Alles so leicht
Meg Haston
Thienemann, 2015
978-3522202152
19,99 €
Stevie hat nichts mehr zu verlieren. Sie ist fest entschlossen, aus diesem Körper, aus diesem Leben zu verschwinden. Aber alle wollen sie daran hindern. Ihr Vater, der sie ins Therapiezentrum einweisen ließ. Anna, die so ganz anders ist als die anderen Seelenklempner. Und selbst den Mädchen, mit denen sie ein Zimmer und ein Schicksal teilt, fühlt sich Stevie jeden Tag näher. Aber sie wird sich nicht öffnen, sie hat schließlich einen Plan. Ehrlich bis zur Schmerzgrenze, mitfühlend und hoffnungsvoll erzählt
Stevie ist ein verschlossener Mensch. Im ersten Moment ist sie dies auch für den Leser. Daran musste auch ich mich erst einmal gewöhnen. Sie geizt mit Worten, aber was sie sagt berührt auf vielfältige Weise. Ich bin mir nicht sicher, ob ich auch Lilly Lindner, je eine Protagonistin getroffen habe, die so offen und gleichzeitig versteckt, über ihr Problem redet. Ich weiß, dass Lilly Lindner im übrigen eine ganz reale Person ist.
Die anderen Mädchen im “Camp” sind sehr unterschiedliche und wirklich kennen lernen wird der Leser nur Ashley. Sehr langsam ist sie mir ans Herz gewachsen, da sie einen großen Kontrast zu Stevie bildet.
In der Rückschau, auf die Probleme von Stevie, lernen wir noch ihren Bruder, ihren Vater und auch kurz ihre Mutter kennen. Diese Familie müsst ihr aber selbst entdecken.
Wenn Stevie an früher denkt, was noch gar nicht so lange her ist, lernen wir ihr Leben kennen. Verluste, Ängste und Freunde wechseln sich ab. Wenn Stevie im Camp ist, lernen wir die Mädchen kennen, spüren Stevies Angst und auch ihre Zielstrebigkeit. Die Kulisse ist minimalistisch und wird nur gelegentlich beschrieben. Der Fokus liegt ganz und gar auf Stevie und ihrer Krankheit.
Schon wieder ein Buch über ein Bulimie-Mädchen? Manchmal überschwemmen sie den Markt, diese traurigen, manchmal tödlich endenden Geschichte. Will sie noch jemand lesen? Gibt es etwas, was ein Vielleser noch nicht gelesen hat?
Stevie ist krank, aber aus Überzeugung. Es gab Dinge in ihrem Leben, die sie dazu gebracht haben, das Leben zu hassen. Und was ist besser, als zu sterben und zu verhungern? Für Stevie nichts, nicht einmal ihre Familie, nicht die Natur, nicht einmal ihr Spiel mit Worten, das sie so liebt.
Der Leser begleitet Stevie von der Einlieferung in das “Camp” bis zum Schluss ihrer Geschichte. Das Ende verrate ich natürlich nicht. Der Weg dorthin war sehr schwierig für mich, denn Stevie ist eine starke Persönlichkeit.
Sie nimmt Rücksicht auf niemanden. Wer ist traurig? Wer will etwas dagegen tun? Ihr ist es egal. Sie sieht alles als bedrückend an und sieht immer wieder nur ihre Schuld. Sie ist manchmal schwer auszuhalten. Manchmal habe ich nur zwanzig Seiten gelesen und hörte dann auch. Zu düster und zu entschlossen zu sterben, war mir Stevie.
Ihr Leben ist interessant. Was sie in ihrem Tagebuch aufschreibt, lässt den Leser tief blicken. In ihre gestörte Seele, die von Schuld überladen ist. Manchmal sieht sie den Ausweg einfach nicht, ist kühl und brechend.
Der Einblick in die Therapie von den Mädchen ist oft sehr detailliert. Sie müssen sich ihr Essen kochen, es anfassen, es auswählen – dabei arbeiten sie jeden Tag gegen jede einzelne Kalorie. Sie sollen Chips essen, Cola trinken und ihren Körper kennenlernen und immer wieder spürt der Leser, den Kampf im Körper und Geist von Stevie.
Das deutsche Cover ähnelt dem englischen sehr und das gefällt mir. Der Titel ist so eine Sache. Das Original heißt “Paper weight”. Wohl kaum ist der Briefbeschwerer gemeint, obwohl es auch Briefe in diesem Jugendbuch gibt. “Papiergewicht” ist recht schön, da Stevie auch Tagebuch schreibt. “Alles so leicht” trifft irgendwie alles ein wenig, aber es ist so oberflächlich für die Geschichte.
Kühl, aber berührend erzählt Stevie ihre Geschichte. Spielt am Rande mit Worten und zeigt, was in einem Mädchen vor sich geht, dass sie für Bulimie entschieden hat und für mehr kämpfte. Es ist kein einfaches Buch, es ist traurig, aber es hat viel zu geben.