Ich war bis zu meinem 5. Geburtstag ein Einzelkind und ein Stadtkind war ich sowieso. Bei uns gab es eine kleine Wohnung im Hinterhaus mit Ausblick auf einen tristen Hinterhof, keinen Balkon oder Garten. Leider konnte ich weder meine Mutter noch meine Oma immer davon überzeugen, dass sie mit mir die oeffentlichen Spielplätze in Krefeld besuchen sollten, daher habe ich mich in meiner Kindheit doch viel gelangweilt. TV war damals auch noch nicht allgegenwärtig, das Kinderprogramm 45 - 60 Minuten pro Tag fing, wenn ich mich recht erinnere um 17.00 Uhr an.
Meine Eltern kamen aus dem Osten Deutschlands, daher war die Wohngegend, in der sie ihre erste Wohnung bezogen, auch nicht wirklich exklusiv. In den 60. Jahren zogen dort dann auch die ersten 'Gastarbeiter' aus Italien ein. Sie wurden für das Wirtschaftswunder dringend benoetigt, aber in der Nachbarschaft wollte sie keiner wirklich haben. Ihren ging der Ruf voraus, dass sie schmuddelig seien und dass sie stinken. Auch dachte man, dass sie sowieso bald in ihre Heimat zurückkehren würden, daher versuchte man gar nicht erst sie zu integrieren, sondern richtete an meiner Schule z.B. rein italienisch-sprachige Klassen mit Lehrern aus Italien ein.
An einem schoenen Tag quengelte ich so lange bis mit meine Mutti mit meinem neuen Puppenwagen allein auf der Straße spielen liess. Unter vielen Ermahnungen brachte sie mich hinunter, zeigte mir die Klingel, die ich betätigen sollten, falls etwas schief ginge. Sie konnte mich ja nicht vom Fenster aus beaufsichtigen, da unsere Wohnung, wie schon gesagt im Hinterhaus lag.
Nun was soll ich sagen, es dauerte keine 10 Minuten, da hatte eine Gruppe von älteren Jungs mit mit meinem tollen neuen Puppenwagen entdeckt. Zuerst machten sie Witzchen, dann zogen sie meiner Puppe die Bettdecke weg, unter großem Gelächter wurde dann der ganze Puppenwagen umgekippt, ich war mittlerweile in Tränen aufgeloest, und die Jungs haben die Puppe getreten. Verzweifelt versuchte ich meine Mutter zu rufen, aber es stellte ich heraus, dass ich zwar unseren Klingelknopf erkannte, aber wegen meiner geringen Koerpergroeße nicht erreichen konnte.
Da kam mir die kleine Italienerin Antonietta zur Hilfe. Sie war wohl ein Jahr älter als ich und brachte noch Unterstützung mit, das veranlasste die Jungs dazu von mir und meinem Puppenwagen abzulassen. Antonietta half mir meine Habseeligkeiten wieder einzusammeln und meine Puppe wieder zu betten. Sie bewunderte meinen neuen Puppenwagen sehr und ich liess sie ihn gerne schieben.
Von diesem Tag an waren wir unzertrennlich. Wir verbrachten Stunden mit meinem Puppenwagen, sie brachte mir mit ihren Freundinnen Gummitwist springen bei. Unsere liebste Betätigung war allerdings das Glanzbilder Tauschen. Sie zeigte mir ihre Sammlung und ich nahm Kontakt mit dem lokalen Schreibwaren- und Zigarrenhandel auf, um mir dort eine leere Zigarrenkiste zu erbetteln. Denn mit der Zigarrenkisten stand oder fiel das gesammte Unternehmen. Dann wurden Oma und Mutti bei jedem Einkauf beknetet, mir doch Glanzbilder zu kaufen. Antonietta liebte die glitzerigen, am liebsten hatte sie die Engelsmotive oder Marienbilder, ich war mehr auf die Rosen und Blumenbilder aus. Irgendwo auf dem Speicher in meinem Elternhaus ist sicher auch noch meine Zigarrenkiste zu finden.
Antonietta hatte eine große Familie, sie war das vorletzte Kind. Sie nahm mich oft in ihre Wohnung mit, dort war immer etwas los. Die pubertierende Schwester wurde von ihrer Mutter mit dem Kochloeffel um den Tisch gejagt, weil sie mit einem deutschen Jungen geredet hatte, die Familie sass um einen großen Tisch und man teilte sich Spagehtti aus einer großen Plastikschüssel, es roch fremd und doch so aromatisch, heute weiss ich, das lag am Knoblauch und am Oregano. Dreckig war es dort keineswegs, ich erinnere mich an Antoinettas Mutter immer in der Kittelschürze und mit Putzeimer und Lappen in der Hand.
Ich muss sagen, ich bin für diese Kindheitserinnerungen sehr dankbar. Später zog Antonietta in eine andere Straße, ich habe sie dort noch einmal besucht, aber dann leider aus den Augen verloren. Mittlerweile hatte ich mich auch mit Inge von gegenüber angefreundet, sie ging in meine Klasse.