PeterLichts „Der Geizige“ im Schauspielhaus Wien
Das Bühnenbild – ein kleinbürgerliches Interieur der 1950er Jahre, versteckt hinter einer großen Bretterwand, dreht sich um seine eigene Achse. Darin – jeder an seinem Platz – sitzen oder stehen sie: Elli, Harpi,Vali, Cleanti sowie Onkeltante Jakob und singen ein fröhliches Trällerliedchen. „Jeder kriegt was er will, jeder behält sein ganzes Geld“ schallt es aus den fünf Kehlen in den Zuschauerraum so überzeugend, dass es schwer wird, sich gegen jene Gefühle zu stemmen, die diesem Happy-end nur allzu gern zustimmen würden.
Johannes Zeiler, Vincent Glander, Veronika Glatzner, Max Mayer, Katja Jung Bild: © Alexi Pelekanos / Schauspielhaus
Doch bis es soweit ist müssen erst einmal banale Dialoge und tiefgründige Monologe, absurde Handlungen und halsbrecherische Bühnenaktionen durchlebt werden. Peter Licht, der – beinahe könnte man sagen – Co-Autor des Stückes – hat ganze Arbeit geleistet. Jean-Baptiste Poquelin, besser unter seinem Künstlernamen Molière bekannt, lieferte dem jungen Autor mit seinem Stück „Der Geizige“ die Vorlage und Peter Licht konnte wohl nichts viel Besseres passieren. Spezialisiert auf Kapitalismuskritik nimmt er Molières Idee eines geizigen Mannes, der das Lebensglück seiner Umgebung mit seiner Untugend gefährdet, als Ausgangsbasis für ein Geschehen, in dem eines am Ende klar wird: Geld schadet allen. Geld schadet den Besitzenden wie den Habenichtsen. Es erweckt unstillbare Gelüste, die geradezu in den Konsumwahn mit all seiner Destruktivität münden. Es führt aber auch direkt in psychopathogene Zustände, wie jene von „Papa Harpagon“, der sich am Ende selbst in den Tresor mit seinem Geld einsperrt.
Im Gegensatz zu Molière stehen bei Licht aber nicht die zwischenmenschlichen Verwirrungen hauptsächlich zur Debatte und Auflösung. Vielmehr geht es ihm darum, zwei gänzlich unterschiedliche Sichtweisen auf das Geld darzustellen. Sein Geiziger – dargestellt von Johannes Zeiler - mutiert zum Öko-Philosophen, der das Geld mit Zeit gleichsetzt und dessen Reinheit über alles stellt. Sobald es in der Produktion von Gütern Verwendung findet hält er es für beschmutzt und in den Dreck gezogen, besudelt mit all den Schrecklichkeiten, die kapitalistische Ausbeutung nun einmal so mit sich zu bringen scheint. Seine Kinder, Elli „urnaiv“ in rotem Petticoatkostüm mit weißen Punkten und Cleanti im braven Buben-Kniehosenoutfit, haben hingegen einen ganz anderen Bezug zum Geld. Cleanti (Vincent Glander) hat Pläne, Pläne, Pläne, für deren Verwirklichung er sich beim gut vernetzten Vali (Max Mayer) stets profunde Hilfe erwartet. Dass sein Vater ihn finanziell austrocknet, ist ihm kein Anreiz, ohne dessen Hilfe einmal aktiv zu werden. Viel lieber fantasiert er davon, doch einmal Erbe zu sein von all dem Kapital, das jetzt brach liegt und keinem nützt. Selbst Onkeltante Jakob, von Katja Jung als dralle Haushälterin gemimt, leidet präkariatsmäßig unter der finanziellen Nicht-Zuwendung. Muss sie doch ihren abgebrochenen Absatz ihrer Pumps mit einem Klebeband befestigen, weil sie sich den Schuster nicht leisten kann.
Der Regisseur Bastian Kraft taucht Peter Lichts Text in neongrelle Farben, zumindest dann, wenn all jene am Zug sind die versuchen, Harpi sein Geld abzuluchsen. Keiner von ihnen ist mit hoher Intelligenz gesegnet – die Spitze oder besser, den Tiefpunkt geistiger Windstille markiert Elli (Veronika Glatzner) in ihrem Monolog, in welchem sie jeglicher Intelligenz abschwört und ihr Nicht-Wissen als etwas Heiliges in den Raum stellt, das erst in Zukunft dementsprechend gewürdigt werden wird. Leere gegen Produktion, Dummheit gegen Wissen, Trägheit gegen Aktivität – unsere überbevölkerte Welt könnte rein vom ökologischen Standpunkt aus betrachtet tatsächlich mehr davon vertragen.
Nur wenn Harpi selbst philosophiert beruhigt sich das Farbspektakel. Keine bunt projizierte Einrichtung auf die weiße Wand lenkt ab, kein grelles Kostüm konterkariert seine Ernsthaftigkeit. Vielmehr steht, während er sinniert, alles um ihn herum still. Friert ein in Alltagsposen und hebt seine Gestalt so von jenem unsinnigen Geschehen ab, das er mit seinem Geld nicht unterstützen möchte. Johannes Zeiler hat, als geiziger alter Mann mit gepudertem Gesicht, Glatze und schwerem Pelzmantel, lange Textpassagen zu meistern und folgt Lichts Kunstgriff, von einer geholperten, infantilen Ausdrucksweise zu Beginn des Geschehens sich einer mehr als alltagstauglichen, ja schon wissenschaftlich philosophisch angehauchten Sprache am Ende zu bedienen. Dass in der ersten Reihe Parkett mittig der Souffleur seinen Dienst versieht, ist sicherlich nicht nur in Reminiszenz an die barocke Aufführungspraxis zu verstehen. Harpi möchte „keine Spuren hinterlassen“, keine DNA auf unverrotteten Plastikbechern, beschwört jedoch seine Geldmanie, indem er zugibt, solange nicht davon zu lassen, bis der Zinseszins abgelöst wird. Eine Beschwörung und Pointierung auf jene kapitalistische Idee, die schon im alten Testament als unheilig angesehen und unter Strafe gestellt worden war. Aber es hat den Anschein, dass jene Ideen sich in der Menschheitsgeschichte am längsten halten, von denen man weiß, dass sie mehr Schaden als Nutzen bringen.
Die pragmatische Wirtschafterin – die „in diesem Haushalt die Orga macht“ – ist jene, die sich am allerwenigsten in das finanzielle Gebaren einklinkt. Zu sehr ist sie mit ihren Tätigkeiten beschäftigt und setzt alles daran, alles in Schuss zu halten – wenngleich auch in einem „land of puberté“, in dem sich nach ihrer Meinung nach alle in einer Dauerpubertät befinden. Ihr einfaches Gemüt beschäftigt sich nicht mit Nachhaltigkeit und Finanztransaktionen, vielmehr stellt sie sich beständig die Frage, wer ihr denn beim nächsten Tischdecken behilflich sein wird. Dass Vali – Molières Valère – der einzige ist, der Harpagon versucht Paroli zu bieten, nutzt ihm am Ende nichts. Seine konvulsivische Schimpftirade prallt an Harpis psychotherapeutisch geschulter Rhetorik ab und richtet sich schließlich sogar gegen sich selbst. Zerbrochen bleibt er, der im Leben trotz seiner geistigen Fähigkeiten nie Zugang zum Geld hatte, am Boden liegen und eröffnet mit diesem beunruhigenden Bild den allgemeinen Exitus – bis sich – siehe Textbeginn – doch alle wieder besinnen ein fröhliches Liedchen anzustimmen.
PeterLichts „Geiziger“ ist mehr als nur eine vergängliche, vergnügliche Abendunterhaltung. Seine Interpretation strotzt nur so von Wortwitz, Wortgewandtheit und Tiefsinnigkeiten, ohne sie jemals pathetische geschwängert aufs Publikum zu ergießen.
Durch Dagmar Balds clevere Kostümauswahl – eine freudig-krude Mischung aus vielen Epochen, von barocken Anklängen bis hin zu den Beatlesoutfits der 60er Jahre, sowie die intelligente musikalische Untermalung, die sich an die Kostüme zeittechnisch anlehnt – machen den Abend zu einem auch optisch stimmigen Ereignis.
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