Kabarettist und Schriftsteller Peter Grohmann ist ein Anstifter. Einer, der einfach den Mund nicht halten kann. Der ungeniert unter den Teppich guckt und vorzerrt, was drunter gekehrt wurde. Jetzt erschien im Silberburg-Verlag seine Biographie und die beweist: der Mann kann einfach nicht anders, diese Haltung ist die Antwort auf sein Leben!
1937 in Breslau geboren, floh Grohmann mit seiner Familie nach Westen, um dann im zerbombten Dresden im Luftschutzbunker zu überleben und zwischen Trümmern zu spielen. Dabei lernte er nicht nur, wie man übrig gebliebene Handgranaten entschärft, sondern auch, wie weit Menschen für eine Ideologie bereit sind zu gehen. Und im Falle einer Niederlage wieder zurück rudern. Oder eben auch nicht.
In den Folgejahren wechselt die Familie noch oft die Tapeten und landet eines Tages im schwäbischen Zwiefalten. Später erliegt der “Provinzler” dem Reiz der Landeshauptstadt, wo die Leute zusammen sitzen und nächtelang diskutieren, wo Aufklärer auf bunte Hunde treffen, wo es selbstbewusst um Politik im Alltag geht und wo Grohmann unter anderem den Club Voltaire mitgründet: der selbst verwaltete politisch-literarische Treffpunkt war Anlaufstelle für Studenten, Intellektuelle, Lehrlinge, Werktätige, Buchhändler, Filmemacher, Gewerkschafter, Künstler, politische Vordenker und andere Freigeister. Ein Joseph Fischer ging in den Anfangsjahren ebenso ein und aus wie Franz Josef Degenhardt, Hanns Dieter Hüsch, Hannes Wader, Reinhard Mey oder Wolfgang Kiwus.
In Stuttgart-Wangen machte sich Peter Grohmann in den 1970ern mit einer winzigen Buchdruckerei selbstständig und verteilte jede Menge Flugblätter, Monatsprogramme und Pamphlete. Mit Schretzmeiers wird das Theaterhaus in Wangen auf die Beine gestellt und hier, in Stuttgart, beheimatet er schließlich auch sein Bürgerprojekt “Die Anstifter”, für die Jochen Stankowski das Logo entwirft.
In acht Kapiteln – aufgeteilt in mehrere “Denkzettel” – blickt er nun zurück auf sein turbulent-politisches Leben, streift selbstironisch und reflektiert Anekdoten wie Weggefährten und blättert in seinen Erinnerungen an politische Aktionen, Wendungen und Wendehälse, an ganz persönliche familiäre Ereignisse und Prägungen.
Früh lernt Peter Grohmann, was Hunger und Besitzlosigkeit sind, aber auch was Solidarität bedeutet. Peter Grohmann sieht die Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland wachsen, wird als deutscher Staatsbürger automatisch Mitglied des NATO-Bündnisses, erlebt, wie die schwarze Bevölkerung in den USA um Gleichberechtigung kämpft, trauert um Martin Luther King und Rudi Dutschke.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sind Werte, die der gelernte Schriftsetzer Grohmann nicht nur vollmundig und multimedial publiziert, sondern die er auch mit Leben füllt. Und auch wenn seine Mutter im Vertrauen verrät, dass er “halt gerne labert”, ist ihr Sohn einer, der durchaus anpackt. Egal, obs in den 60ern um Fluchthilfe für Deserteure der amerikanischen Armee geht, um einen weniger erfolgreichen und ganz individuellen Wiederaufbau Ost oder um Widerstand gegen Stuttgart 21.
Wie so oft war die Familie auch für Peter Grohmann eine Sowohl-als-auch-Angelegenheit: aus Tradition sozialdemokratisch eingestellt, wurde die rote Fahne im Hause Grohmann geschwenkt, seit der kleine Peter denken kann. Klassenkampf und die “rote Gefahr” sind dem Kind von Kindesbeinen an vertraut. Gleichzeitig erkennt er die Grenzen des bürgerlichen Existenz und rückt in der Folge noch ein bisschen weiter nach links. Da ist er geblieben. Bis heute. Was man respektvoll anerkennen oder als beratungsresistent konstatieren kann.
Er pflegt Ostkontakte, als die ehemalige DDR als “Bäh” galt, verweigert den Wehrdienst, als er noch gute Bürgerpflicht und gar nicht so einfach abzuwehren war und grüßt im Neckarstadion per Transparent die “Kumpel in Hanoi”. Mit einigen befreundeten Familien gründen die Grohmanns in Stuttgart den ersten Kinderladen, Grohmann ruft spontan einen regionalen “Apfel-Verteiler” ins Leben, klebt Plakate zu brisanten Themen an Kirchen- und andere Türen und bleibt auch als Redakteur und “Werbefuzzi” unbequem, was ihm nicht nur einmal Untersuchungshaft und zahlreiche Ermittlungsverfahren sondern auch einen Brandanschlag auf die Grohmann’sche Wohnung einbringt.
Obwohl um Chronologie bemüht, schweift Peter Grohmann in seiner Biografie da ab, wo der Querverweis auf die Vergangenheit zum besseren Verständnis der Gegenwart beiträgt, setzt da Fußnoten, wo der Treppenwitz oder die bittere Ironie der Geschichte lauert.
“Die Andersdenkenden und Radikalen von einst sind inzwischen Justiz- oder Außenminister geworden oder in der Vorstandsetage vom Daimler gelandet, wurden Oberbürgermeister in Schwäbisch Gmünd oder IG-Metall-Vorsitzender in Frankfurt. Alle weg. Viele Jahre später haben wir immer noch nicht gewonnen” schreibt Grohmann im Nachtrag zu Kapitel vier und sinniert am Ende seines Buches: “Ich hab so eine Ahnung, dass ich noch ganz viel leben muss.”
Auch wenn man Peter Grohmann bisweilen Aktionismus vorwerfen könnte, der unter Umständen dem “System” sogar in die Hände spielt: dafür, dass er seinen freiheitlichen Prinzipien und der “demokratischen Basis” bis jetzt treu geblieben ist, verdient er ohne Zweifel Respekt und sein Buch unbedingt viele aufmerksame Leser.
Peter Grohmann “Alles Lüge außer ich. Eine politische Biografie”, 320 Seiten, gebunden, 24 Euro 90, Silberburg-Verlag