Während es deutsche Postillen gibt, die “Wir sind der Papst” titeln, machte sich der Autor die Mühe, hinter die Worte Ratzingers zu schauen. Er zeigt auf, zu welch erstaunlichen Umdeutungen und Neudefinitionen Ratzinger greift, um zu “beweisen”, dass Vernunft Glaube ist. Bereits Ratzingers Interpretation des ersten Bibelsatzes ist ein Hinweis darauf, wessen Geistes Kind dieser ist. So begründet Ratzinger “Logos” mit der “Vernunft Gottes” und bastelt sich so die Überzeugung, dass der Glaube also Vernunft sei.
Wenn das nicht so gnadenlos gefährlich wäre, wie die Geschichte der katholischen Kirche in den letzten Jahrhunderten zeigte, wäre es einfach nur lächerlich. Ratzinger nutzt sehr berechnend die modernen Medien, um seine vormodernen Lehren zu verbreiten.
Ich habe Mitgefühl mit Posener, der sich durch die Berge an Schriftlichem wühlen musste, die Ratzinger bzw. Benedikt XVI. im Laufe seines Lebens produzierte. Es ist sehr schwer, dieses verquaste Zeug zu lesen. Zumal, wenn man so ziemlich jedes Wort anders bewerten muss, als Ratzinger es aufschrieb. Denn der Mann ist unter anderem deshalb so gefährlich, weil er sich auszudrücken weiß. Allerdings muss man – wie Posener es tat – diese Worte in den Zusammenhang mit Benedikts Denken setzen und einordnen.
Wenn Ratzinger es für revolutionär hält (und das von vielen Medien zitiert wird), dass er mit dem schiitischem Islam in einen Dialog trat, dann muss man sich die Frage stellen: wer redet hier mit wem. Denn der Vatikan redete nicht mit Vertretern des Islam, sondern mit Vertretern der theokratischen Regierung Irans. Auch an diesem Beispiel stellt Posener klar, welch Ähnlichkeiten es im Denken eines Ratzinger und den Machthabern totalitärer Systeme gibt. Benedikts Traum ist die Errichtung eines Gottesstaates. Darin ist er sich mit dem Regime in Iran einig. Das überwindet dann tatsächlich die Grenzen der Religionen. Denn es geht gegen den gemeinsamen Feind: die Aufklärung.
So wundert es nicht, dass Ratzinger über eine “Diktatur des Relativismus” schwadroniert, wenn er die pluralistische Gesellschaft meint. Demokratie ist seinen Wertvorstellungen grundsätzlich fremd.
Posener gönnt all den bekannten skandalösen Äußerungen Benedikts ein eigenes Kapitel. Beginnend mit Benedikts Rede in Auschwitz, bei der er seinen latenten Antisemitismus sehr deutlich Ausdruck verlieh, als er dem jüdischen Volk – resp. der jüdischen Glaubensgemeinschaft – mitteilte, dass sie den Holocaust selbst provoziert habe. Von daher wundert es auch nicht, dass Ratzinger die Pius-Brüderschaft wieder in “den Schoß der Kirche” zurückholte.
Als Benedikt verkündete, dass die prokolumbianischen Völker sich nur nicht bewusst waren, dass sie auf “die Erlösung” durch die katholische Kirche warteten; als er den an AIDS krepierenden Afrikanern mitteilte, dass Kondome sie nicht schützen würden sondern im Gegenteil dies nur eine gottgegebene Moral könne- da war der Aufschrei westlicher Medien groß. Doch die gleichen Medien und Macher feiern Benedikt als “großen Erneuerer” der Kirche.
Sie feiern einen Mann, dessen Ziel es ist, die universellen Menschenrechte abzuschaffen und an deren Stelle eine theokratische Diktatur zu setzen. Sie feiern einen Papst, dessen erklärtes Ziel es ist, die minimalen Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils zurückzunehmen. Jemanden, dem es am liebsten wäre, die Erde wäre wieder eine Scheibe.
Posener macht sehr deutlich, dass Ratzinger vor allem für Eines steht: für Wissenschaftsfeindlichkeit und für eine Umschreibung der Geschichte, die zum Beispiel den Deutschen jegliche Schuld am Genozid der Juden nimmt. Er steht für eine Sexualmoral, die wider die Natur ist, für ein Frauenbild, das eher dem der Wahabiten entspricht, aber nicht der Moderne. Er sucht die Nähe zu den Kreationisten (würde aber auch gern auf diese verzichten und allein die Bibel als alleiniges Lehrbuch etablieren).
Für mich stellte sich bei der Lektüre des Buches immer wieder eine Frage: wie konnte Ratzinger in einer Zeit der Aufklärung aufwachsen und völlig frei von deren Gedanken sein? Wie kann man in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts seine Bildung erhalten, um dann im einundzwanzigsten Lehrmeinungen zu vertreten, die einer Zeit vor dem dem sechzehnten entsprechen?
Alan Posener ist überaus kritisch, ohne jedoch polemisch zu sein. Mir kommt es so vor, als würde der Autor Ratzingers Werke und Werte sezieren – ohne dabei selbst zu werten. Das ist oft nicht einmal nötig und gelingt natürlich nicht immer. Ist aber immer stilsicher und pointiert. (Der Autor hat über seine Gründe für das Buch ein interessantes Interview bei Telepolis gegeben.) Für all Jene, die sich nicht von den “meinungsBILDenden” Medien vorschreiben lassen wollen, was und wie sie zu denken haben: unbedingt lesenswert!
Nic