Alexandria. Ein Fanal?

Während ich diesen Artikel schreibe, sind 15 andere Fenster im Browser geöffnet. In jedem dieser Fenstern findet sich ein Artikel zum Anschlag in Alexandria. Es scheint dies – neben der Krise der FDP (gibt es die noch?) das alles beherrschende Thema dieses Tages zu sein. Und dabei habe ich die Tagesschau noch nicht einmal angeschaut.

Es ist sicherlich sachlich korrekt, wenn zum Beispiel Malte Lehming im Tagespiegel fragt, wie oft sich der UN-Sicherheitsrat zur andauernden und immer stärker werdenden Unterdrückung und Verfolgung der christlichen Minderheiten im Nahen Osten äußerte. Das er dies jedoch mit einer Kritik an der Israelkritik ebendieses Sicherheitsrates “garniert”, missfällt mir etwas. Es ist dieses Denken innerhalb von Tellerrändern; dieses Buddelkastenkinderdenken: “Aber der hat angefangen.”
Und selbst wenn? Was ändert das? Nichts. Gewalt gegen Minderheiten oder überhaupt: generell Gewalt kann nicht damit begründet werden.
Ich will damit keinen dieser bombengürteltragenden Idioten entschuldigen; auch dieser nimmt den Tod Unschuldiger in Kauf.
Es ist dieses verdammenswürdige “Aug um Aug, Zahn um Zahn”, das die Welt permanent zerrüttet.

Es ist auch richtig, wenn Lehming darauf hinweist, dass “nicht nur im Iran [...] Konversionen mit der Todesstrafe geahndet” werden. Und es ist sehr zu begrüßen, dass in seiner Aufzählung der Länder, in denen genau dies möglich ist, Saudi-Arabien nicht fehlt. Der Autor fragt nach der Verantwortung Deutschlands – seit Anfang des Jahres Mitglied im UN-Sicherheitsrat – nach der Verantwortung des Herren Westerwelle.

Er könnte, wenn er denn wollte, einen Resolutionstext im UN-Sicherheitsrat einbringen, in dem die Lage der Christen in vielen muslimischen Ländern thematisiert wird. Nur dieses Mal, nur dieses einzige Mal.

Doch was ist diesem Herren wichtiger? Genau, seinen Ar… und die zerbröselnden Reste seiner Partei zu retten. “Jeder setzt halt [...] seine politischen Prioritäten.”

Deutschland versagt derzeit außenpolitisch vollständig. Weder erhebt es seine Stimme für die verfolgten Menschen in Ägypten (völlig gleichgültig, welcher Religion sie angehören – und ob überhaupt), es kümmert sich so gut wie nicht um die weltweiten Menschenrechtsverletzungen. Ja nicht einmal, wenn die eigene Staatsbürger betroffen sind – wie im Falle der beiden in Iran zu Unrecht inhaftierten und als Geiseln gehaltenen Journalisten Marcus Hellwig und Jens Koch.

Ich sag das mal euphemistisch: Westerwelle ist die grandioseste Fehlbesetzung dieser Regierung.

In der Süddeutschen schreibt Rudolph Chimelli:

Nirgends ging es den christlichen Konfessionen besser als im laizistischen Irak vor dem amerikanischen Einmarsch. Nirgendwo sind sie heute stärker verfolgt. Mehr als 2000 kamen durch Anschläge islamischer Fanatiker ums Leben. Hunderttausende flohen in den Norden des Landes oder ins Ausland. Bagdad ist von Christen weitgehend entleert.

und nennt das “Kuriosität”. Er kann – bei der Wortwahl verständlich – aber den korrekten Schluss daraus nicht ziehen: es waren Bush’s Krieger und deren Helfer, die im Namen des Christentums aufbrachen, einen neuen Kreuzzug zu beginnen. In dem sie kläglich scheiterten (und noch immer scheitern). Wer sich auf eine Religion beruft und damit ein Land “befriedet”, muss sich nicht wundern, wenn das die “Anderen” extremistischer werden lässt.
Ich denke, dass wir – der Westen – eine Mitschuld an den Toten von Alexandria tragen.

In der FAZ weist Wolfgang Günter Lerch darauf hin, dass auch das Staatswesen in Ägypten völlig versagt hat. Denn eigentlich versteht sich dieses Land als eines der Religionsfreiheit. “Viel wäre schon gewonnen, wenn Ägypten entschiedener als bisher allen Formen der religiösen Intoleranz entgegenträte, etwa in seinen Schulbüchern.” schreibt er am Ende.  Ich denke auch, dass in den letzten Jahren der politische Islam in diesem Land (wie auch in anderen) eine solche Macht gewonnen hat, liegt unter anderem daran, dass sich Mubarak nicht gewagt hat, gegen seine “Religionsbrüder” einzuschreiten. Und Schritt für Schritt an Boden verlor. Ansätze von Demokratisierung gingen dabei reziprok zurück.

Einige Artikel gehen darauf ein, dass sich vermutlich Al Kaida hinter dem Anschlag verbirgt. Es ist eine bekannte Tatsache, dass “Zwist unter den moslemischen Hauptgruppen zu säen und so die islamischen Staaten zu destabilisieren [...] seither das Hauptziel des Terrornetzwerks” ist. (Mathias Brüggmann im Handelsblatt). Es ist eines der Ziele. Zu den Strategien jedes Angriffskrieges gehört es, den Gegner zu destabilisieren. Und das, was wir erleben, ist ein Angriffskrieg. Geführt von fanatisierten Menschen. Die (grundsätzlich dazu gut geeignete Religion) Islam bietet dazu hervorragende Grundlagen. Aber sie ist es nicht allein. Es ist nicht nur dem Versagen eines Mubarak zuzuschreiben, nicht nur dem Versagen des UN-Sicherheitsrates. Es ist vor allem die Angst jeder Regierung vor der Macht der Petrodollars. Denn man kann es nicht als Zufall ansehen, dass die Staaten des Nahen Ostens mit den größten Erdölreserven genau die sind, von denen aus sich die Islamisierung des Islam ausbreitet. Nur: ich kann mich nicht erinnern, je ein kritisches Wort gegen die Schari’a in Saudi Arabien gelesen zu haben; einem Land, in dem Frauen nicht ohne männliche Begleitung das Haus verlassen dürfen; einem Land, in dem es als Erfolg zu werten ist, dass Frauen von Feuerwehrmännern aus brennenden Häusern gerettet werden dürfen.
Es ist dieser Irrsinn, es ist diese Feigheit, die Dinge beim Namen zu nennen, es ist diese ungeheure Arroganz des Westens, der immer meint, alles kontrollieren zu können ohne irgendetwas zu verstehen. Man kann das hervorragend an der Geschichte der Taliban anschauen. Die sind dafür ein Lehrbeispiel.

Sehr richtig drückt das Karim El-Gwhary in der TAZ aus:

Wo es keine Kluft zwischen Muslimen und Christen gibt, hat al-Qaida auch keine Chance, die Spaltung zu vertiefen.

Wobei mir in der gesamten Diskussion der Hinweis fehlt, dass die Religionen nur Mittel zum Zwecke sind. Es geht nicht tatsächlich darum, wer welchen Glaubens ist. Wie eine erste, spontane Demonstration von Muslimen und Christen in Kairo bereits zeigt. Wir müssen einfach verstehen lernen, dass die Instrumentalisierung jeglicher Religion eine Gefahr an sich darstellt. So wie weltweit das Christentum zur Missionierung antritt, so auch der Islam. Wer Christ ist oder sich als solcher bezeichnet, kann nicht so tun, als ob seine Religionsgemeinschaft ehrenwerter oder unpolitischer wäre als irgend eine andere.
Dass der Islam eine solche – auch politische Macht – hat, hängt nicht nur mit dem fehlenden “klärenden Feuer der Aufklärung” zusammen. Es gibt auch eine islamische Aufklärung. Doch die kommt eben nicht aus den wahabitischen Ländern. Die Macht dieses Islam ist auch der weltweiten Gier nach Öl geschuldet. Und das im TAZ-Artikel angesprochene Teile-und-Herrsche-Prinzip darf man gern auch als Import aus den Kolonialstaaten ansehen.

last but not least: Jörg Lau schreibt morgen in der Zeit den Leitartikel “Verfolgte Christen in Ägypten“. Leser des Bloghauses wissen, dass mir die Artikel von Jörg Lau meist gefallen; ich zitiere ihn häufig. Auch wenn er in manchen Dingen nicht über seinen Tellerrand schauen kann. Aber im Vergleich mit vielen Anderen ist sein Teller eine große Schüssel.

Und so nimmt es nicht Wunder, wenn er in seinem (im Blog vorab veröffentlichten) Artikel darüber aufklärt, dass es Mubarak’s korrupter Staat war, der zugelassen hat, dass die eher moderate Brüderschaft keine Stimme mehr im Land hat. Und dies unter anderem den nachdrängenden Radikal-Islamismisten den Weg ebnete. Und ich stimme ihm grundsätzlich zu, wenn er schreibt

weil die eigentliche Kampflinie nicht zwischen den Religionen verläuft, wie es die Weltenbrandzündler gerne hätten. Sie verläuft zwischen denen, die in einer multireligiösen Gesellschaft leben wollen und den Fanatikern der Reinheit – heute vor allem: innerhalb des Islams. [...]  Denn jeder Muslim, der friedlich und gut nachbarschaftlich im Westen lebt, ist eine wandelnde Widerlegung Bin Ladens. Wir sehen das oft nicht mehr in unserer erregten Islamdebatte.

muss allerdings kritisieren, dass dieser Blick auf den “guten Muslim in der Nachbarschaft” die Augen schließt vor denen, die – wie auch ein Konvertit wie dieser unsägliche Pierre Vogel – eben nicht bereit sind, ein friedliches Miteinander zu akzeptieren. Er macht sich mit dieser Sicht mitschuldig an einer Relativierung der Gefahren, die unbestritten in einer politisierten Religion bestehen. Was ich ihm hoch anrechne ist, dass er sehr wohl zu unterscheiden weiß zwischen Moslem und Islam; zwischen Mensch und Ideologie.

Abschließend: ich wiederhole mich. Ich werde mich vermutlich noch hunderte male wiederholen: Religionen sind gefährlich, lebensgefährlich sogar. Wenn sie als ideologische und/oder politische Waffe eingesetzt wird.

Nic


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