Konkret 3/2013
Ist das Wachstum der Weltbevölkerung schuld an der globalen Nahrungsmittelknappheit? Eine Kritik der Wiederbelebung der Thesen des britischen Pfarrers Thomas Robert Malthus.
In den vergangenen Jahren ist die Anhängerschaft einer der ältesten kapitalistischen Krisenideologien, des Malthusianismus, geradezu beängstigend gewachsen. Kaum ein Bei trag über steigende Lebensmittelpreise, Hungerunruhen oder die sich anbahnende Ressourcenkrise kommt ohne einen Verweis auf das beständige Wachstum der Weltbevölkerung oder gar eine »Bevölkerungsexplosion« aus, die als eine Ursache der beklagten Krisenphänomene benannt wird. Nichts scheint auch bei der Deutung der zunehmenden ökologischen Verwerfungen einfacher, als dem von dem britischen Pfarrer Thomas Robert Malthus (1766–1834) formulierten Glaubensbekenntnis zu folgen, wonach die Menschheit an ihrer übermäßigen Vermehrung zugrunde gehen werde.
Die von Malthus Ende des 18. Jahrhunderts in seinem Essay on the Principle of Population ausgebreitete Überbevölkerungsthese, derzufolge das Bevölkerungswachstum in allen Gesellschaften generell stärker ausfällt als die Zunahme der landwirtschaftlichen Produktivität, genoß im 19. Jahrhundert nach ihrer Anreicherung mit rassistischen Ideologemen im Zuge der imperialistischen Expansion Europas breite Akzeptanz. Das Elend in den ausgepreßten Kolonien des globalen Südens – wie auch in den Slums Europas – konnte so auf die imaginierte Triebhaftigkeit und Zügellosigkeit der Unterworfenen und Ausgebeuteten zurückgeführt werden.
Seine radikalste Ausprägung fand der Malthusianismus aber erst im 20. Jahrhundert, als die Deutschen unter der Parole »Volk ohne Raum« einen Vernichtungskrieg im Osten mit dem Ziel einer weitgehenden Entvölkerung, der »Ausrottung« der »slawischen Untermenschen«, führten, um so deutsche Siedlungsgebiete zu gewinnen. Der ideologische Weg von Malthus bis Himmler war gar nicht so weit, wie Passagen aus der Erstausgabe des Essay on the Principle of Population belegen, in denen Malthus den Menschen, die seiner Meinung nach »überflüssig« auf der Erde seien, das Lebensrecht abspricht.
Malthus’ Thesen gerieten erst im fordistischen Nachkriegsaufschwung in Vergessenheit, als die »grüne Revolution« einen massiven Anstieg der Agrarerträge in allen Industriestaaten bewirkte und der zeitweilige Arbeitskräftemangel zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit und des blanken Elends zumindest in den Zentren des kapitalistischen Weltsystems führte. Angesichts von Vollbeschäftigung, Milchseen und Butterbergen, die der kapitalistische Agrarsektor produzierte, schienen sich die Überbevölkerungsthesen des englischen Pfarrers endgültig blamiert zu haben. Deren Renaissance setzte erst im Zuge der Krisenperiode der siebziger Jahre ein, als der Club of Rome seinen berühmten Bericht Grenzen des Wachstums publizierte, durch den abermals das Schreckgespenst einer globalen Bevölkerungsexplosion geisterte.
Heutzutage gehört die Überbevölkerungsthese zum Repertoire des publizistischen Mainstreams; sie wird spätestens seit dem Ausbruch der globalen Nahrungsmittelkrise 2007/08 in einer schier unüberschaubaren Fülle von Beiträgen immer wieder aufgewärmt. Dabei scheint ein flüchtiger Blick auf das relevante empirische Material zum Bevölkerungswachstum den gegenwärtigen Neomalthusianismus zu bestätigen, da die Weltbevölkerung ja tatsächlich nicht unendlich wachsen kann, ohne daß irgendwann die Ressourcen unseres Planeten erschöpft wären. Malthus würde sich damit von einem reaktionären Spinner, der eine überbevölkerte Welt bereits am Ende des 18. Jahrhunderts kommen sah, zu einem visionären Propheten wandeln. So wächst die Weltbevölkerung
weiterhin an, wenn auch die Steigerungsrate stetig abnimmt – laut UN-Prognosen soll sie von den derzeit rund sieben Milliarden bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts auf voraussichtlich neun Milliarden Menschen steigen.
Seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts geht das Wachstum der Weltbevölkerung mit einer Zunahme von Mißernten bei vielen Agrarerzeugnissen einher, mit der Folge, daß das global produzierte Angebot nicht mehr ausreicht, um die wachsende Marktnachfrage zu stillen. Diese Tendenz zur Unterversorgung des Marktes wird an den Ernteverläufen bei Getreide – der mit Abstand wichtigsten Nahrungspflanzenfamilie – in diesem Jahrhundert deutlich: In sieben der vergangenen zwölf Jahre reichten die Ernteerträge nicht aus, um die Nachfrage zu decken. Folglich nehmen die globalen Getreidereserven immer stärker ab: Während in den letzten zwei Dekaden des 20. Jahrhunderts die weltweiten Reserven fast immer ausreichten, um den Bedarf der Menschheit über mehr als 100 Tage zu decken (mitunter waren es in den späten Achtzigern und den Neunzigern 120 Tage), sind sie mit dem Beginn dieses Jahrhunderts deutlich geschrumpft und pendeln zwischen einer globalen Nachfrageabdeckung von 60 bis 80 Tagen. Die Preisexplosion der letzten Jahre bei vielen Grundnahrungsmitteln ist auf diese Verknappungstendenzen zurückzuführen.
Dennoch trügt die Annahme einer kausalen Beziehung zwischen Bevölkerungswachstum und Lebensmittelverknappung, wie sie von den Neomalthusianern konstruiert wird, da hierbei ein zentraler Faktor unberücksichtigt bleibt. Denn entscheidend ist selbstverständlich dieEntwicklung der Pro-Kopf-Produktion von Lebensmitteln, da ja der Agrarsektor ebenfalls Produktivitätszuwächse verzeichnet. Erst wenn die Steigerungsraten der globalen Nahrungsmittelerzeugung hinter das Bevölkerungswachstum zurückfielen und die Pro-Kopf-Erträge stark einbrächen, ließe sich die von Malthus konstruierte Überbevölkerungsfalle konstatieren. Doch dies ist nicht der Fall. Laut den Zahlen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), befinden sind die globalen Pro-Kopf-Erträge bei allen Getreidearten weit über dem Niveau der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts, wobei sie seit den achtziger Jahren auf einem hohen Niveau stagnieren.
Ausgehend von einem Durchschnittswert der Ernteerträge in den Jahren 2004 bis 2006, standen jedem Menschen 1961 nur knapp 79 Prozent dieser Getreidemenge zur Verfügung; 1970 waren es schon 90 und 1980 bereits 98 Prozent. In den darauf folgenden drei Dekaden oszillierte die Ausbeute aller Getreidearten zwischen rund 93 und 107,5 Prozent der Durchschnittserträge der Jahre 2004 bis 2006. Trotz der von den Malthusianern postulierten Bevölkerungsexplosion stünden rein theoretisch jedem Menschen heutzutage mehr Getreideprodukte zur Verfügung als 1961 oder 1970.
Noch deutlicher wird diese Tendenz beim World Food Price Index der FAO, in dem alle nährstoffhaltigen Lebensmittel zusammengefaßt werden. Ihm zufolge wuchs in den vergangenen 50 Jahren die Nahrungsmenge beständig, die jedem Menschen zur Verfügung stehen könnte. In Relation zur Durchschnittsproduktion von 2004 bis 2006 waren es 72 Prozent in 1960, 76 Prozent in 1970, 80 Prozent in 1980, 86 Prozent in 1990, 93 Prozent in 2000 und 107 Prozent in 2010. Die Nahrungsmittelproduktion weist somit generell bislang ein höheres Wachstumstempo als die Weltbevölkerung auf; sie kann zumindest mit dem Bevölkerungswachstum mithalten, wie im Fall der Getreideerträge. Damit ist die Überbevölkerungsthese der Malthusianer widerlegt. Zudem schätzt die Uno, daß die Weltbevölkerung ab der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts langsam abnehmen wird. Selbst der Club of Rome geht in seiner jüngsten Prognose davon aus, daß im Gefolge der globalen Urbanisierungsprozesse die Weltbevölkerung bereits 2040 ihren Höchststand von 8,1 Milliarden Menschen erreichen wird und danach ein Schrumpfungsprozeß einsetzen dürfte.
Es bleibt die Tatsache, daß die Marktnachfrage stärker steigt als die Agrarproduktion. Die »Mißernten« der vergangenen Jahre resultierten ja gerade daraus, daß die globale marktvermittelte Nachfrage des Kapitals nach Agrarrohstoffen – und nicht etwa der Nahrungsbedarf der Menschheit – nicht gedeckt werden konnte. Offensichtlich wächst die Marktnachfrage stärker als die Weltbevölkerung. Laut FAO könnten beim derzeitigen Produktivitätsstand der Agrarindustrie rund zwölf Milliarden Menschen mit den notwendigen Nährstoffen versorgt werden – und dennoch müßten wir die »Nahrungsmittelproduktion bis 2050 verdoppeln, um die Nachfrage infolge der steigenden Weltbevölkerung stillen zu können«, wie Claire Schaffnit-Chatterjee, Autorin einer Agrarstudie für die Deutsche Bank, gegenüber »Welt Online« behauptete.
Die kapitalistische Weltwirtschaft scheintalso äußerst verschwenderisch mit den globalen Ressourcen umzugehen, wenn zur Befriedigung der Bedürfnisse der zusätzlichen zwei Milliarden Menschen, um die bis 2050 die Weltbevölkerung anwachsen soll, die Nahrungsmittelproduktion verdoppelt werden müßte. Doch selbstverständlich geht es der globalen Agrarindustrie nicht um die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse – sonst hätten wir derzeit nicht 870 Millionen hungerleidende Menschen auf diesem Planeten –, sondern um eine möglichst hohe Verwertung ihres Kapitals, die den gesamten Agrarsektor in ein System effizientester Ressourcenverschwendung verwandelt. Es ist nicht nur die zunehmende Produktion von sogenannten »Biokraftstoffen« aus Lebensmitteln, mit der die globale Nahrungs- und Ressourcenkrise forciert wird (siehe KONKRET 12/12), es sind vielmehr die durch das Kapital im Zuge der »grünen Revolution« selber hervorgebrachten Produktivitätssprünge, die im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise paradoxerweise zu der gegenwärtigen Ressourcenkrise im Agrarsektor führen.
Im Rahmen der Kapitalverwertung sind alle ökologischen Ressourcen und Rohstoffe nur als Träger von Wert – also abstrakt menschlicher Arbeit – von Belang. Je höher die konkurrenzvermittelte Steigerung der Produktivität im Agrarsektor getrieben wird, desto weniger ab strakte Arbeit ist in einem gegebenen Quantum Agrarrohstoffe verdinglicht. Um den Verwertungsprozeß des Kapitals auch in diesem Sektor aufrechtzuerhalten, müssen daher neue Absatzfelder für die anschwellende und an Wert verlierende Agrarproduktion gefunden werden – samt Mitteln und Wegen, diese Verwertungunter einem möglichst hohen Aufwand von Ressourcen und Rohstoffen zu betreiben, auch wenn hierbei die ökologischen Grundlagen der Verwertung langfristig zerstört werden. Je größer die Produktivität der globalen Agrarmaschinerie, desto stärker wird auch ihr Ressourcenhunger, da die Wertmasse pro produzierte Einheit tendenziell abnimmt. Ein Versuch, in der kapitalistischen Agrarwirtschaft eine ressourcenschonende Produktionsweise einzuführen, ist unmöglich – er käme einer Kapitalvernichtung gleich. Aus diesem Verwertungszwang ergibt sich die Tendenz zur effizienten Ressourcenverschwendung, deswegen »muß« die Nahrungsmittelproduktion bis 2050 verdoppelt werden, um ein Bevölkerungswachstum um 28 Prozent zu verkraften.
in Paradebeispiel für diese Tendenz zur effizienten Ressourcenverschwendung liefert die USamerikanische Maisindustrie, die seit der grünen Revolution in den Siebzigern die USVerbraucher mit dem High Fructose CornSyrup (HFCS) beglückt, einem Zuckerkonzentrat, das den gewöhnlichen Zucker verdrängt hat und sich inzwischen in einer Unmenge von Nahrungsmitteln befindet. Der Filmemacher Curt Ellis, der in seinem Dokumentarfilm »King Corn« Geschichte und Folgen der Industrialisierung der amerikanischen Maisbranche beleuchtet hat, schilderte die Einführung von HFCS in einem Interview so: »In den Siebzigern wurde diese enorme Steigerung der Maiserträge erreicht, und nun tauchten überall im Mittleren Westen diese gigantischen Maisberge auf. Deswegen schien alles hilfreich, um diese Maismengen verwenden zu können.«
Inzwischen findet sich das von der Lebensmittelindustrie entwickelte HFCS, das mit der Zunahme von Fettleibigkeit, Diabetes, Herz und Lebererkrankungen in den vergangenen Dekaden in Verbindung gebracht wird, in »Tausenden« von Lebensmitteln wieder. »Unsere Ernährung ist sehr viel süßer geworden«, so Ellis. »High Fructose Corn Syrup ist überall, er ist in deiner Spaghettisoße oder in einem Laib Brot – in Produkten, in denen er vor einer Generation noch nicht zu finden war.«
Produktivitätssteigerungen in der kapitalistischen Agrarindustrie führen somit nicht zu einer Schonung der begrenzten natürlichen Ressourcen, sondern zum Bemühen, auf Biegen und Brechen neue Nachfragefelder zu schaffen, um den Verwertungsprozeß aufrechtzuerhalten – und wenn es der menschliche Körper sein muß, der als Fruchtzuckerhalde mißbraucht wird. Deswegen nimmt der Ressourcenhunger der globalen Verwertungsmaschinerie immer weiter zu, deswegen werden immer neue »Märkte« und krankmachende Produkte kreiert, während eine knappe Milliarde marginalisierter Menschen hungern muß, weil sie aus der Kapitalverwertung ausgestoßen sind und keine zahlungskräftige Nachfrage bilden können.
Und es sind gerade diese Menschen, denen die gegenwärtig sich rasant vermehrende Malthus Anhängerschaft ihre bloße Existenz zum Vorwurf macht. Es ist geradezu pervers, den Konsum von Nahrungsmitteln in der »Dritten Welt« mit der sich abzeichnenden Nahrungskrise in Zusammenhang zu bringen. Der Kalorienkonsum im subsaharischen Afrika hat zwischen 1964 und 1999 nur leicht von 2058 auf 2195 Kalorien zugelegt. In den Industrieländern kletterte er im gleichen Zeitraum von 2947 auf 3380 Kalorien. Bei vielen Ressourcen liege der Verbrauch in den Industrieländern um bis zu zehnmal höher als in den »Entwicklungsländern«, konstatierte eine vom Umweltbundesamt kofinanzierte Studie zum globalen Ressourcenverbrauch (Ohne Maß und Ziel – Über unseren Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Erde). Die Einwohner Nordamerikas konsumierten demnach 90 Kilo Ressourcen pro Tag, in Europa seien es 45 – und in Afrika nur zehn Kilo. Interessanterweise liegt die tägliche Ressourcenentnahme in Afrika bei rund 15 Kilo pro Einwohner. Was passiert mit dem Förderüberschuß? Mit circa drei Tonnen pro Einwohner und Jahr sei Europa der »Kontinent mit den größten Nettoimporten an Ressourcen«, der von einem »bedeutenden Transfer von Ressourcen aus armen Ländern mit geringem Konsum in reiche Länder mit hohem Konsum« profitiere, so die Studienautoren.
Malthus steht plötzlich Kopf: Anstatt sie selber zu verfeuern, führen die Regionen mit dem höchsten Bevölkerungswachstum (arme Länder) rund ein Drittel ihrer geförderten Ressourcen in die Regionen aus, in denen es kein Bevölkerungswachstum gibt (reiche Länder). Offensichtlich tragen somit nicht die unterentwickelten Länder mit dem höchsten Bevölkerungswachstum zur Ressourcenkrise bei, sondern die entwickelten Industrieländer, die ein Vielfaches an Ressourcen – die zum guten Teil aus der »Dritten Welt« importiert werden – verballern.
Angesichts der Absurdität der Thesen der Überbevölkerungsideologen stellt sich die Frage, wieso dieses archaische Denken des 18. Jahrhunderts ausgerechnet jetzt, in der gegenwärtigen Krisenperiode, wieder um sich greift. Malthus formulierte seine Thesen in einer Phase ungeheurer Massenverarmung, die mit der Durchsetzung des Kapitalismus in England einherging. Die Arbeitslosen und massenhaft von ihrem Grund und Boden vertriebenen Menschen, die der Kommerzialisierung der Landwirtschaft weichen mußten, wurden als »überflüssiges Menschenmaterial« in die Städte gespült, wo sie die Reservearmee der ersten Industriellen Revolution bildeten, oder sie irrten auf dem Land umher, wo sie permanenter Repression ausgesetzt waren. Der langfristige Prozeß der »Einhegungen«, der mit massiven Vertreibungen einhergehenden Etablierung von Privatbesitz an Grund und Boden, fand gerade zu Lebzeiten von Malthus seinen historischen Höhepunkt. Malthus ideologisierte die desaströsen sozialen Folgen der Kommerzialisierung der Landwirtschaft (Schafzucht für die aufkommende Textilindustrie) zu einem »natürlichen« Prozeß der Überbevölkerung. Die Opfer dieser »Einhegungen« wurden so durch Malthus zu Tätern gemacht – und das Verbrechen, das sie begingen, bestand einzig in ihrer Existenz.
Eine ähnliche weltgeschichtliche Situation entfaltet sich auch gegenwärtig, da derzeit krisenbedingt immer mehr Menschen aus der Lohnarbeit ausgeschlossen werden. Diese Krise wird potenziert durch die Ressourcenkrise, die – wie dargelegt – aus dem unersättlichen Ressourcenhunger der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie resultiert. Die Arbeitslosenquoten in Südeuropa nähern sich ja inzwischen dem Niveau in der »Dritten Welt« an, doch es findet zugleich gerade kein massiver Verfall der Rohstoffpreise statt, der für Rezessionen eigentlich charakteristisch ist. Während die globalen »Wohlstandsinseln« immer weiter abschmelzen und Verelendung, Marginalisierung, Obdachlosigkeit und Massenarbeitslosigkeit um sich greifen, gewinnt der Reflex an Intensität, diesen Pauperismus zu einem »natürlichen« Phänomen zu ideologisieren. Dieser Reflex ist die Ausgeburt eines Denkens, das nichtfähig ist, die eigene, als »natürlich« imaginierte Gesellschaft kritisch zu hinterfragen. Die innerhalb der kapitalistischen Akkumulationsbewegung überflüssige Bevölkerung soll abermalszur Ursache der Krise erklärt, die bloße Existenz dieser Ausgestoßenen des Kapitalismus zum eigentlichen Problem halluziniert werden. Die unlösbaren und sich in der Krise zuspitzenden Widersprüche des Kapitalismus erhalten so denAnschein natürlicher Folgen der »Überbevölkerung«. Letztlich dient auch die gegenwärtige Reanimation der malthusianischen Ideologie dazu, ihre Apologeten gegen das um sich greifende Elend zu immunisieren.