Die Silhouette Hitchcocks aus “Alfred Hitchcock präsentiert”
Ist es wirklich nur das jüngste Jubiläum des Films „Die Vögel“, dass die Zuschauerschaft, das sowohl Hollywood wie auch die Fernsehanstalten dazu bewegt, erneutes Interesse an dem Master of Suspense, an Alfred Hitchcock zu zeigen? Dabei ist es der Facettenreichtum an Blickwinkeln die auf das Leben Hitchs geworfen werden, die aus den unterschiedlichen Produktionen ein wertvolles, wenn auch teilweise fiktionales Zeugnis werden lassen. In Sacha Gervasis „Hitchcock“, mit Sir Anthony Hopkins in der Rolle des Regisseurs und Dame Helen Mirren als seine Ehefrau Alma, wird ein dramatisch zugespitzter Blick auf die Ehe dieser beiden Menschen geworfen und wie Hitchs Vorliebe für Blondinen Einfluss nimmt auf die Beziehung zu seiner Ehefrau. Eine dieser Blondinen steht im Mittelpunkt des von HBO produzierten Fernsehfilms „The Girl“. Tippi Hedren, die Hauptdarstellerin des jubilierenden „Die Vögel“ samt Folgeinszenierung „Marnie“ wirft hier einen Blick von außen auf Toby Jones in der Rolle des Hitchcock, der hier selbst zum beobachteten Objekt wird, weitaus monströser dargestellt als die liebenswürdige Karikatur die Anthony Hopkins verkörpert. Der Fernsehsender A&E wiederum bedient sich der Roman- (von Robert Bloch) wie auch Filmvorlage Hitchcocks zu „Psycho“, spinnt sich die Jugendjahre von Norman Bates zusammen, der seiner Mutter Norma Bates dabei hilft, ein kleines Motel in White Pine Bay, Oregon (im Film: Fairvale, Kalifornien) zu eröffnen. Damit ist “Bates Motel” eine Fiktionalisierung die auf mysteriöse Weise der Teenie-Serie „Smallville“ nahe steht, wird doch die Jugend von Norman Bates ebenso in die Gegenwart verlagert (seine Schulkameraden besitzen iPhones) wie auch Clark Kent alias Superman im Smallville der Moderne aufwächst.
So unterschiedlich erfolgreich diese Werke sein mögen – wie sich „Bates Motel“ entwickelt, muss erst noch abgewartet werden – so sehr sind sie doch von diesem einen Regisseur beeinflusst, der mit seinen Filmen nicht nur Klassiker der Filmgeschichte produzierte, wie etwa „Psycho“ und „Die Vögel“, ebenso aber auch „Vertigo“ oder „Der Unsichtbare Dritte“, sondern auch Motive und Thematiken etablierte, Filmtechniken, die eigens nach Hitchcock benannt werden sollten: Der „Hitchcock Zoom“ etwa, der zum ersten Mal in dem 1958er „Vertigo“ mit James Stewart und Kim Novak zum Einsatz kam. Hier spielt Stewart, der schon in „Cocktail für eine Leiche“, „Das Fenster zum Hof“ und „Der Mann, der zuviel wusste“ in Hitchcock-Filmen mitwirkte, einen Ex-Ermittler, der an Höhenangst leidet und eine Obsession für eine junge Frau entwickelt, die er beschattet. Diese Besessenheit führt zu einem Filmende, das gänzlich untypisch für Hollywood, nicht mit einem Happy End aufwartet. Der besagte „Hitchcock Zoom“, auch als „Dolly Zoom“, „Zolly“ oder „Vertigo Effekt“ bekannt, wurde eigentlich von dem Visual Effects Spezialisten Irmin Roberts entwickelt. Hierbei scheint es so, als würde das Bild sich ausdehnen, was dadurch bewirkt wird, dass die Kamera in die entgegengesetzte Richtung ihres eigenen Zooms bewegt wird.
Weitaus weniger revolutionär für die Filmtechnik, dennoch ein Einschnitt in die Filmgeschichte, ist eine Szene aus Alfred Hitchcocks „Psycho“, in der Darstellerin Janet Leigh dabei gezeigt wird, wie sie ein Stück zusammen geknülltes Briefpapier eine Toilette herunter spült. Nie zuvor wurde bis dahin eine Toilettenspülung im amerikanischen Mainstream-Film oder Fernsehen gezeigt.
Anthony Hopkins in “Hitchcock”
Von den Dreharbeiten zu „Psycho“ handelt am Rande auch „Hitchcock“, mit Scarlett Johansson, selbst eine Blondine wie sie Hitch gefallen hätte, als Janet Leigh und James D’Arcy als nervös, verunsicherten Anthony Perkins. Leider konzentriert sich der Film, der auf dem Buch „Alfred Hitchcock and the Making of Psycho“ von Stephen Rebello basiert, dann viel zu wenig auf den 1960er Horrorthriller. Immer wieder wird Anthony Hopkins gezeigt, wie er als Hitch Wahnvorstellungen erlegen ist, die ihn mit dem Massenmörder Ed Gein Unterhaltungen führen lassen, mit dem Mann also, auf dessen Taten „Psycho“ beruht. Hierdurch verkommt Hopkins’ Hitchcock tatsächlich ein wenig zur Karikatur seiner selbst, wird als von seinen Filmen besessener schrulliger Opa gezeigt, der seine Frau an den erfolglosen Drehbuchschreiber Whitfield Cook (Danny Huston) zu verlieren droht. Hier holt sich „Hitchcock“ seinen erzählerischen Fokus, konzentriert sich ganz auf das eheliche Miteinander, die Entfremdung und Wiederzusammenführung, vergisst darüber die Darstellung des Regisseurs als Filmemacher, obgleich in kurzen Segmenten immer wieder die Produktion von „Psycho“ anklingt.
Aber warum auch nicht auf ein Happy End mit der eigenen Ehefrau hinarbeiten, hat Alma Reville ihren Ehemann im wahren Leben doch so sehr unterstützt, dass auch ihr ein filmisches Denkmal gebührt, das durch Helen Mirren sicherlich zur vollsten Zufriedenheit erbracht wurde. Hitchcock heiratete Alma im Dezember 1926. Sie entwickelte sich auch im filmischen Kontext zu Hitchcocks engster Vertrauten, erbrachte Leistungen für all seine Filme, oftmals ohne dafür im Film selbst genannt zu werden. Ihr wurden Geschichten, Drehbücher und Storyboards von ihrem Ehemann gezeigt. Das größte Kompliment, das Alfred Hitchcock laut seinen Mitmenschen aussprechen konnte war, dass seiner Frau etwas gefallen habe. Das Ehepaar bekam im Juli 1928 ihr einziges Kind: Patricia Hitchcock, die regelmäßig in der Fernsehreihe „Alfred Hitchcock präsentiert“ mitwirken durfte, wie auch in „Psycho“ eine kleine Nebenrolle bekam. Derzeit lebt sie in Solvang, Kalifornien. Zuletzt publizierte sie 2003 ein Buch über ihre Mutter: „Alma Hitchcock: The Woman Behind the Man“.
Toby Jones in “The Girl”
Wenn nun also „Hitchcock“ den Ehemann Alfred Hitchcock zeigt, wie sein Leben mit Ehefrau Alma im Einklang mit seiner Arbeit steht, so hat sich der HBO Fernsehfilm „The Girl“ an dem Regisseur Alfred Hitchcock orientiert, ist dadurch im Direktvergleich das Werk mit mehr Bezug zu den filmischen Schaffensprozessen Hitchcocks. Toby Jones benötigt weniger Maske, keine Fett-Suite wie Hopkins, erzeugt dennoch das Gefühl hier den Meisterregisseur bei der Arbeit zuzusehen. Schon alleine deswegen, da der Zuschauer ihn des Öfteren auch wirklich zum Set begleiten darf: Erst zu „Die Vögel“, dann zu „Marnie“, denn dies sind die beiden Filme in denen Tippi Hedren die Hauptrolle spielt. Sie ist hier die Frau, durch deren Augen Hitchcock gezeigt wird, gespielt von Sienna Miller, 2006 als Andy Warhols Supermodel Edie Sedgwick in „Factory Girl“ zu sehen. Hier nun die Blondine, von der Hitch so besessen war, der er hinterher spionierte. Ebenso fiktional wie „Hitchcock“ basiert nun „The Girl“ auf Donald Spatos 2009er Buch „Spellbound by Beauty: Alfred Hitchcock and His Leading Ladies“ und zeigt den Regisseur als weitaus derberen Sexjunkie als es in der Kinovariante der Fall ist. Tippi Hedren entgeht diesem Hitchcock immer einer nahen Vergewaltigung, sieht sich von ihm bedrängt, bleibt dennoch stark und zieht ihr Filmengagement bis zum bitteren Ende durch, von denen sie gleich mehrere erleben muss. Als Zuschauer plagt man sich mit demselben Unbehagen herum wie Hedren, erlebt den zermürbenden Horror. „The Girl“-Regisseur Julian Jarrold („Red Riding 1974“, „Wiedersehen mit Brideshead“) setzt selbst auf eine gehörige Portion Suspense, macht hierdurch seinen Film nicht mehr und nicht weniger als „Hitchcock“ zur freien Interpretation, auch hier fehlt jede Spur eines akkuraten Biographiefilms.
Hätte doch nur einer der beiden Filme es geschafft, die Motive, die Hitchcock so einmalig haben werden lassen, offen zu legen und selbst für sich zu nutzen. Noch heute gelten Filme als „Hitchcockian“, wenn sie sich erfolgreich den Filmtechniken Hitchcocks bedienen. Als Beispiele gelten „Basic Instinct“ oder der 1963er „Charade“, betitelt als bester Film Hitchcocks, den Hitchcock niemals drehte. „Hitchcock“ wie auch „The Girl“ stützen sich lediglich auf den Voyeurismus, nicht aber in der Form, wie der Regisseur selbst seine Zuschauer in die Beobachterperspektive zwang: mit einer Kamera, die die Bewegungen einer realen Person imitierte, so die Blicke des Publikums steuern konnte. Solch eine Technik sucht man in den Neuproduktionen vergeblich. Obwohl ein Film über Hitchcock es sicherlich verdient hätte, eben solche Techniken einfließen zu lassen, nicht nur an der Oberfläche zu kratzen. Es hätte vielzählige Möglichkeiten gegeben, auch dem Revolutionär Hitchcock zu huldigen: die überraschenden Twists an den Enden seiner Filme; der Filmschnitt, der das Angstgefühl, die Unruhe oder das Mitgefühl mit einer Figur steigern sollte; der Einsatz der MacGuffin-Objekte, die eigentlich völlig irrelevant die Geschichte vorantreiben sollten. Wäre es nicht sogar amüsant gewesen, hätte der reale Hitchcock, sei es auf einem Foto (wie in „Bei Anruf Mord“), als Silhouette (wie in „Cocktail für eine Leiche“) oder in einer Zeitschrift (wie in „Das Rettungsboot“) seinen üblichen Cameo-Auftritt absolviert?
Freddie Highmore und Vera Farmiga in “Bates Motel”