mehriran.de: Interview vom 29.11.2012 mit Ahmed Shaheed. Der internationale Druck auf Iran, die Menschrechte im Land zu achten, wächst ständig. Am 27. November hat ein Kommitte der UNO-Generalversammlung die iranische Regierung aufgefordert, ihre massiven Verstöße gegen die Menschrechte einzustellen. In unserem aktuellen Interview gibt Ahmed Shaheed, UNO-Sonder bericht erstatter zur Menschenrechtslage im Iran, Hintergrundinformationen – und macht Vorschläge, was die internationale Gemeinschaft tun kann, um die Opfer von Menschenrechtsverstößen zu unterstützen.Ahmad Shaheed mit einem Mitglied von IOPHRI
Mehriran: Jüngst haben Sie bereits Ihren dritten Gericht vorgelegt, als UNO-Sonderberichterstatter. Welches sind die jüngsten Entwicklungen im Iran, zu welchem Fazit kommen Sie?
Shaheed: Wenn man meinen neuen Bericht studiert, finden sich darin Hinweise auf eine Reihe von alarmierenden Entwicklungen im Iran. Ich möchte natürlich besonders hinweisen auf die Notlage vieler Journalisten, die Notlage von Menschenrechtsaktivisten; aber auch auf eine Reihe von Besorgnis erregenden Gesetzen, die Irans Regierung zuletzt beschlossen hat oder gerade vorbereitet. Weiterhin gibt es eine extrem hohe Zahl an Hinrichtungen, oft verhängt wegen Handel oder Missbrauch mit Drogen – wegen Vergehen also, die nach internationaler Gesetzgebung keine Kaptalverbrechen darstellen. Dann: Die iranische Zivilgesellschaft unterliegt ernsthaften Einschränkungen, etwa die Gewerkschaften; Frauenrechte werden systematisch missachtet, ebenso die Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten. Das sind einige der zentralen Punkte in meinem Bericht. Nun gilt es auch zu beobachten, wie die verschärften Sanktionen westlicher Regierungen gegen die iranische Wirtschaft sich auf die Bevölkerung auswirken; das wird ein Gegenstand meines nächsten Berichtes sein. In Folge meines letzten Berichtes als Sonderberichterstatter vor der UNO-Generalversammlung ist ein wichtiger Schritt gelungen: Das dritte Komitee der Vollversammlung hat am 27. November eine Resolution verabschiedet, mit großer Mehrheit – 83 Stimmen dafür, 31 dagegen. In dieser Resolution wird Iran aufgefordert, Stellung zu beziehen zu einer ganzen Reihe von Menschenrechtsverstößen, die in meinem Bericht aufgedeckt worden sind.
Mehriran: Es gibt Hinweise, dass das iranische Regime durchaus Interesse hat an seiner Reputation im Ausland. Ihre Arbeit als UNO-Sonderberichterstatter, zum Beispiel, wird fortwährend attackiert von Vertretern des Regimes. Wie gehen Sie um mit dieser Kritik?
Shaheed: Mir war sehr daran gelegen, und ich habe diese Hoffnung auch nicht aufgegeben, dass Iran mit mir zusammenarbeitet, bei diesen Berichten. Denn so ist mein Mandat ja angelegt! Und tatsächlich hat Iran auch große Anstrengungen unternommen, nach außen zu suggierieren, dass es die UNO-Mechanismen zum Schutz der Menschenrechte unterstütze. Nun ist mein Mandat ja Teil dieser Mechanismen. Also scheint es ratsam und folgerichtig für Iran, mit Blick auf seinen eigenen Vorteil, sein Vorgehen zu überdenken und wirklich in der Sache Stellung zu beziehen zu den Erkentnissen meines Berichts. Ich stehe ja nicht allein mit meinen Hinweisen auf Menschenrechtsverstöße im Iran. Auch eine Reihe von UNO-Mitgliedern weist darauf hin, ebenso wie das UNO-Menschenrechtskomittee. Ein Gremium von 18 Experten hat, für dieses Komitee, letztes Jahr die Lage im Iran einer sorgfältigen Untersuchung unterzogen und darin eine Reihe von Verstößen gegen Menschenrechte aufgelistet. Und schließlich ist da der Menschenrechtsrat; vor zweieinlab Jahren hat er seinen periodischen Bericht zum Iran vorlegt, und auch hier das gleiche Bild: eine hohe Zahl von nachweisbaren Verstößen. Natürlich hat Iran gelobt, dazu noch in derselben Periode Stellung zu beziehen. Doch nun sind zweieinhalb Jahre verstrichen, ergebnislos, und es wäre dringend geboten, dass Iran sich nachvollziehbar und durchsichtig zu diesen Vorwürfen äußert. Es ist richtig, dass Iran scharfe Kritik an meinem Mandat geäußert hat; aber diese Kritik entbehrt der Grundlage. Denn es wäre doch an ihnen, die von mir angebotene Kommunikation zu suchen – wenn ihnen daran liegt, dass ihre Sichtweise in meinem Bericht stärker berücksichtigt wird als bislang. Dieser Bericht ist überaus fair, er ist überaus ehrlich, und ich habe überaus strenge Regeln eingehalten bei der Analyse der gesammlten Fakten. Kein einziger Fall ist nachweisbar, in dem die Schilderung meines Berichtes nicht akkurat gewesen wäre. So fordere ich Iran auf, meinen Bericht beim Wort zu nehmen.
Mehriran: Eine Delegation des europäischen Parlaments hat kürzlich ihren Besuch in Teheran abgesagt, mit Blick auf die ernste Lage von Jafar Panahi und Nasrin Sotoudeh. Halten Sie eine solche Absage hilfreich? Ist das ein sinnvolles Signal?
Shaheed: Wenn Länder mit Iran einen Dialog über Menschenrechte führen wollen, so meine ich, sollten sie Wert darauf legen, dass dieser Dialog auch zu Ergebnissen führt. Dass er förderlich ist für beide daran beteiligten Länder. Es ist der EU-Delegation ja verweigert worden, Jafar Panahi und Nasrin Sotoudeh ihren Besuch abzustatten. Dabei war dies ein nachvollziehbarer Wunsch, denn beide sind ja ausgezeichnet worden mit dem Sacharow-Preis, dem Menschenrechts-Preis des Europäischen Parlaments! Sich bei solchen Anliegen entgegenzukommen ist doch wirklich Standard unter Ländern, die gute Beziehungen pflegen und in einem Dialog mit einander stehen. Also: Wenn Länder mit Iran einen Dialog führen wollen, müssen sie darauf achten, dass dieser Dialog bedeutsam ist und Ergebnisse erzielt. Sonst bekommen wir eine Situation, wie es in der Vergangernheit schon vorgefallen ist – dass Iran anscheinend in einen Dialog einwilligt, aber er hat keinerlei Substanz. Dennoch nimmt die iranische Regierung anschließend für sich in Anspruch, Dialogbereitschaft gezeigt zu haben! Wenn also ein solcher Dialog über Menschenrechte mit Iran aufgenommen wird, sollte er bedeutungsvoll sein und auf Ergebnisse ausgerichtet. Sind diese Voraussetzungen gegeben, dann sollten auch Delegationen ins Land kommen. Wenn die Delegationen dagegen bloß von der iranischen Regierung empfangen werden, um in der Weltöffentlichkeit besser dazustehen – dann wäre ein solcher Besuch tatsächlich entmutigend für die Menschenrechtsaktivisten in Iran, und für die vielen Opfer von Menschenrechtsverbrechen im Land. Ein fatales Signal, dass gerade die Haltung dieser Menschen, ihr Leiden und ihr Kampf keine Beachtung findet, während sich die Regierung zum Schein mit der Weltgemeinschaft trifft.
Mehriran: Es scheint, die Kraft und der Wille, die Menschenrechte in Iran durchzusetzen, muss letzten Endes von der iranischen Bevölkerung selbst ausgehen. Doch man möchte sie darin von außen unterstützen. Welches sind, aus Ihrer Sicht, die oppositionellen Gruppen, in Iran oder im Exil, mit denen europäische Regierungen stärker zusammenarbeiten sollten?
Shaheed: Es ist richtig, in jedem Land spielt die Zivilgesellschaft eine zentrale Rolle dafür, die Menschenrechte anzuerkennen und schließlich durchzusetzen. In der gegenwärtigen Lage gibt es in Iran allerdings nur wenige Gruppen, die sich glaubhaft einsetzen für die Einhaltung der Menschenrechte. Denn wer dies versucht, hat harte Strafen zu erwarten. Ein Beispiel: die Human Rights Defenders. Ganze 42 Rechtsanwälte sind derzeit in Iran inhaftiert, darunter sieben der bekanntesten und renommiertesten Anwälte des Landes! Und viele von ihnen sind angeklagt, sich zu beteiligen am Zentrum der Human Rights Defenders... Die Arbeit für Menschenrechte, und ebenso jede diesbezügliche Kooperation mit internationalen Organisationen und auswärtigen Regierungen – gilt in Iran also zur Zeit als eine Tätigkeit, für die man zur Rechenschaft gezogen wird. Dementsprechend lassen sich von außen im Land kaum Gruppen ausmachen, die für Menschenrechte eintreten. Ander in der iranischen Diaspora, im Ausland; hier gibt es eine ganze Reihe wohl bekannte NGOs (Non Governmental Organizations), die sich offen und erkennbar genau dafür einsetzen: für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Heimatland. Wenn europäische Regierungen also universelle Standards für Menschenrechte im Iran unterstützen wollen, ist dies der Weg – Gruppen auszumachen, die sich besonders tatkräftig dafür einsetzen, den Iran auf solche Standards zu verpflichten. Und die zugleich einen guten Kontakt zur iranischen Bevölkerung haben und über Informationen aus erster Hand verfügen. Da sind zum einen internationale NGOs, wie Human Rights Watch und amnesty international,die man unterstützen kann; aber auch Gruppen der iranischen Diaspora selbst, die einen klaren und eindeutigen Fokus auf Menschrchte legen – ihre Arbeit sollten wir begleiten und fördern.
Mehiran: Es ist ihre besondere Aufgabe, die Situation in Iran zu beobachten. Aber wenn wir nun den Blick nach Europa wenden – sehen Sie Anzeichen dafür, dass die iranische Regierung versucht, Einfluss auf westliche Medien und Universitäten zu gewinnen, um ihre eigene Sichtweise zu propagieren?
Shaheed: Ganz sicher. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass ein Land von der Größe und dem Wohlstand Irans selbstverständlich auf seine Reputation achten muss. Eben darum bedeutet die jüngst verabschiedete Resolution der UN einen solch wichtigen Sieg für die iranische Bevölkerung. Denn Iran wird sich äußern müssen zu den Fragen, die diese Resolution aufwirft. Und ich meine, die iranische Regierung muss sich jetzt wirklich bewegen: ihre bisherige PR-Strategie geht nicht auf, eine wirklich stichhaltige Reaktion ist gefordert. Man kann nicht die Reputation eines Landes aufrecht erhalten mit oberflächlichen PR-Maßnahmen. Dazu braucht es mehr Sustanz. In diesem Sinn ist es ermutigend zu beobachten, wie Iran sich an Universitäten und Medien wendet, um mit ihnen in einen Diaog über Menschenrechte einzutreten. Denn mittelfristig und langfristig kann man dem Land nur helfen durch ernsthafte Bemühungen, die Menschenrechte zu achten, nicht durch fingierte Effekte oder kosmetische Retuschen, die bloß etwas vorgaukeln, ohne wirklich die Substanz zu berühren. Über das politische Tagesgeschäft hinaus scheint es mir wichtig, dass westliche Universitäten iranische Gelehrte einladen, mit ihnen über Menschenrechtsfragen zu diskutieren; zugleich sollten wissenschaftliche und politische Institutionen in Europa den Kontakt suchen zu Abgeordneten des iranischen Parlaments, zu iranischen Richtern und Intellektuellen, um die Sichtweise des jeweils anderen besser zu verstehen. Und in diesem Dialog versuchen, jene Menschenrechtsnormen an Iran heranzutragen, die wirklich universell sind.
Mehiran: Letzte Frage: Religion, und hier eben der Islam, scheint machen westlichen Beoanchtern die Wurzel der Verstöße gegen Menschenrechte, wie wir sie in Iran verzeichnen müssen. Was ist dazu Ihr Standpunkt? Und können Sie auch religiöse Gruppen ausmachen, die im Gegenteil daran arbeiten, die Menschenrechte in Iran zu stärken?
Shaheed: Ich meine, jede Religion lässt sich missbrauchen als Entschuldigung dafür, dass man universelle Menschenrechte verletzt. Der Islam ist aber keineswegs grundsätzlich gegen diese Rechte ausgerichtet! Es gibt viele die sagen, durch eine etwas moderne Deutung der Scharia-Gesetze können wir grundlegende Menschenrechtsstandard etablieren, ganz genau so wie in westlichen Ländern. So hat zum Beispiel die OIC (Organization of the Islamic Conference) 55 Mitglieder – und ein großer Teil hiervon hat eine Fülle von Menschenrechtsabkommen unterzeichnet. So ist nicht der Islam per se das Problem. Es ist die Anwendung der Scharia in der Weise, wie sie in Iran praktiziert wird; dort entsteht das Problem. Es gibt ganz wenige Länder weltweit mit dieser, wenn Sie so wollen: engen Auslegung der Scharia, die eine Spannung erzeugt zwischen Menschenrechten und Islam. Fragt man dagegen muslimische Rechtsgelehrte auf der ganzen Welt, in islamischen Ländern, einschließlich Iran, ebenso wie in westlichen Ländern – so erklären viele von ihnen, die Scharia in einer modernen Deutung ist durchaus kompatibel mit den grundlegenden Menschenrechten. Folglich benutzt Iran die islamische Scharia lediglich als Vorwand, um sich nicht an internationale Gesetze halten zu müssen. Gegenwärtig scheinen einige wenige Länder, wie Iran, zu meinen, sie könnten Religion zu ihrem politischen Vorteil missbrauchen – indem sie religiöse Regeln ausspielen gegen universelle Normen. Doch wenn wir auf mein UN-Mandat schauen und die Perspektive einnehmen, die ihm zugrundeliegt, ist klar: Menschenrechte sind universell, sie gelten unabhägig von kulturellen Kontexten und sind, ohne Ausnahme, von jedermann zu achten.