All die schönen Dinge
Ruth Olshan
Oetinger, 2016
978-3789103711
14,99 €
Tammie hat eine Vorliebe für Pistazieneis. Und für Sprüche. Genauer gesagt: für Sprüche, die auf Grabsteinen stehen. Ein etwas ungewöhnliches Hobby für eine 16-Jährige. Weniger ungewöhnlich wird es, wenn man weiss, dass Tammie ein Aneurysma im Kopf hat. Das hat es sich dort inmitten ihrer Synapsen bequem gemacht und kann jeden Moment explodieren. Oder eben nicht. Das ist die entscheidende Frage und um die kreist ziemlich viel in Tammies Leben. Erst als Tammie eines Tages auf dem Friedhof einen Jungen kennenlernt, der an Grabsteinen rüttelt, ändert sich von Grund auf alles für sie.
“All die schönen Dinge” bespricht eine Krankheit. Es ist eine tickende Bombe im Kopf, die bei Tammie losgehen kann oder ihr Leben lang nur tickt. Es ist die Frage: Leben oder vorsichtig sein, die den Leser beschäftigt.
Diese Frage wird in vielen kleinen Dingen aufgegriffen. Tammies liebe zu Grabsteinsprüchen, ihre Angewohnheit sie zu fotografieren und in ihrem Zimmer aufzuhängen, ist nur eine dieser kleinen Dinge. Es ist auch die Art, wie sie mit ihren Eltern umgeht. Ihr explosionsartiges Weinen, was ziemlich selten vorkommt. Die Freundschaft zu ihrer besten Freundin besteht aus Träumen, Lachen und Weinen. Aber Ruth Olshan schafft es auch, die Endgültigkeit darzustellen, die mitschwingt, wenn Eltern nicht einmal ein Kuscheltier ihrer Tochter wegschmeißen können. Schließlich kann es zu einer Erinnerung werden.
Viele Taten von Tammie sind nachvollziehbar. Ihr Charakter ist nicht nur in einer Zeit des Aufbrechens gefangen, denn manchmal wirkt sie noch wie 12, klein und kindlich, manchmal überrascht sie durch weise Worte für eine 16-jährige. Diese Brüche sind mir manchmal zu schnell. Einerseits geht sie zum Arzt und fragt ihn Dinge, die verständlich sind, andererseits hat sie sich noch nie Gedanken über ihre Frisur gemacht. Scheinbar sollen diese Fragen dazu beitragen, dass der Leser merkt, wie sehr Tammie in dem Wunsch gefangen ist, nicht zu sterben bevor sie Dinge getan hat. Gleichzeitig möchte sie aber vieles auch nicht tun, da die Bombe platzen könnte.
Die Geschichte verändert sich als “der Junge” in ihr Leben tritt. Es passiert abgeschieden auf dem Friedhof – ein Zeichen dafür, dass Tammie nicht ganz so besonders ist, wie die Autorin uns glauben machen möchte. Es gibt viele Gründe auf dem Friedhof zu sein – Tammie fühlt sich nicht mehr so allein. Trotzdem wird ihr Dilemma immer größer, aber die Geschichte verpufft später einfach. Dann kümmert sich die Autorin nicht mehr um Tammie, sondern um Liebe, Köter und all das. Der Bruch im Innern der Protagonistin, die Fragen, ihre Bombe werden in den Hintergrund gerückt und ersetzt durch Taten und Momente, die völlig banal wirken und den Kern des Romans verschwinden lassen.
Am Ende bin ich nicht mehr begeistert. Fehlt mir doch die Wendung, die alles perfekt gemacht hätte. Ein großer Knall, der wäre auch völlig in Ordnung gewesen. Etwas, was Tammies Leben und Lieben gerecht wird.