Fast ironisch mutet es an, wie wenige Worte gewechselt wurden zwischen diesen zwei wortmächtigen Giganten der deutschen Literatur, deren überbordende Vokabulare doch von einem wundervollen Briefwechsel träumen lassen. Tatsächlich aber beschränkt sich die Korrespondenz der beiden auf wenige Zeilen. Eine Aufarbeitung.
Albert Vigoleis Thelen (Lausanne 1983); Foto: www.vigoleis.de
Zunächst muss ein Gerücht aus dem Weg geräumt werden: Immer mal wieder kann man lesen, Thomas Mann habe “Die Insel des zweiten Gesichts” eines der grössten Bücher des zwanzigsten Jahrhunderts genannt. Diese Aussage lässt sich nicht belegen und wurde vor allem durch die englische und amerikanische Ausgabe des Buches (“The Island of Second Sight”) verbreitet.
Tatsächlich aber liess Thelen Mann ein Exemplar der “Insel” zukommen und schrieb im beigelegten Brief (16.12.1953) unter anderem:
“Sehr verehrter, lieber Herr Mann,
ob ich auch weiss, dass Sie mit Briefen und Büchern aus aller Welt überhäuft werden,wodurch Ihnen selbst räumliche Nöte erwachsen (…), so wage ich es doch, Ihnen den ersten Band meiner “angewandten Erinnerungen”, ein pikareskes Memorial, zu schicken (…) – Ich erwarte natürlich nicht, dass Sie die 1000 Seiten lesen, und wenn Sie mich fragen: ja, warum schickt er mir dann seinen Schmäucher überhaupt zu? dann möchte ich sagen, dass die “Insel” bei Ihnen in einem stillen Winkel auch ungelesen sehr gut aufgehoben ist.
Als Dünndruckausgabe beschlägt sie nur 680cm3 , – oder ist das bei der Wohnungsnot unserer Welt doch noch zu viel?
Mit ergebensten Grüssen der Ihrige ganz”1
Schon am folgenden Tag, dem 17.12.1953, verfasste Thomas Mann (in Erlenbach) ein kurzes Antwortschreiben, das folgendermassen lautet:
“Sehr verehrter Herr Thelen,
Nehmen Sie vielen Dank für Ihre freundlichen Zeilen und Ihren merwürdigen [sic], bunten und krausen Roman, mit dem ich mich schon beschäftigt habe, den ich aber als Ganzes nicht gleich aufnehmen kann. Es strömt unsinnig viel Literatur herein, und meine Augen sind nicht mehr die alten, das heisst die eines Alten.
Der Besitz Ihres Buches ist mir wert, und ich hoffe sehr, ihn mir bald ernstlich erwerben zu können.
Bestens Ihr
Thomas Mann”2
Ob er es jemals gelesen hat, ist nicht bekannt, denn Manns Tagebuch schweigt sich darüber aus…
Schon in den Jahren zuvor hatte es einige (geschäftliche) Kontakte zwischen den beiden gegeben, so etwa hatte Thelen Mann im Oktober 1941 angeschrieben, um ihm ein Befürwortungsschreiben für die Vergabe des Nobelpreises an den portugiesischen Dichter Pascoaes zu entlocken. Mann antwortete u.a.:
“Ich habe ja wohl als ehemaliger Preisträger eine Art von Vorschlagsrecht, aber ich habe es in den letzten Jahren wiederholt für Hermann Hesse ausgenutzt, dessen Preiskrönung ich als eine schöne Demonstration für das höhere Deutschtum und als eine glückliche Auskunft gegen das deutsche Verbot betrachten würde, den Preis anzunehmen.”3
Und tatsächlich sind sich Mann und Thelen auch persönlich begegnet. Unter anderem 1947 in Amsterdam, als Mann zum ersten Mal nach dem Krieg Europa besuchte. Während in Manns Tagebuch auch hier nichts vermerkt ist, erzählt Thelen in einem Brief an seinen Bruder Ludwig:
“die begegnung mit thomas mann war sehr schön, er ist ein charmanter plauderer und gar nicht das grosse tier, das er dichterisch ja darstellt.”4
So bleibt es bei einigen wenigen Belegen, die die Bekanntschaft dieser beiden Grandseigneurs der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts dokumentieren. Und es ist der Fantasie fiktionalisierender Leser überlassen, sich vorzustellen, welch grandiose Gespräche zwischen diesen beiden krausen, charmanten Plauderern möglich gewesen wären.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei Dr. Jürgen Pütz von http://www.vigoleis.de für die Zusendung des vollständigen Briefes von Thomas Mann 1953 wie des Bildes von 1983. Merci!
1. Aus: Albert Vigoleis Thelen. Meine Heimat bin ich selbst. Briefe 1929-1953. Hg.v. Ulrich Faure und Jürgen Pütz. Dumont 2010.
2. Dr. Jürgen Pütz / http://www.vigoleis.de
3. Aus: Albert Vigoleis Thelen. Meine Heimat bin ich selbst. Briefe 1929-1953. Hg.v. Ulrich Faure und Jürgen Pütz. Dumont 2010.
4. Aus: Albert Vigoleis Thelen. Meine Heimat bin ich selbst. Briefe 1929-1953. Hg.v. Ulrich Faure und Jürgen Pütz. Dumont 2010.
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