Seit Mitte Juni 2013 ist das Album „Tomorrow’s Harvest“ von Boards of Canada (unter WARP Records) bereits draussen. Wir finden das Werk beeindruckend bemerkenswert zugleich und möchten es hier etwas näher besprechen. Boards of Canada sind nicht, wie man dem Namen vielleicht entnehmen mag, Kanadier – nein! Die zwei Köpfe hinter den speziellen Electronica-Klängen stammen aus Schottland und nennen sich Michael Sandison und Marcus Eoin Sandison. Ihre Gründung erfolgte in den späten 80er Jahren und seit daher brachten sie fünf Studioalben an der Zahl heraus:
Das Albumcover klingt ähnlich, wie ihre Musik aussieht. Ja genau. Boards of Canada – Tomorrow’s Harvest (2013)
ALBEN:
1995: Twoism
1998: Music Has the Right to Children
2002: Geogaddi
2005: The Campfire Headphase
2013: Tomorrow’s Harvest
I. ÜBER BOARDS OF CANADA:
Boards of Canada sind berühmt dafür, dass sie ihre Samplings und Aufnahmesequenzen verfremden und verzerren. Zum Teil werden sie rückwärts in ihre Tracks eingefügt, sodass die Songtexte nicht mehr zu erkennen sind. Im Internet gibt es ganze Diskussionsforen zu Fragen nach den eigentlichen „Boards of Canada“-Texten – auf Reddit beispielsweise gibt es ganze Foren über die Band und ihren augenscheinlichen Mysthizismus. Der Bandname stammt von der nationalen Filmbehörde Kanadas (National Film Board of Canada) ab, die Naturteile und Bevölkerungsinteressen Kanadas vertritt. 8 Jahre sind vergangenen seit dem letzten „The Campfire Headphase“ und dem diesigen Album „Tomorrow’s Harvest“.
Das schottische Duo und die Herrscher über kanadische Landschaftsmusik und ähnlichen Dingen. Boards of Canada. (Quelle Bild: Fact Magazine)
II. BOARDS OF CANADA – TOMORROW’S HARVEST
Früher schon immer fasziniert von älteren, analog funktionierenden Sounderzeugungsmitteln und elektronischen Hilfsmittelchen, versuchen Boards of Canada atmosphärische Musik zu erzeugen, wie sie früher in semi-qualitativ-hochwertigen Amerikanischen Fernsehsendungen vorkam. Die beiden Sandisons halten sich also an ältere elektronische Instrumente, passen sich aber der neueren Technik ebenso an. Sie halten sich aber strikt davon zurück, alles synthetisch einzuspielen und keine „echten“ Instrumente mehr zu verwenden. Auch dem Jahr 2013 verleihen Boards of Canada deshalb einen quer durch den Zeitstrahl elektronischer Musik schneidenden Impuls. Genau dieser Impuls versprüht über dem Album bereits nach 6 Monaten seinen potenziellen Zeitlosigkeitsnebel. Schön beschrieben wird die Qualität von „Tomorrow’s Harvest“ innerhalb der jetzigen Zeit auch im Online Review von der Seite „Pretty Much Amazing“:
“Tomorrow’s Harvest comes at a welcome time, then, as it’s a reminder of how much detail and patience goes into quality electronic music. It’s the duo’s most sinister and fascinating collection of songs, enrapturing the listener with dystopian soundscapes and frustrating arrangements.” (‘Pretty Much Amazing’, Drew Malmuth)
Die Musik auf Tomorrow’s Harvest ist meist gesangslos (und wenn dann von Sprechgesängen oder verzerrten Gesangslementen durchzogen) und wirkt wie ein gesamter Melodieklotz und nicht als ein Gewirr aus unterschiedlichen Melodiesträngen. Game-Musik ist ein seltsames vorbelastetes Wort zwar, doch ist mir bei erstmaligem Hören tatsächlich der Gedanke gekommen, dass Boards of Canada wohl eine beeindruckende Soundkulisse wären für Videospiele in einsamen verlassenen Gegenden, in denen man Schätze und Verlorenes wiederzufinden hat.
“White Cyclosa”, Lied 3, ist ein eislandschaftkreierendes Stück Klang. Man befindet sich auf brüchigem, dennoch harten Eisboden und sieht in der blauen Sonne die Spiegelung aller Eissäulen, die einen umgeben. Während des Stücks rückt der eine Staccato-Geräusch-Strom „immer näher“ und wirkt am Ende beinahe bedrohlich, als ob das Eis zusammenkracht.
Boards of Canada – White Cyclosa (Fan-Video)
“Nothing is Real”, trägt ein Lied diesen Titel, ist es bereits einmal interessant. Einen fast Hip-Hop mässigen Beat verzeichnend, klingt “Nothing is Real” jedoch paradoxerweise nicht so surreal wie andere Tracks auf „Tomorrow’s Harvest“ (extrem surreale Tracks wären bsp. vielmehr „Transmisiones Ferox“ oder „Gemini“). Die Valley-Wüsten-Landschaft im Musikvideo zu “Reach for the Dead” ist durch die filterhafte filmische Verzerrung eine wunderschöne Zusätzlichkeit zu dem dramatisch-schönen Stück, welches schummerige-ängstliche Nostalgie verbreitet. Seht euch hier das Video an:
Boards of Canada – Reach for the Dead (Offizielles Musikvideo)
“Jacquard Causeway” ist eines der längeren Stücke auf dem Album und es ist bei weitem eines der absolut schönsten Tracks auf der ganzen sich drehenden Scheibe dieser Musik. Eine stille Poesie, das Lied klingt wie Konversation und Leben. Ein ausgedörrtes Feld sieht in einem strahlenden Orange aus, wie eine Oase in der Wüste und die Wolken fliegen stimmig über den Himmel, ohne hinunterzufallen.
Man merkt: Hört man diese Musik etwas zu lange, kann eine subtile Form der Realitätsentfremdung vonstatten gehen. Jedoch sagen uns Boards of Canada ja sowieso: Nothing’s Real. Also auch egal.
Nothing’s Real is the new YOLO?
KEEP BUZZIN’ und reitet auf Wellen der Nostalgie.
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