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In dem Film ‚Almanya – Willkommen in Deutschland‘ (seit dem 10. März in den deutschen Kinos) wird die Geschichte von Hüseyin Yilmaz und seiner Familie erzählt. Er verlässt seine Heimat, die Türkei, um als Gastarbeiter das deutsche Wirtschaftswunder zu unterstützen. Viele Jahre später fragt sich sein Enkel, wer oder was er eigentlich ist. Deutscher? Türke? Um ihn über die Geschichte seiner Familie aufzuklären, erzählt ihm seine 22-jährige Cousine Canan die Geschichte seines Großvaters.
filmtogo hatte die Möglichkeit sich mit Darstellerin Aylin Tezel, die in der Rolle der Canan zu sehen ist, über den Film und das Thema Integration zu unterhalten. Aylin Tezel ist 27 Jahre alt und in Bielefeld aufgewachsen. Inzwischen wohnt sie zum Teil in Berlin, pendelt aber auch immer wieder zurück nach Bielefeld.
filmtogo: Wann hast du selbst den Film zum ersten Mal komplett gesehen?
Aylin Tezel: Zum ersten Mal habe ich den Film bereits vor der Berlinale auf DVD gesehen. Das war aber auf so einem kleinen Mini-Fernseher. Im Kino habe ich ihn dann zum ersten Mal auf der Berlinale gesehen, wo wir auch unsere Premiere hatten.
filmtogo: Wie war der Dreh für dich? Jetzt mal ausgenommen von den Tränen, die bei mir in der letzten halben Stunde geflossen sind, hat das wirklich nach Spaß ausgesehen.
Aylin Tezel: Es war natürlich sehr schön. Deswegen weil die Samdereli Schwestern, also das Regie-Duo, einfach ganz großartig sind. Das sind wirklich zwei ganz tolle Frauen. Sie haben ihr Herz in diese Geschichte und in diesen Film gesteckt. Auch in die Dreharbeiten. Deswegen war die Zusammenarbeit mit ihnen auch ganz großartig. Es war aber natürlich auch anstrengend. Oft ist es so, wenn man einen Film macht, der etwas Unter-Budgetiert ist, dass man lange Drehtage hat und es immer irgendwelche Schwierigkeiten gibt. Aber ich muss sagen, das komplette Team hat das alles super gemeistert. Alle haben einen kühlen Kopf bewahrt und wir haben das Ding durchgerockt. Das Ergebnis ist ja auch sehr sehenswert.
filmtogo: Wie viele Drehtage hattet ihr?
Aylin Tezel: Oh Gott. Das weiß ich gar nicht. Ich schätze mal, so wie es normalerweise ist. Das müssten so 42 Tage gewesen sein.
filmtogo: Wie bist du an die Rolle überhaupt heran gekommen? Bist du ganz klassisch zum Casting gegangen oder ist man auf dich zugekommen?
Aylin Tezel: Das war ganz klassisch. Ich bin zum Casting eingeladen worden. Ich habe das Drehbuch vorher bekommen, habe es gelesen und fand es da schon klasse. Dann bin ich zum Casting gegangen. Kurze Zeit später habe ich dann die Antwort bekommen, dass ich die Rolle habe.
filmtogo: Und was war für dich der Reiz bei dem Film dabei zu sein?
Aylin Tezel: Als ich das Drehbuch zum ersten Mal gelesen habe, habe ich selber ganz viel gelacht. Am Ende des Buches war ich dann sehr gerührt. Ich habe dieses Buch als sehr warmherzig und bereichernd empfunden. Ich habe auch bereits beim Casting die Schwestern kennen gelernt und fand die auch sehr nett. Und das war dann so ein Zusammenspiel. Ich dachte, das ist einfach eine tolle Geschichte und es scheint ein tolles Team zu sein. Deswegen habe ich mitgemacht.
filmtogo: Du kommst selbst auch aus einer Mischfamilie. Dein Vater ist Türke, deine Mutter ist Deutsche. Welchen Stellenwert nimmt da das Thema Integration bei euch in der Familie ein?
Aylin Tezel: Überhaupt keinen. Wir haben Zuhause noch nie über dieses Thema gesprochen. Es gab bei uns aber auch nie Integrationsprobleme. Auch mein Papa hatte da nie irgendwelche Probleme oder das Gefühl, dass Integration ein Thema gewesen wäre. Der hat sich von vornherein sehr Zuhause und sehr gut aufgenommen gefühlt. Daher war das Thema Integration in unserem Alltag nie ein Thema.
filmtogo: In dem Film bist du die Geschichtenerzählerin. Das wurde filmisch sehr schön gelöst. Die Erzählweise mit den Rückblenden. Ist dieses Geschichten erzählen in deiner Familie auch praktiziert worden? Hat dein Vater dir auch Geschichten aus der Türkei erzählt oder wie er nach Deutschland gekommen ist?
Aylin Tezel: Natürlich kenne ich auch Geschichten von meinem Vater. Von seiner Kindheit und von seiner Jugendzeit im Dorf in der Türkei. Auch von seiner Studentenzeit in Istanbul. Dann auch von seinen Anfängen als Arzt in der Türkei und später in Deutschland. Klar kenne ich solche Geschichten und es sind auch viele witzige Geschichten dabei. Aber es ist schon nochmal ein Unterschied, ob es jetzt eine typische Gastarbeiter-Geschichte ist, wie im Film, oder wie bei meinem Vater, der eben als fertiger Arzt kam. Das war eine ganz andere Situation.
filmtogo: Konntest du denn aus deiner Familie oder durch eigene Erfahrungen etwas in dem Film und für deine Rolle benutzen?
Aylin Tezel: Nicht wirklich. Dadurch das diese Gastarbeiter-Identität bei uns und unseren Freunden nicht vorkam, musste ich mir das schon alles selbst anlernen. Wobei es bei meiner Rolle im Film auch so ist, dass sie vollkommen integriert ist. Sie lebt in der heutigen Zeit. Das erforderte nicht so eine große Vorarbeit, wie bei den anderen Schauspielern, die die Familienmitglieder in den 60er Jahren gespielt haben. Das ist natürlich noch einmal eine ganz andere Sache.
filmtogo: Wo du die ganzen Familienmitglieder ansprichst. Hast du eine Lieblingsfigur im Film?
Aylin Tezel: Ja. Meine absolute Lieblingsfigur ist der kleine Cenk. Das ist der Sohn von einem Türken und von einer Deutschen. Der hat so eine kleine Identitätskrise. In der Schule werden Fußball-Mannschaften gewählt. Die Jungs beschließen, dass die Deutschen gegen die Türken spielen. Er darf in keiner Mannschaft mitspielen. Er sieht nicht wirklich Deutsch aus, gilt aber auch nicht als Türke, weil er die Sprache nicht sprechen kann. Das ist eine ganz süße Figur, die sich in ihrem zarten Alter von sechs Jahren bereits Gedanken darüber machen muss, was überhaupt Deutsch ist und was Türkisch ist. Das finde ich wirklich ganz süß gelöst. Und der kleine Rafael Koussouris, der die Rolle des Cenk spielt, der ist auch einfach zauberhaft.
filmtogo: Er stellt dann ja auch immer die Frage, ob seine Familie nun Türken oder Deutsche wären und bekommt dann nie eine klare Antwort. Hast du solche Situationen auch schon einmal erlebt? Selbst wenn es das bei dir offenbar nicht gab. Vielleicht hast du es mal in deinem Umfeld miterlebt. Hat sich da mal jemand diese Identitätsfrage gestellt?
Aylin Tezel: Naja, das wird einfach gerne in den Medien ausgeschlachtet. Ich glaube, wir können uns langsam mal davon befreien, die Menschen immer direkt in Schubladen einordnen zu wollen. Gerade bei der Generation von Kindern und jungen Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Da stellt sich diese Frage nicht. Die haben einfach beide Kulturen in sich. Ich finde, dass ist eine großartige Sache. Da sollte man einen Menschen nicht zwingen, sich für eine Identität zu entscheiden. Vor allem gehört doch auch noch sehr viel mehr zu einer solchen Identität dazu. Nicht nur die Nationalität. Dazu gehört ein Beruf, eine Familie und eine Kultur. Da gehören so viele Sachen dazu, das kann man nicht so einfach beantworten.
filmtogo: Wir waren vorhin schon kurz beim Thema der Berlinale. Dort hat ‚Almanya‘ seine Premiere gefeiert. Wie war es dort zu sein und den Film zu präsentieren?
Aylin Tezel: Es war natürlich wahnsinnig aufregend. Ich war die letzten zwei Jahre auch schon auf der Berlinale. In erster Linie aber nur als Zuschauerin. Ich habe da natürlich auch schon viele Veranstaltungen und Feiern besucht. Aber es ist noch einmal eine ganz andere Situation, wenn man mit einem Film dabei ist, der dann auch noch im Wettbewerb läuft. Da ist natürlich auch sehr viel Pressearbeit bereits während der Berlinale passiert. Es gab sehr viele Veranstaltungen an denen wir teilgenommen haben um den Film zu promoten. Dir wird eine große Aufmerksamkeit zuteil. Das ist schön. Das habe ich sehr genossen.
filmtogo: Hast du im Kino oder auf der Berlinale mal darauf geachtet, wie sich das Publikum zusammensetzt? Waren das mehr Deutsche, mehr Türken oder dann wirklich bunt gemischt?
Aylin Tezel: Tatsächlich war das Publikum bunt gemischt. Sowohl die Nationalitäten als auch die Altersklassen. Man kann aber auch sowohl Grundschulkinder, als auch Jugendliche, Erwachsene und Senioren in den Film schicken. Dieser Film ist einfach für alle Leute gemacht. Jeder wird da seine Identifikationsfigur finden.
filmtogo: Wo geht es für dich als nächstes hin? Ich habe gelesen, dass du auch gerne tanzt. Machst du jetzt mit Schauspiel weiter oder geht es zum Tanz?
Aylin Tezel: Ich drehe natürlich weiter. Ich bin jetzt gerade wieder dabei, einen Kinofilm abzudrehen. Das Tanzen hört bei mir nie auf. Ich bin in jeder freien Minute in Bielefeld. Da ist meine Tanzschule, wo ich seit meinem 14. Lebensjahr bin. Es ist egal, wo in der Welt ich gerade drehe, es zieht mich immer wieder an die Ballettstange zurück. Ich gebe auch selber Workshops. Ich habe eine Ausbildung zur Tanzpädagogin absolviert. Ich hänge mit dem Herzen einfach an dieser Schule und deswegen wird das Tanzen schon nicht zu kurz kommen.
filmtogo: Und du hast noch nie ein Angebot für einen Tanzfilm bekommen?
Aylin Tezel: Interessanterweise noch nicht. Aber vielleicht kommen die Leute jetzt langsam mal auf die Idee. Aber bis dahin hatte ich jetzt tatsächlich keine Lust zu warten. Ich habe jetzt selber einen kleinen Tanz-Kurzfilm produziert. Da habe ich selber mitgespielt und mitgetanzt. Wenn andere Leute nicht darauf kommen, muss man es eben selber machen.
Das Interview führte Denis Sasse