossilien von Biedenkopf für einen Park klonen will. Obwohl es natürlich unter Umständen ganz erheiternd sein kann, Dinosaurier seiner Gattung in ein paar Jahrhunderten in ihrem natürlichen Habitat zu bewundern. Wer weiß. Aktuell warten wir jedenfalls auf ihr Aussterben.

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