Alpencross – Die Serie

Von Ftb @FTBMike

Wie alles begann

Mittlerweile sind schon einige Jahre vergangen und immer noch denke ich oft an jenen Tag im April 2005, an dem der Stein ins Rollen gebracht wurde. Thomas, mein 5 Jahre jüngerer Bruder, ist genauso Mountainbike-fanatisch und heiß auf Outdoor- Touren wie ich. Wahrscheinlich sogar noch etwas mehr. Jedenfalls ist er irgendwie immer auf der Suche nach einer neuen Tour. Er kommt also oft und hat wieder irgendwelche Daten, Bilder oder Karten zu etwas, das ihn reizt.

Wir sind beide sicher keine absoluten Sportfanatiker oder Fahrradprofis, man kann uns aber schon zu den Menschen zählen, die auf der Suche nach solchen Erlebnissen sind, die raus müssen und mit allen Sinnen erleben wollen. Also bloß keinen Pauschaltourismus!

Wir haben schon einiges erlebt und werden das ganz sicher in der Zukunft weiter so halten. Diese Alpenüberquerung würde aber ein so einmaliges Erlebnis werden, so intensiv und für uns anspruchsvoll, dass wir noch Jahre später davon zehren und mit Wehmut an diese Zeit denken werden. Das war aber etwas, was wir zu dem Zeitpunkt im April 2005 noch nicht wussten.

Tom kam also auf mich zu und wir redeten über eines der wohl bekanntesten Mountainbike-Etappenrennen für ambitionierte Biker überhaupt: der jährlichen Transalp. Das ist ein Rennen über MTB-Strecken durch die schönsten Gebirge Deutschlands, Österreichs, der Schweiz und Italiens, bei dem in Zweierteams oder in Einzelwertung in 7 Tagen ca. 600 km und 20.000 Hm zu bewältigen sind. Da es hier um richtig hohes Preisgeld geht und die Startplätze auf 1.100 Teilnehmer beschränkt sind, muss man sich bewerben, und dann ist es noch schwer, einen Platz zu bekommen.

Wir haben Bilder gesehen und Berichte gelesen; Berichte über den Start, die letzten Sekunden, bevor es los geht und wie die Atmosphäre schmeckt und sich anfühlt, bis endlich das Startsignal erfolgt und 1.000 Fahrer den Titel wollen. Gänsehaut war das einzige, was ich fühlen konnte.

Ich glaube, wir haben uns angeschaut und Tom erklärte mir, dass wolle er auch machen. Nein, nicht an der Transalp teilnehmen, aber eine Alpenüberquerung. „Wow“, dachte ich nur. Dann stellte er mir die beste Frage überhaupt: „Willst du mitkommen?“

Ob ich mitkommen will? Ich glaube, ich habe noch nie so schnell ja gesagt.

Das war sie also, die Geburtsstunde unserer gemeinsamen Alpenüberquerung. Einfach und unspektakulär, aber nachhaltig. Nicht, dass uns zu dem Zeitpunkt bewusst gewesen wäre, was es wirklich bedeutet, die Alpen zu überqueren oder jeden Tag 2.000 Hm zu bewältigen. Das sollte später noch kommen, genauso wie die Erfahrungen zu Selbsteinschätzung, eigener Kraft und Ausdauer.

In dem Moment war die Freude einfach nur groß. Die Vorstellung, die Alpen zu überqueren, sportliche Höhepunkte, fantastische Naturerlebnisse und Emotionen pur, das war unglaublich.

All das mit meinem Bruder zu erleben, meinem Freund, setzte dem Ganzen noch das i – Tüpfelchen auf. Es wäre nicht unsere erste Tour zusammen. Jahre zuvor waren wir in Schottland und sind den West Highland Way, einen 152 km langen Fernwanderweg, zusammen gewandert, der uns von Glasgow bis in die Highlands führte. Diese Entstehungsgeschichte würde sich ganz sicher ähnlich lesen.

Die Entscheidung war also getroffen. So schnell kann es gehen, wir hatten ein neues Ziel. Endlich wir waren wieder unterwegs, auf jeden schon Fall bald!

Hat man dann einmal realisiert, was man da vor hat, kommen direkt tausend Fragen auf einen zu.

  • Ist es für jemanden wie uns überhaupt machbar?

  • Wie sieht die Tour aus?

  • Wo Start, wo das Ziel?

  • Wann fahren wir?

  • Wie lange?

  • Wie schwer soll es denn werden?

  • Was nehmen wir mit?

  • Training? Wie und wann?

  • Wie fit sind wir?

  • Ist das nicht gefährlich?

  • Was ist, wenn doch was passiert?

  • Kommt noch jemand mit?

  • und und und…

Fragen über Fragen, die allesamt geklärt werden mussten. Zu diesen Fragen kamen noch reichlich mehr hinzu, denn es war mit das Wichtigste, auf alles gut vorbereitet zu sein. Für jemanden wie uns, die noch nie so eine Tour gefahren sind, besonders.

Also hieß es ab sofort, Informationen sammeln, Bücher lesen, Listen und Hinweise zusammentragen und alles sammeln, was irgendwie wichtig sein konnte. Glücklicherweise gab es das Internet und reichlich Literatur zum Thema Alpenüberquerung. So konnte man sich einlesen und mit Menschen Kontakt aufnehmen, die schon ihre Erfahrungen gesammelt haben.

Diese Kontakte haben uns auf jeden Fall bestärkt in unserer Entscheidung. Erlebnisberichte, Bilder und Erfahrungen anderer Fahrer hatten die erste und wichtigste Frage nach der Machbarkeit dann mit einem „Ja“ beantwortet. Wenn man wie wir geschätzte 4.000 km im Jahr auf dem Mountainbike sitzt, dann sind die Voraussetzungen gut.

Eine zweite Frage fand auch schnell eine Antwort. Kommt noch jemand mit? Für uns war klar, es sollte niemand Fremdes mitfahren. Diese Tour war privater Natur und sollte auch in diesem Rahmen bleiben; alleine, weil es uns wichtig war, als Brüder unterwegs zu sein. Als möglicher dritter Fahrer kam also nur eine Person in Frage: unser Vater. Jetzt wird manch einer sagen, „Moment mal, der Mann ist doch bestimmt 60 und ist daher nicht so geeignet.“

Ich kann nur sagen: „Irrtum“. Er ist mehr auf dem Rad unterwegs als Tom und ich zusammen. Zu dem damaligen Zeitpunkt ca. 16.000 km im Jahr, das machte ihn nicht gerade zu einer Bremse. Ganz im Gegenteil, wenn wir ehrlich sind, mussten wir uns ganz schön ran halten, um an ihm dran zu bleiben. Das ist hart, aber wahr.

In den kommenden Wochen werden wir hier über diese bemerkenswerten 7 Tagesetappen berichten, also seien Sie dabei…