“All is Lost” von J. C. Chandor

Robert Redfort in J. C. Chandors

Robert Redfort in J. C. Chandors “All is Lost”

All is Lost, der erst zweite Film von Regisseur J. C. Chandor, der mit Margin Call ein glanzvolles Gegenstück voller Menschen geschaffen hat, die ihren Mund nicht halten können, ist einer der ruhigsten Filme die man dieser Tage erleben darf. Mit “Ruhig” ist hier nicht unbedingt das atmosphärische Empfinden gemeint, die stürmischen Wellen auf hoher See verbreiten durchaus ein ohrenbetäubendes Tosen. Die Ruhe geht hier von der Stille aus, die durch Hauptdarsteller Robert Redford gelebt wird.

Verloren irgendwo im indischen Ozean, zwischen Indonesien und Madagaskar, treibt “Unser Mann” (“Our Man”), wie er im Abspann betitelt wird, hilflos umher. Gab es alles schon einmal: In Ang Lees Life of Pi stellt sich ein Jüngling der Übermacht des Meeres, in Cast Away ist Tom Hanks der Schiffbrüchige. Einmal wird mit einem Tiger gesprochen, ein anderes Mal mit einem Volleyball. Robert Redford muss auf solcherlei Zuschauer freundliche Gesprächspartner verzichten. Er durchlebt einen zugegeben gewöhnungsbedürftigen Film, in dem er nur dann Worte von sich gibt, wenn sie auch wirklich von Nöten sind. Und das ist nicht sehr oft. Es ist an einer Hand abzuzählen. Redford zeigt eine großartig minimalistische Performance. Die Dramatik erwächst hier aus den bloßen Taten.

Robert Redford trotz der stürmischen See

Robert Redford trotz der stürmischen See

Der Zuschauer erfährt nicht sehr viel über diesen Mann, den wir auf seinem ruhigen Überlebenskampf begleiten. Der Film eröffnet mit Redfords Stimme aus dem Off. Er nennt die Worte “All is Lost”, scheint aufgegeben zu haben. Dann noch “I will miss you” und der Film springt acht Tage zurück. Redford trägt einen Ehering. Die in der noch kommenden Zukunft gesprochenen Sätze, die sich später als letztes Gekritzel auf einem Stück Papier herausstellen werden, weisen auf einen Menschen hin, der Zuhause auf “Our Man” wartet. Auf seiner gut ausgestatteten Yacht, die einen Schiffscontainer rammt und dabei durchlöchert wird, wimmelt es nur so von technischen Spielereien, die aber allesamt nicht dem Untergang der Virginia Jean, der Name des Bootes – ohne Verweis auf mögliche menschliche Namensgeber – entgegen wirken können.

Die Kamera von Frank G. DeMarco und Peter Zuccarini fängt akribisch jede Handbewegung und Regung von Robert Redford ein. Wo die Stimme fehlt, muss das Bild, muss der Mann für sich sprechen. Das macht Redford vor allem durch Mimik und Gestik, die Augen bieten einen Blick in das Innerste dieses Mannes. Wenn er sich mitten im Sturm ruhig rasiert, dann merkt man diese Gelassenheit am Blick Redfords. Wenn er in einem kleinen Rettungsschlauchboot sitzt und seine Yacht aufgibt, sieht man, wie sich die Trauer in seinen Augen wiederspiegelt, sein Schmuckstück dem Meer zu übergeben. Und wenn er ohne Essen und Trinken dasitzt, steht ihm die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Redford schafft es durch die Augen mit uns zu sprechen, während J. C. Chandor, auch für das Drehbuch verantwortlich, mit dieser Herangehensweise eine immense Emotionalität erzeugt. Die Dauerstille führt zu einem Gefühl bedrohlicher Ruhe, zum Fühlen der Abgeschiedenheit und Einsamkeit dieses Mannes.

Robert Redford als der alte Mann, der gegen das Meer kämpft

Robert Redford als der alte Mann, der gegen das Meer kämpft

Eindringlich darf Redford wenige Male doch seine Stimme hören lassen, immer im Zusammenhang mit S.O.S.-Signalen. Einmal versucht er es via Funk, ein anderes Mal schreit er einem vorbei fahrenden Containerschiff entgegen. Beide Male bleiben seine Hilfegesuche erfolglos. Nach allem was Redford hier durchmachen muss, vom Rotieren seiner Yacht, während er sich im Inneren befindet, zahlreiche Begegnungen mit dem Beinahetod, ausgelöst durch Trink- und Essensmangel, durch im Meer lauernde Haifische – durch natürliche Begebenheiten, die hier den großen Antagonisten mimen – fühlt man sich dann als Zuschauer erlöst, wenn Redford zumindest einmal inbrünstig “Fuck” schreit und all sein Frust sich in nur einem einzigen Wort entlädt, bevor er bis zum Ende wieder verstummt.

All is Lost ist die filmische Verkörperung so mancher literarischer Klassiker. Hemingways Der alte Mann und das Meer als Sinnbild für den epischen Kampf zwischen Mensch und Natur – Redford verkörpert mit 77 Jahren das perfekte Abbild eines kämpfenden, alten Mannes, der sich gegen die Naturgewalt namens Meer stellen muss. Fernab dieses klassischen Aspekts der Geschichte sind aber auch andere Problematiken zu entdecken. Der im Meer umhertreibende Container, der die Misere beginnt. Die großen Containerschiffe, die den einsamen Schiffbrüchigen ignorieren. Das Desinteresse der Großen an dem, was dem Kleinen zusetzt. Es wird weiter mit dicken Schiffen voran gefahren, ganz gleich welche Probleme sich da draußen manifestieren.

Das aber sind mehr Interpretationsleistungen, die jeder für sich selbst machen darf. Im Kern von All is Lost steht eine überragende stille Geschichte mit einem so minimal zurecht gestutzten Robert Redford, der dennoch eine mächtige dramatische Durchschlagskraft entfaltet. Ohne Worte.


All is Lost_Poster“All is Lost“

Originaltitel: All is Lost
Altersfreigabe: ab 6 Jahren
Produktionsland, Jahr: USA, 2013
Länge: ca. 106 Minuten
Regie: J. C. Chandor
Darsteller: Robert Redford

Kinostart: 9. Januar 2014
Im Netz: all-is-lost.de



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