An den Tag, da Karsten Wettberg bei den Münchner Löwen entlassen wurde, erinnere ich mich noch gut. Ich weiß nicht mehr genau, wann das war. Irgendwann im Juni 1992. Ich las im Teletext des Bayerischen Fernsehens davon und versuchte dann, mehrere Infos zu erhaschen. Der Mann war schließlich sowas wie ein Held meiner Kindheit. Da will man doch informiert sein. Ich lauschte im Radio, wartete die Nachrichten ab - aber nichts. Immer wieder bemühte ich den Teletext und schaltete abermals das Radio an. Nichts und nichts. Ich war ja noch jung, hatte sonst nichts zu tun und hatte noch nicht genug gelitten, um Relationen setzen zu können. Internet gab es als Massenmedium noch nicht. Kein TV-Sender brachte dazu was. Nur in der Rundschau eine kurze Nachricht dazu. Mehr gab es nicht. Der Löwentrainer ging und keiner sah richtig hin.
Das ist heute anders. Damals waren die Löwen Zweitligist. Wenn heute ein Zweitligist seinen Trainer feuert, dann wird man eingedeckt mit Informationen. Man bekommt ein Dutzend Statements, Einschätzungen und frustrierte oder erfreute Fans zu hören. Einige Privatsender blenden im Ticker nicht nur die Kündigung, sondern gleich noch Spekulationen zur Nachfolge ein. Wenn ein Präsident nachlegt und noch etwas zur Personalie sagt, bauscht man es auf und reiht es ein in dieses Spalier lückenloser Informationen. Radiosender verweisen stündlich in den Nachrichten darauf und basteln sich Features. Das geht über viele Stunden so. Eine Live-Schalte zur Pressekonferenz ist selbstverständlich. In Sport 1 sitzen abends Experten in gemütlicher Runde und sprechen ausgiebig über diese Entwicklung. N24 nimmt später dann der Nachricht die Priorität und blendet sie ab den Abendstunden nur noch sporadisch ein. Dass ein Anhänger eines Zweitligisten so ratlos nach mehr Informationen zu den Entwicklungen in "seinem Verein" sucht, so wie ich damals, als der Löwentrainer ging, ist heute eigentlich ausgeschlossen.
Damals wusste ich wenig, weil man mir wenig mitteilte - heute würde ich wenig wissen, weil man mich mit Mitteilungen erschlagen würde. Das wird mir jedoch nicht widerfahren, denn ich weiß mittlerweile die Relevanz einer solchen Nachricht von einer Trainerentlassung richtig einzuschätzen. Sie ist im Grunde nur eine Marginalie. Dass sie trotzdem so viel Beachtung findet, das ist auch so eine Entwicklung, die das Privatfernsehen, das in den letzten Wochen sich selbst ein heroenhaftes Jubiläum genehmigte, angestoßen hat. Es hat eine Prioritätenverschiebung im News-Wesen angeschoben und die Nichtigkeitsverbreitung zur hohen Schule eines Journalismus gemacht, der virtuos zwischen Boulevard und halbseriösen Themenkomplexen balanciert. Ein präzedenzträchtiges Beispiel liefern aktuell die Geschehnisse um den Skiunfall von Michael Schumacher. Über die kann man ja mal berichten. Aber braucht es diese Lückenlosigkeit, um ausreichend informiert zu sein?
Diese Berichteflut vom Krankenbett Schumachers hat mich in eine tiefe Sehnsucht nach begrenzter Auswahl versetzt. Sicher, als es das Privatfernsehen noch nicht gab, da waren die offiziellen Kanäle spießig und rochen nach medialem Altertum. Aber ich glaube, das war immer noch besser als diese Hopsasa- und Tralala-Kultur, in der die Nichtigkeit zu einer Botschaft von großer Tragweite modelliert wurde.
Mancher wird sich gewundert haben, dass ich am Anfang dieser Zeilen davon sprach, damals noch nicht genug gelitten zu haben. Ich denke dabei an ein Zitat Ciorans, das mir neulich zwischen die Finger kam: "Geschwätz ist jede Konversation mit einem, der nicht gelitten hat." Das trifft es im Bezug auf das Privatfernsehen ganz gut. Es ist ein Programm von Menschen und für Menschen, die noch nie gelitten haben. Jemand, der das Leben wirklich kennt, der kann diesem Fest des Flachsinns nichts abgewinnen.
Das große Hurra auf das Privatfernsehen, das man vor einigen Wochen auch im Feuilleton nachblättern konnte, muss als Androhung begriffen werden, dieses Land auch weiterhin mit Randnotizen zu versorgen, die das Wesentliche verdrängen oder gar ersetzen. Die Nichtigkeitsverbreitung wird auch weiterhin die Relevanzkompetenz der Menschen aushöhlen. Geringfügigkeiten werden Konjunktur haben, Bagatellen das Agenda Setting beeinflussen, Quark wird Stoff, aus dem Stories sind und der Pappenstiel bleibt Gegenstand endloser Diskussionen in U-Bahnen, Bussen, am Arbeitsplatz oder beim Friseur. Und das ist wahrlich kein Grund zur Freude. Diesen Übergang zur Dominanz der Privatsender habe ich jedenfalls mit einem Abflauen von Wichtigkeiten zugunsten des Bullshits wahrgenommen. Und das eben nicht nur auf Ebene der Privatsender alleine, sondern mittlerweile auch verstärkt bei den öffentlich finanzierten.
Alles übertrieben? Na, ich weiß nicht. An der Schwelle zum Erwachsenwerden jagte dieses Land ein sächsisches Hausmuttchen durch die Medien, nur weil die nicht fähig war, das Wort Moschn-droht-zahn richtig auszusprechen. Nicht genug, dass der Typ mit der grellweißen Zahnleiste ein Lied daraus bastelte. Boulevardmagazine stellten der Frau regelrecht nach. Ich kann mich erinnern, wie ich als junger Mensch teils fasziniert teils fassungslos zusah, wie diese Frau durch die Straßen ihres Heimatortes gejagt wurde. Von Journalisten, Pöbeltouristen und belustigten Anwohnern. Am Arbeitsplatz redeten die Leute darüber. Die Zeitungen schrieben davon und ich ertappte mich, dass ich meiner Mutter, die damals in Spanien ihren Urlaub verbrachte, davon am Telefon berichtete - ganz so, als ob es etwas Wichtiges wäre.
Neben solcher Art von Unterhaltung sahen Berichte über Busenvergrößerungen oder Schwanzverlängerungen fast schon wie Sachthemen aus. Und die Trainerentlassung eines unbedeutenden Vereins aus der Zweiten oder gar Dritten Liga wirken daneben fast schon wie Themen von hoher Priorität. Wenn irgendwann ein Soziologe die Wirkungsgeschichte des Privatfernsehens schreiben wird, dann muss er ganz tief in den Niederungen der Irrelevanz fischen und sich mit Themen befassen, die eigentlich gar kein Thema sind.
Eine solches "wirkungsgeschichtliches Manuskript" habe ich schon vor vielen Monaten skizziert. Es verwaist in meiner Schublade. Vielleicht sollte ich es wagen. Selten waren die Chancen besser, um aus Scheiße Gold oder wenigstens ein bisschen Geld zu machen. Das Privatfernsehen macht es vor.
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Das ist heute anders. Damals waren die Löwen Zweitligist. Wenn heute ein Zweitligist seinen Trainer feuert, dann wird man eingedeckt mit Informationen. Man bekommt ein Dutzend Statements, Einschätzungen und frustrierte oder erfreute Fans zu hören. Einige Privatsender blenden im Ticker nicht nur die Kündigung, sondern gleich noch Spekulationen zur Nachfolge ein. Wenn ein Präsident nachlegt und noch etwas zur Personalie sagt, bauscht man es auf und reiht es ein in dieses Spalier lückenloser Informationen. Radiosender verweisen stündlich in den Nachrichten darauf und basteln sich Features. Das geht über viele Stunden so. Eine Live-Schalte zur Pressekonferenz ist selbstverständlich. In Sport 1 sitzen abends Experten in gemütlicher Runde und sprechen ausgiebig über diese Entwicklung. N24 nimmt später dann der Nachricht die Priorität und blendet sie ab den Abendstunden nur noch sporadisch ein. Dass ein Anhänger eines Zweitligisten so ratlos nach mehr Informationen zu den Entwicklungen in "seinem Verein" sucht, so wie ich damals, als der Löwentrainer ging, ist heute eigentlich ausgeschlossen.
Damals wusste ich wenig, weil man mir wenig mitteilte - heute würde ich wenig wissen, weil man mich mit Mitteilungen erschlagen würde. Das wird mir jedoch nicht widerfahren, denn ich weiß mittlerweile die Relevanz einer solchen Nachricht von einer Trainerentlassung richtig einzuschätzen. Sie ist im Grunde nur eine Marginalie. Dass sie trotzdem so viel Beachtung findet, das ist auch so eine Entwicklung, die das Privatfernsehen, das in den letzten Wochen sich selbst ein heroenhaftes Jubiläum genehmigte, angestoßen hat. Es hat eine Prioritätenverschiebung im News-Wesen angeschoben und die Nichtigkeitsverbreitung zur hohen Schule eines Journalismus gemacht, der virtuos zwischen Boulevard und halbseriösen Themenkomplexen balanciert. Ein präzedenzträchtiges Beispiel liefern aktuell die Geschehnisse um den Skiunfall von Michael Schumacher. Über die kann man ja mal berichten. Aber braucht es diese Lückenlosigkeit, um ausreichend informiert zu sein?
Diese Berichteflut vom Krankenbett Schumachers hat mich in eine tiefe Sehnsucht nach begrenzter Auswahl versetzt. Sicher, als es das Privatfernsehen noch nicht gab, da waren die offiziellen Kanäle spießig und rochen nach medialem Altertum. Aber ich glaube, das war immer noch besser als diese Hopsasa- und Tralala-Kultur, in der die Nichtigkeit zu einer Botschaft von großer Tragweite modelliert wurde.
Mancher wird sich gewundert haben, dass ich am Anfang dieser Zeilen davon sprach, damals noch nicht genug gelitten zu haben. Ich denke dabei an ein Zitat Ciorans, das mir neulich zwischen die Finger kam: "Geschwätz ist jede Konversation mit einem, der nicht gelitten hat." Das trifft es im Bezug auf das Privatfernsehen ganz gut. Es ist ein Programm von Menschen und für Menschen, die noch nie gelitten haben. Jemand, der das Leben wirklich kennt, der kann diesem Fest des Flachsinns nichts abgewinnen.
Das große Hurra auf das Privatfernsehen, das man vor einigen Wochen auch im Feuilleton nachblättern konnte, muss als Androhung begriffen werden, dieses Land auch weiterhin mit Randnotizen zu versorgen, die das Wesentliche verdrängen oder gar ersetzen. Die Nichtigkeitsverbreitung wird auch weiterhin die Relevanzkompetenz der Menschen aushöhlen. Geringfügigkeiten werden Konjunktur haben, Bagatellen das Agenda Setting beeinflussen, Quark wird Stoff, aus dem Stories sind und der Pappenstiel bleibt Gegenstand endloser Diskussionen in U-Bahnen, Bussen, am Arbeitsplatz oder beim Friseur. Und das ist wahrlich kein Grund zur Freude. Diesen Übergang zur Dominanz der Privatsender habe ich jedenfalls mit einem Abflauen von Wichtigkeiten zugunsten des Bullshits wahrgenommen. Und das eben nicht nur auf Ebene der Privatsender alleine, sondern mittlerweile auch verstärkt bei den öffentlich finanzierten.
Alles übertrieben? Na, ich weiß nicht. An der Schwelle zum Erwachsenwerden jagte dieses Land ein sächsisches Hausmuttchen durch die Medien, nur weil die nicht fähig war, das Wort Moschn-droht-zahn richtig auszusprechen. Nicht genug, dass der Typ mit der grellweißen Zahnleiste ein Lied daraus bastelte. Boulevardmagazine stellten der Frau regelrecht nach. Ich kann mich erinnern, wie ich als junger Mensch teils fasziniert teils fassungslos zusah, wie diese Frau durch die Straßen ihres Heimatortes gejagt wurde. Von Journalisten, Pöbeltouristen und belustigten Anwohnern. Am Arbeitsplatz redeten die Leute darüber. Die Zeitungen schrieben davon und ich ertappte mich, dass ich meiner Mutter, die damals in Spanien ihren Urlaub verbrachte, davon am Telefon berichtete - ganz so, als ob es etwas Wichtiges wäre.
Neben solcher Art von Unterhaltung sahen Berichte über Busenvergrößerungen oder Schwanzverlängerungen fast schon wie Sachthemen aus. Und die Trainerentlassung eines unbedeutenden Vereins aus der Zweiten oder gar Dritten Liga wirken daneben fast schon wie Themen von hoher Priorität. Wenn irgendwann ein Soziologe die Wirkungsgeschichte des Privatfernsehens schreiben wird, dann muss er ganz tief in den Niederungen der Irrelevanz fischen und sich mit Themen befassen, die eigentlich gar kein Thema sind.
Eine solches "wirkungsgeschichtliches Manuskript" habe ich schon vor vielen Monaten skizziert. Es verwaist in meiner Schublade. Vielleicht sollte ich es wagen. Selten waren die Chancen besser, um aus Scheiße Gold oder wenigstens ein bisschen Geld zu machen. Das Privatfernsehen macht es vor.
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