Frauen sollen mehr Krafttraining machen, das lesen wir nicht nur immer wieder in den diversen Fitnesszeitschriften, sondern wir sehen auch jede Menge vor Kraft strotzender Frauen auf Instagram und Facebook und lernen durch sie, dass Muskeln etwas Tolles sind und die Gewichtscheiben unsere Freunde. Blöd nur, wenn man sich plötzlich allein unter Pumpern befindet und sich der eigene Angstschweiß mit dem säuerlichen Geruch der testosterongeschwängerten Muskelberge um einen herum vermischt ...
Ich liebe mein Fitnessstudio. Wirklich. Ich kann dort machen was ich möchte, niemanden irritieren meine Sprints auf dem Laufband oder meine Verrenkungen am TRX. Jeder kümmert sich um sich - allzu selbstverständlich praktiziert das vor allem eine Spezies im Fitnessstudio.
Schon bevor ich jemanden sehe, höre ich sie. Ein lautes Stöhnen, das mich im Schritt inne halten lässt, denn ich möchte hier nicht mitten in einen hemmungslosen Beischlafakt hineinplatzten. Meine Güte. Genau so stelle ich mir die Tonspur eines völlig übertriebenen Pornos vor. Als erstes fällt mir auf, dass hier nur Männer sind. Ich nehme einen Schluck aus meiner Wasserflasche stelle dabei fest, dass mich ein Dutzend Männerköpfe anstarren. An ihren Hälsen läuft der Schweiß hinab, runter auf ihre Brust, die dank des XXL-Dekolletees des Muscle-Shirts nahezu komplett freiliegt. Auf dem schwarzen Shirt steht in weißen Lettern „Gym Boss" und genau so sehen sie auch aus, die Herren der Schöpfung.
Bei meinem Anblick richten sie sich noch ein Stück mehr auf, nicht etwa, weil sie in mir speziell eine potentielle Partnerin sehen, nein, ganz einfach weil ihnen hier in dieser Hütte voller starker Kerle ihr Unterbewusstsein sagt: Mann! Da! Frau! Du! Zeig! Dass! Du! Bist! Bester! Es ist ein natürlicher Instinkt von ihnen, sich hier als stärkstes Männchen zu präsentieren, das vielleicht nicht allzu viel im Köpfchen hat, aber die breiteste Schulter der ganzen Stadt zum Anlehnen bietet. Diese trainiert sich aber leider nicht von allein - und so machen die Jungs mit ihrem Satz weiter und schnauben und stöhnen dabei besonders laut, so als stemmten sie einen mit einer in den Urlaub reisenden Großfamilie geladenen PKW gen Himmel.
Ich reiße mich los vom Anblick der Adonisse und beginne selbst mit meinem Workout - jedenfalls habe ich das vor. Denn mal abgesehen davon, dass die Stange nicht dort liegt, wo sie hingehört, sind auch die Gewichtscheiben scheinbar in ein Paralleluniversum geräumt worden. Ein alles verwüstender Tornado ist nichts gegen die königliche Selbstverständlichkeit, mit der ein Pumper die von ihm benutzten Gewichte durch die Gegend schleppt und schließlich am Ende seines Trainings irgendwo fallen lässt. Wenn man Glück hat, findet man das gewünschte Gewicht im Umkreis weniger Meter - wenn man Pech hat, verbringt man den Großteil seiner Trainingszeit mit der Suche nach 5-Kilo-Scheiben oder 2-Kilohanteln.
Zum einen frage ich mich in solchen Momenten: Wenn die Gorillas hier doch alle so stark sind, wieso schleppen sie dann ausgerechnet die niedrigen Gewichte mit sich herum und nicht die 20-Kilo-Scheiben oder 8 Kilo Hanteln? Und zum anderen erschließt sich mir die Herausforderung nicht, die das Zurücklegen von Trainingsgewichten offenbar mit sich bringt. In diesem Augenblick wandert wieder ein selig lächelnder, hechelnder Kerl mit zwei Kurzhanteln unter dem Arm und einer Langhantelstange in der anderen Hand an mir vorbei, weg von der Freihantelfläche. Nimmt er die jetzt zum Kuscheln mit nach Hause, weil es "so schön" mit ihnen war?
Ich finde noch eine Langhantelstange und entdecke ein paar 2,5 Kilo Gewichtscheiben, die liebevoll hinter mehreren 20-Kilo-Scheiben platziert wurden. Ich kann mir ein Schnauben nur schwer verkneifen und würde dem Trottel, der die Scheiben dort "eingesperrt" hat, am liebsten eine reinhauen; doch ich spare mir meine Kraft für die Befreiungsaktion der kleinen Scheiben. Die Pumper beäugen mich stirnrunzelnd dabei, wie ich angestrengt versuche, mir die schweren Gewichtscheiben nicht auf die Füße fallen zu fallen, während sie geradezu entspannt ihre Übungen machen, doch zur Hilfe kommt mir natürlich keiner - schließlich sind sie ja gerade mitten im Satz!
Nachdem ich mich so unsanft aufgewärmt habe, kann ich endlich loslegen - jedenfalls, nachdem ich den Schweißbach entfernt habe, den der Kerl vor mir, der offenbar die Vorteile eines Handtuchs noch nicht ganz erkannt hat, auf der Bank hinterlassen hat. Während ich also damit beginne, ein für die Pumperfraktion vergleichsweise geringes Gewicht nach oben zu stemmen, haben andere ihr Workout für ein Schwätzchen unterbrochen und sich dafür den denkbar besten Platz ausgesucht: Sie stehen in einer Dreiergruppe direkt hinter meinem Kopf und quatschen nicht gerade leise miteinander. Dagegen kommen selbst meine teuren In-Ear-Kopfhörer nicht an, jedenfalls nicht, so lange ich den Ton nicht voll aufdrehe und mir damit mein Trommelfell zerschieße. Genervt lockere ich meine Arme während der Pause aus und ignoriere die amüsierten Blicke der Männer.
Zwei Sätze später stehen sie immernoch da, mit schon abgekühlten Muskeln, aber einem richtig heißgelaufenen Quasselmotor. Als ich mich umdrehe, um an das Klimmzuggerät hinter mir zu treten, guckt mich einer der drei finster an. "Du, ich bin hier noch dran", erklärt er und deutet auf den Eiweißshake, den er auf dem Sitz der Klimmzugunterstützung platziert hat. Shakes sind definitiv die Mallorca-Rentner-Handtücher des Fitnessstudios - neben den schweißgetränkten Handtüchern, die auch gerne mal als Reservierungshelfer missbraucht werden, obwohl weit und breit kein Besitzer zu sehen ist.
Ich ergebe mich dem Testosteron-Wall, der mir von den Tratschtanten entgegenschlägt, und ziehe ohne zu diskutieren von dannen, denn plötzlich frage ich mich, ob hier nicht irgendwo versteckte Kameras stehen. Oder ob RTL2 hier richtig miese Schauspieler ausgesetzt hat, um dem Fernsehpublikum in einer Nachmittags-Reality-Show mal zu zeigen, wie es eigentlich in deutschen Fitnessstudios so zugeht und ihnen das Vorurteil zu nehmen, alle Pumper wären leicht beschränkt. Wie das mit dem heutigen Unterhaltungsfernsehen und den "Drehbüchern" so ist, natürlich mit genau dem gegenteiligen Effekt.
Während es hinter mir aus der einen Ecke lacht und aus der anderen stöhnt, klaube ich mein Handtuch, meine Trinkflasche und mein Handy vom Boden und verschwinde in Richtung Ausgang. Vielleicht war das heute nur ein schlechter Tag.
Vielleicht. Meine Laune steigt jedenfalls, je weiter ich mich auf meiner Laufrunde nach Hause von den Möchtegern-Pumpern im Fitnessstudio entferne.