Meine Lieben
Seit Donnerstagabend werden weder Spinnweben aus den Ecken gewedelt noch Klos geputzt. Man ist im WM-Fieber. Oder besser gesagt frau ist im WM-Fieber. Ich habe nämlich wieder eine meiner "Menschen mit hohem Nervpotential"-Analysen durchgeführt. Meine heutigen Opfer: Die aus der Versenkung aufgetauchten Allphasenfans und Temporärfussballexpertinnen.Auslöser dafür war mein Besuch eines (A-)sozialen Netzwerks am Freitagabend. Die Beiträge, die ich da über mich ergehen liess, haben bisher unentdecktes Aggressionspotential in mir hervorgerufen. Ich weiss ja nicht, ob es vielleicht einfach am hohen Nervensägenanteil meiner Alibifreundinnen handelt oder ob dies ein weiter verbreitetes Phänomen ist. Ich persönlich finde es ja nicht verkehrt, wenn man mitfiebert und -feiert und sich freut, wenn die rumrennenden Jungs der bevorzugten Nation den Ball ins eckige Dingsda schiessen. Ich finde es jedoch verkehrt, wenn die Kronen der Schöpfung auf einmal aus der Versenkung auftauchen und zu Fussballfans mutieren. Natürlich erst nachdem sie gegooglet haben, wie lange so ein Spieldingsda überhaupt dauert. Noch schlimmer steht es mit denen, die dann plötzlich einen auf Nachwuchsschiedsrichterin machen. Die sehen dann überall diese Offsidewhatevers und Freidinger und 14-Meter. Oder waren es 12? Wie auch immer. So viel zu den Symptomen. Krankheitsbilder gibt es die drei folgenden:
1. Die Spielerfrau für ArbeitsloseDie Spielerfrau für Arbeitslose hat zwar reingarnullnixüberhauptkeine Ahnung von Fussball. Ebenso fehlt ihr der Freund, der ihr das wichtigste erklärt. Dennoch wil sie natürlich bei den Jungs punkten und auf jeden Fall mitreden. Da sie meist nicht ganz so potthässlich daher kommt, verzichtet sie (Gott sei Dank) in den meisten Fällen auf aufwändige Posts, sondern wirft sich im bauchfreien "Fussballtrikot" vor ihren Ganzkörperspiegel und da in sexy Pose. Dokumentiert wird das Ganze als Selfie-Serie per Smartphone. Dreissig Filter drüber, ein "Go (hier bitte beliebige Nationalmannschaft einfügen)!" darunter und schon ist das Ding facebooktauglich. Die Wahl der Nationalmannschaft ist übrigens egal. Die meisten achten einfach darauf, dass das Trikot mit dem Hauttyp farblich harmoniert.
2. Die FingerfarbenartistinDie Fingerfarbenartistin hat zu viele Selbstzweifel um zu den Spielerfrauen für Arbeitslose zu gehören. Oder vielleicht fehlt ihr auch der Ganzkörperspiegel. Wie auch immer. Sie zeichnet sich vor allem durch ihren bemerkenswerten Sinn für Farben und Formen aus. Mit ihrem Künstlerblick scannt sie jede noch so schwierige Flagge - von Frankreich über Italien bis Deutschland - und schmiert sich diese geübt mit Fingerfarben, Fasnachtskreide, Make-up, Wandfarbe, Acryl, Ölfarbe oder Strassenkreide ins Gesicht resp. auf die Wangen. Danach gibt's ebenfalls eine Selfie-Session mit anschliessendem Filtermarathon und geistreichem Motivationsspruch. Diese Variante verkörpert zwar im wahrsten Sinne des Wortes nicht so viel Sexiness wie Nr. 1, jedoch ist dies auch der Fingerfarbenartistins geringste Sorge. Denn diese kümmert sich lieber darum, die Farbe irgendwie wieder aus dem Gesicht zu bekommen.
3. Die KommentatorinDie Kommentatorin wäre eigentlich am besten in der Politik aufgehoben. Sie informiert sich nur spärlich, hat zu allem irgendeine Meinung (nur nie ihre eigene) und gibt stetig ihren Senf dazu. Anlässlich der Weltmeisterschaft läuft sie alle vier Jahre zur Höchsform auf. Egal ob gefragt oder nicht - sie postet mit sämtlichen Livetickern um die Wette. Am Schluss des Spiels gibt sie dann meist noch ein intelektuell sehr hochstehendes Résumé ab, das wiederum ein Résumé der äusserst geistreichen Posts ihrer Facebookfreunde ist. Sie ist auch oftmals die, die alles besser weiss als der Schiedsrichter. Hie und da wird dann auch mal ein Spieler für seine Leistung gelobt. Dass die Verfasserin selber jedoch knapp einen Ball stoppen kann, ist dabei natürlich neben sächlich. Aber heyy! Mitreden ist alles!
In diesem Sinne wünsche ich euch eine spannende WM!