Alghero kam. Fast zu schnell, denn tatsächlich dauert der Flug nur etwas mehr als eineinhalb Stunden. Es geht schnurgerade nach unten, über Korsika weg (okay, nicht ganz schnurgerade), schon steigt man aus. Der Bus vom Frankfurter Hauptbahnhof fährt etwa genauso lang nach Hahn, wo die Flieger abheben. Gefühlt verbringt man die meiste Zeit der Anreise im kargen Turnhallenambiente des Flughafens Hahn, in der kleinen Erziehungsdiktatur Ryan Air, über die ich nicht müde wurde, zu motzen. Bekanntermaßen braucht die Seele ja etwas länger, um unter fremden Himmeln stark zu sein…
Die nächste Überraschung, die ich zu verkraften hatte: Der Begleiter sprach sich vor Ort gegen die Anmietung eines Autos aus. Ich bin da anders, ich bin so: Ich will in der Fremde rumfahren. Ich bin nicht ganz so schlimm, wie die typischen Italiener, die im Auto ans Meer fahren, aus dem Auto aufs Meer schauen (es könnte ja regnen) … und dann den Rückweg antreten via einen schönen Landgasthof, stelle ich mir halt so vor. Aber ich kann es mir nach zwei Tagen kaum anders vorstellen, als den Ort des behaglichen Bettes als Ausgangsort zu nehmen und die Räder rollen zu lassen. Straßenzüge zu erleben, Kilometer zu machen, die Unterschiede der Landschaft ein zu saugen, durchaus mit der Gefahr, mich immer nicht entscheiden zu können, ob ich nun hier oder hier oder hier anhalten soll. Aber immer wieder auch genau dadurch natürlich sensationelle Einzelmomente und Begegnungen zu erfahren. Hinter irgendeiner Kurve gibt es garantiert einen Moment, eine Aussicht, ein intensives Erleben, von dem ich sicher bin, dass nur ich es habe, jetzt und genau hier, und dass es sich für immer auf meine Seele legt. Wenn ich alleine reise, mache ich es so, mit allen inneren Dialogen und Aufs und Abs. Ich liebe Roadmovies, basta.
Nachhaltiges Reisen ist das natürlich nicht, mit dem Billigflieger in etwa der Zeit, die ein Tatort dauert, Land und Kultur zu wechseln, und dann auch noch endliche Rohstoffe in ein Auto zu füllen, um einfach mal kommen zu lassen… Und der endliche Rohstoff Benzin ist in Italien sogar ausgesprochen teuer. Wenn einer nicht will, macht’s eh beiden keinen Spaß und so nehme ich das als Forschungsprojekt: Wie lässt sich eine gute Woche Alghero erleben OHNE Mietwagen? Und wie geht eigentlich Slow Travel?
Sicht auf die Kuppel der Chiesa San Michele, Alghero
Alghero ist eigentlich eine gute Stadt, um einfach mal nur dort zu sein (wenn man die innere Unruhe besiegt). Das Antonhouse mit seinem abenteuerlichen Frühstück aus sardischen Keksen, Pulverkaffee aus der Mikrowelle und nicht toastbarem Toastbrot – da der Toaster fehlt – ist der running gag des Morgens. Nicht schlimm. Irgendwo findet sich genau die Kafeebar an einer Straße, in der man dadurch typisch italienisch wird, dass man natürlich den Pulverkaffee ignoriert hat und Espresso und dolce in der Bar einfährt. Dass die Unterkunft außerhalb liegt und wir uns des Abends mehrfach verlaufen, wenn wir sie im Wohnviertel wiederfinden wollen, ist unter Slow-Travel-Gesichtspunkten auch kein Nachteil. Wir erfahren von Alghero deutlich mehr als den inneren touristischen Kern, centro storico genannt.
Luxushotel Villa Las Tronas, davor ein kleiner öffentlicher Strand
Denn im Innersten ist Alghero 1. sehr schön und 2. sehr touristisch, die Ryan-Air-Einflugschneise eben. Aber auch sehr schön… Dass man stundenlang am kleinen Strand mit Sicht auf das Luxushotel, das aussieht als sei es von LEGO entworfen, liegen könnte, lesen und träumen oder auch in jener Strandbar chillen, die ich noch genauer vorstellen werde, Getränke ordern und nur noch auf die Wellen schauen kann … das riecht nach echter Erholung. Und ist wetterabhängig – so ganz gnädig war uns das Wetter Ende April 2014 nicht immer.
Wir haben das Bussystem erforscht. Das im Prinzip durchaus vorhanden ist, aber sich nicht so einfach erschließt. Irgendwo fahren immer irgendwelche Busse nach irgendwohin, aber weder unsere Vermieter noch Geschäftsinhaber direkt an der Haltestelle wissen wann (und warum?). Ein wild gestikulierendes Bedauern der ganz überwiegend sehr freundlichen Befragten. (Im Reiseführer steht, das Auto sei für Einwohner wie Touristen das beliebteste Verkehrsmittel der Insel…, aha, scheint so.) Am Busbahnhof unten am Hafen sind die Abfahrtszeiten in etwas chaotischer Struktur verzeichnet, der Fahrplan hängt lustlos rum und ist mit Ausbleichen beschäftigt. In Zartgrau heben sich die Informationen vom Papier gerade noch lesbar ab; wieder, wie auch schon in Estland erlebt, mache ich die Erfahrung, dass allerhand Kürzel die Einschränkungen nach Wochentagen bezeichnen. Wer die Kürzel nicht kennt – oder gar des Italienischen nicht mächtig ist – befindet sich im Busrätselwunderland. Die Dame, die Tickets verkauft und (keine) Auskünfte gibt, ist ganz überwiegend sehr schlecht gelaunt – oder mag keine Auskünfte geben an Touristen. Immerhin schaffen wir drei kleine Bustouren – die herrliche auf der WOW-Panoramatraße entlang der Steilküste nach Bosa, die angenehm-belanglose nach Ittiri und die in die Hauptstadt des Nordens nach Sassari. Sassari kann man sich meiner Meinung nach jedoch – wenn man nicht ganz genau weiß, was man da will – auch einfach sparen. Ich bin aber auch ein bisschen stadtmüde.
Idylle in Bosa, der einzigen sardischen Stadt an einem schiffbaren Fluß
Slowtravel in Alghero? Mhm, die Roadtriptante vom Dienst ist nicht ganz überzeugt, wartet hier aber mit den wichtigsten Einsichten und Tipps auf:
1. Vom Flughafen in die Stadt ist der Bus tatsächlich das Mittel der Wahl, ungefähr zwanzigmal günstiger als ein Taxi. Gegenwärtig fährt man zu jeder vollen Stunde vom Aeroporto in die Via Cagliari in der Innenstadt für 1 €. (Von der Stadt zum Flughafen immer um x Uhr 30.)
2. Mit dem Bus nach Bosa ist ein Erlebnis, wenn es den längeren Weg über die Panaromastraße am Meer entlang geht, das ist mehrfach täglich der Fall. Diese Fahrt ist der PKW-Fahrt tatsächlich überlegen, weil man sich nicht auf die Serpentinen konzentrieren muss, sondern ganz auf die Ausblicke konzentrieren darf. Vorsicht, wem schnell übel wird – die Tendenz besteht.
Bosa Sardinien
3. In der Hauptsaison, ab Juni bis September, fährt auch ein Linienbus auf die Halbinsel Stintino, da muss es toll sein. Es war noch nicht Juni. Die Alternative: erst zum Flughafen und von dort nach Stintino ist auch irgendwie möglich, wenn man es recherchiert.
4. In Alghero selbst hat man bei gutem Wetter sowohl den winzig kleinen, aber weitgehend menschenleeren Strand kurz vor der Altstadt als auch den ausführlichen Strand, der unten am Hafen beginnt, zur Verfügung.
5. Chill out in der Bar eltro, Lungomare Valencia, Café und Bier trinken und in seliger Trance auf die Wellen schauen. Entspannter Service in der Nebensaison, kaum Gäste. Hier kann man sich einen günstigen Halbpensionstag erschummeln, indem man eine Kleinigkeit zu Mittag isst und am Abend noch einen halben Meter Pizza bestellt. Im Ernst: die Pizza wird al metro serviert und berechnet.
6. Schlendern, gut sein lassen, und, was mir eben nicht so leicht viel, Alghero Alghero sein lassen. Dann entdeckt man unten an der Festung am versteckten Platz die Katzensiedlung, in der wilde Katzen von der Bevölkerung und bestimmt auch von Touristen Behausungen gebaut bekommen haben und ihr Futter kriegen. Ein bezauberndes Solidarprojekt zwischen Autonomie und Fürsorge, wie man es sich für Menschen, die irgendwo her flüchten, wünschte. Und manchmal wünsche ich mir in Alghero auch Möwe zu sein, denn die sind allgegenwärtig, weit droben und nicht zahm und bettelnd: eben frei.
7. Einfach mal in die eine oder andere Bar gehen, die überhaupt nicht touristisch aufgestellt ist. Wo das Bier ichnusa fast nichts mehr kostet (sonst: eher überraschend viel), und dafür jede Menge Chips und Erdnüsse mitgeliefert werden. Wo die Einheimischen langsam um Spielautomaten tänzeln oder debattierend den Feierabend beschließen. Diese Bars sind allerdings fast immer rein männlich frequentiert – als Paar wurden wir bedenkenlos freundlich integriert, aber ich wüsste nicht, ob ich als Frau alleine allzuviel Spaß am Besuch hätte.
Und…und… und… in der Regel fahren Touristen auch mit den bereitstehenden Schiffen für 15 € (!) zur Neptunsgrotte, we didn´t. Vermutlich sollte man…