WEIMAR. (fgw) Sabine Wassermann hat jetzt mit »Die Wikingersklavin« einen historischen Roman über die Zeit um die Mitte des 11. Jahrhunderts vorgelegt. Es ist die Zeit, als der bislang heidnische Norden Europas (insbesondere Norwegen) gewaltsam christianisiert wurde. Und zu dieser Zeit gelang auch dem Normannen-Herzog Wilhelm (der Eroberer) die Invasion Englands und seine Inthronisation als dessen König. Vor diesem realen geschichtlichen Hintergrund spielt die Geschichte um Sophia, Askell und Aidan.
Askell, der Schmied aus Norwegen, kauft sich während einer Handelsreise in Haithabu eine Sklavin namens Sophia. Sie ist die Tochter eines Kürschners aus Weyhe bei Bremen, die während eines Raubzuges von Friesen geraubt worden war. Der dritte Protagonist ist Aidan, ein angelsächsischer Mönch, den es ebenfalls über verschlungene Wege als Sklaven in die Hände Askells verschlagen hat. Askell hängt nach wie vor dem alten heidnischen Asen-Glauben an, als einer der letzten in seiner heimatlichen Siedlung. Sophia ist naiv-gläubige Christin, die sich daher besonders zu ihrem Bruder im Geiste Aidan hingezogen fühlt. Askell suchte aber keine Sklavin im eigentlichen Sinne, sondern menschliche Nähe und Wärme, sprich eine Frau an seiner Seite.
Auf der Rückreise per Schiff in Askells Heimat geschieht ein fürchterliches Unglück, denn dieser wird Opfer eines Mordanschlages seiner eigenen Landsleute. Sophia und Aidan retten sich durch einen Sprung ins eisige Wasser; wenig später wird auch der schwerverletzte Askell an Land gespült. Gegenseitig helfen sie sich beim Überleben und treten zu Fuß den beschwerlichen Weg in Askells Dorf an. Hier sind sie jedoch nicht willkommen. Und so kommen auf diese drei Menschen noch viele unglückselige Wendungen zu: Die Christin Sophia bleibt Sklavin unter Christen, während es Askell und Aidan auf einen Kriegszug der Norweger nach England verschlägt. Askell muß aber noch in der Heimat fürchterliches erleiden. Beide Männer werden mehrmals in schier ausweglose Situationen verwickelt. Bis sie schließlich zurück in Askells Dorf kommen. Hier hatte Askells Vater Vitnir, der Häuptling dieses Anwesens, Sophia zu seiner Geliebten gemacht. Doch kaum sind die drei Protagonisten wieder vereint, da überfallen Dänen das Dorf - mordend und raubend. Es geht nun um das Überleben einer ganzen Gemeinschaft. Just zu dieser Zeit löst sich auch das merkwürdige Geheimnis um die Beziehungen zwischen Vater und Sohn. Schließlich ziehen Askell und Sophia von dannen - in deren Heimat, um dort ein neues Leben anzufangen. Aidan bleibt in Norwegen, um Menschen für seinen Glauben zu gewinnen. Weitere nicht unwichtige Personen sind Askells kleine Schwester Asla, die geistig behindert ist, sowie die slawischen Sklavenzwillinge Jasna und Wojslaw, die wie Askell ihrem eigenen heidnischen Glauben anhängen.
Weiteres soll zum Inhalt des Romans nicht gesagt werden. Es geht nicht nur um Freiheit und Gefangenschaft, sondern auch um (nicht eingestandene und offenbarte Liebe) und vor allem um Freundschaft und Treue zwischen eigentlich ungleichen Menschen. Nicht minder geht es um das Überleben in einer rohen Gesellschaft in rauer Landschaft. Was müssen, was können Menschen alles erdulden, wenn es ums nackte Überleben geht? Was kann Hoffnung spenden? Wie kann der eigene Stolz in schwierigen Situationen überwunden werden? Auf diese Fragen geht Sabine Wassermann auf überzeugende Weise ein.
Daher ist dieser Abenteuerroman keine einfache Lektüre. Die Autorin schont ihre Leserschaft nicht, denn sie scheut sich nicht, die Dinge ungeschönt beim Namen zu nennen. Das Schicksal der Hauptpersonen rührt an, wird aber zu keiner Zeit rührselig und bleibt realistisch dargestellt.
Die Autorin hat nicht vom Gutmenschen-Standpunkt aus geschrieben und verurteilt das damalige menschliche Handeln nicht aus heutiger Sicht (wie z.B. das Aussetzen alter und nutzlos gewordener Menschen), sondern verortet alles Geschehen in die Zeit der Handlung.
Was die Autorin vielleicht gar nicht so beabsichtigt hat: Dieser Roman ist nicht so sehr ein historischer Liebes- und Abenteuerroman - er ist auf eine ganz besondere Weise auch ein ansprechendes Beispiel für Kirchenkritik. Vielleicht deshalb ist der Mönch Aidan der heimliche Hauptheld des Romans. Denn dieser lebt das, an das er glaubt: Mitmenschlichkeit, uneigennützige Hilfsbereitschaft, Treue, Aufrichtigkeit. So wie sich naive Gemüter wohl immer noch das Missionieren vieler Völker einbilden. Nein, bei der Autorin gibt es trotz Aidans Vorbildhaftigkeit kein Relativieren der gewaltsamen Christianisierung, die nicht nur damals und dort nach dem Grundsatz »Taufe oder Tod« erfolgte. Wobei viele heidnische Stammesfürsten sich gerne bekehren ließen, ließ sich doch dann (vielfach bis heute) ihre Herrschaft durch »von Gottes Gnaden« legitimieren und nicht durch Thingversammlungen. Und zugleich konnten die Untertanen für alle Lebenswidrigkeit auf Jenseits vertröstet werden…
Einige Textpassagen sollen gerade diesen Aspekt des Romans hervorheben:
Sophias Erkenntnis: »Aber es gab so viele Sklaven, so viele Unglückliche. Auch ihr Vater hatte einen Sklaven besessen. Das nahe gelegene Kloster hatte Sklaven besessen. Der Bischof in Bremen. Warum sollte Gott eingreifen und ihr helfen?« (S. 20)
Ein Norweger sagt im Gasthaus: »Getauft bin ich seit zwanzig Jahren. Aber damals, als ich als junger Kerl ins Taufgewand gesteckt wurde, hat man mir den Glauben nicht ordentlich erklärt. Und wirklich verstanden habe ich ihn seitdem nie. Warum zum Beispiel soll man hierzulande glauben, was aus so einem fernen Land kommt? Hatten sich denn unsere Götter um Wüstenländer gekümmert? Vor Jahren versprach ich ein Säckchen Silber dem Mann, der es mir erklären kann. Es wartet immer noch in seinem Erdversteck.« (S. 60)
Und später im Gespräch mit einem Krieger: »Du? Ein Heide durch und durch? Hast dich etwa taufen lassen, um diesen Auftrag zu bekommen?‹ Der Fremde winkte ab und grinste. ›Ich habe mich bereits dreimal taufen lassen, jedes Mal in einer anderen Kirche - wegen der guten Leinenhemden, die man bekommt. Mein Weib freut sich darüber jedes Mal.« (S. 84)
Askell in einem Streitgespräch: »Aber während sie kämpften, eroberten klammheimlich Christenpriester ihr eigenes Land, und sie merkten es gar nicht. (…) Erst wenn alle Welt christlich ist und eure Söhne zu Bauern geworden sind, die den Zehnt in die Kirche schleppen, werdet ihr begreifen, was da geschehen ist. (…) Und solange unser Volk das nicht erkennt, wird es sich einlullen lassen von wohlfeilen Worten, die uns Kraft und Wesen rauben. (…) Und dann küssen wir kniend die Gewandsäume der Bischöfe, häufen unser Silber vor ihnen auf und reiben verwundert die Augen, weil wir nicht begreifen, wie es so weit kommen konnte.« (S. 90 - 93)
Ein Bischof kommt ins Dorf und Sophia, voller christlicher Naivität, bittet ihn, ihr bei ihrer Freilassung zu helfen. Der Bischof antwortet eiskalt von oben herab: »Paulus schreibt ja in einem Brief an die Gemeinde zu Kolossä, daß ein Sklave seinem irdischen Herrn gehorchen solle. Ebenso Petrus: ›Ordnet euch unter, ihr Sklaven, nicht nur den gütigen und freundlichen Herrn, sondern auch den übleren.‹ (…) Daß du in die Sklaverei geraten bist, wird schon seinen Grund haben. Manch eine Seele braucht Schläge, um zu reifen. Und wenn Gott dich in die Hände ausgerechnet dieses Mannes gegeben hat, brauchst du wohl besonders harte Schläge.« (S. 98/99)
Und als Askell seinem heidnischen Glauben nicht abschwören will, fällt der Bischof sein christliches Urteil und teilt dies dem Mönch Aidan mit: »Ich wollte ein gutes Werk an ihm tun: Ich wollte, daß er seinen Götzen abschwört. Aber aus seinem Mund kam nur Schmutz. (…) Ihn getötet? Das nicht, aber ich war nicht milde: Im Vergleich zu jenen, die früher mit Feuer und Schwert missioniert haben, natürlich doch, denn mir liegt an seiner Bußfertigkeit, nicht an seinem Tod. Glaub mir, Bruder Aidan, ich habe ihm einen Gefallen getan, damit er nicht mehr das Wort gegen den wahren Gott erheben kann…« (S. 212) - Der Bischof hatte Askell gefesselt und nackt in einen Schweinekoben sperren und ihm die Zunge abschneiden lassen. Diese wurde dann den Schweinen zum Fraß vorgeworfen…
Das mag genügen.
Man erfährt bei der Lektüre aber auch einiges über die alten heidnischen Mythen, die auch alles andere als humanistisch waren.
Herausgekommen ist so ein durchaus authentisches Sittenbild der nordeuropäischen Gesellschaft in der Mitte der 11. Jahrhunderts fernab jeglicher Mittelalterverklärung. Auch fernab jeder Mystifizierung der Wikinger und des Asenglaubens, was sicherlich Anhänger neuheidnischer Gruppen nicht freuen dürfte. Alles in allem: Ein gut geschriebenes Buch über eine längst vergangene Zeit, das in seiner Handlung nicht an Oberflächlichkeiten verharrt, sondern in die Tiefe geht. Und bei alledem doch voller Spannung bleibt.
Siegfried R. Krebs
[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]
Sabine Wassermann: Die Wikingersklavin. Roman. 322 S. Hardcover m.Schutzumschl. Edition Aglaia im Bookspot-Verlag. München 2013. 17,95 Euro. ISBN 978-3-937357-62-1