"Akte X" austrainiert, untergetaucht im popkulturellen Fahrwasser und dem Wink mit dem Zaunpfahl: Fox Mulder (David Duchovny) gibt sich die Ehre, einen anderen freien Platz zum Urinieren zu suchen, nachdem der in der Kneipe außer Betrieb ist. Da geht er raus und pinkelt an die Wand in einer dampfigen Hinterhofgasse vor einem "Independence Day"-Filmplakat. Der glühende Wahrheitsverfechter und schonungslose Glaubensbruder (an kleine grüne Männchen glaubt er), alleingelassen von seiner Regierung, die die Existenz nicht namentlich bekannter Rassen jenseits des Erdplaneten gleichermaßen verleugnet wie vertuscht, steht Genrekino gegenüber, in dem ein Regisseur den Untergang durch kleine grüne Männchen heraufbeschwört, jenen Untergang, den Mulder zu prophezeien versucht, aber nur auf taube Ohren stößt.
Für die hiesigen Serieneinsteiger hinterm Mond hat der Film, seines Zeichens fungiert er als Bindeglied zwischen der fünften und sechsten Staffel, als die X-Akten verbrannt und geschlossen wurden, eine weitere süße Leckerei im Angebot, wenn Mulder – diesmal angetrunken – die Geschehnisse davor rekapituliert. Er sei eine Hauptfigur in einer Verschwörung auf höchster Machtebene operierender Mitverschwörer, der Squashball, der immer wieder an einer dicken Wand abprallt und zum Ausgangspunkt zurückfliegt. Für die hiesigen Serienfans vor dem Mond rekapituliert der nahezu eine gesamte Mythologie-Doppelfolge plus Überlänge abdeckende Spielfilm dagegen den Kanon an allem, was "Akte X" Identität verleiht.
Neue Felder beackert er also eher nicht, düngt alte auf, als dass er sich kreativer zeigt. Ob das Sinn hat oder nicht, ob das handlungsvorantreibend ist oder nicht, steht nicht zur Debatte. Die hinlänglich bekannten Situationen und Geschehnisse aus der Serie werden so selbstverständlich aneinandergereiht, dass es bisweilen abgekupfert und nur noch abgedroschen wirkt. Wieder wird Scully (Gillian Anderson) entführt, wieder wird sie kurz vorher mit einer tödlichen Krankheit angesteckt, wieder schaufelt sich das Ermittlerduo beiderseitige Alibis zu, wieder setzt sich Mulder über alle Vorschriften hinweg, um Scully zu retten, die sich im entscheidenden Augenblick dem UFO abwendet (das ist gelungen): Bowmans und Carters grundlegende Problematik fordert, die Klischees zu entfachen, ohne sie zu brechen. Dass Figuren wie Direktor Skinner (Mitch Pileggi), der Krebskandidat (William Bruce Davis) und klassische Serienstars wie Terry O'Quinn zudem kommentar- wie konturlos in den Raum gestellt werden, während sie ihren Prinzipien in Anlehnung des gleichen mürrischen Gesichtsausdrucks aufsitzen, forciert das Gefühl, "Akte X – Der Film" wolle möglichst nur verweisen, aber nicht kohärent schweißen.
Dem latenten Trash-Appeal verpflichtet, schreibt das von Serienschöpfer Chris Carter verfasste Drehbuch außerdem die wohl unerquicklichste Szene im Leben und Wirken von Scully und Mulder – der angedeutete Kuss wird jäh unterbrochen, sobald eine in Scullys Jackenkragen eingenistete Biene in genau diesem Moment zusticht. Peinlich! Gegenüber dieser Ausnahmeerscheinung herrscht jedoch ein lockerer, flapsig-romantischer Umgang zweier wissenschaftlich diametral gepolter FBI-Agenten, die sich im Laufe der dahinschwindenden Jahre besser verstehen, tiefer gebunden haben und sich mehr und mehr aufeinander verlassen müssen, ohne jemals ihr Vertrauen hinsichtlich des anderen in Frage zu stellen. An einer Weggabelung versuchen sie gar, über die korrekte Richtung auszudiskutieren und entscheiden sich letztlich pragmatischerweise für die Staub aufwirbelnde Mitte: Der geneigte Fan ist versucht, diese gallige Ironie als Wiederauflage einer ähnlichen Hürde der Episode "Energie" dritter Staffel zu deuten.
Auch die Verfolgung eines Zuges mitsamt leichtem Roadmovie-Charakter, der hochgiftige Substanzen außerirdischer Natur transportiert, erinnert an "Das Täuschungsmanöver" (erste Staffel) sowie an das Teilstück "Der Zug" eines Zweiteilers aus der dritten Staffel, wohingegen der Schwarze Krebs längst zum Baukastenrepertoire ungelöster Geheimnisse gehört, dessen Radius extraterrestrische Kolonialisierung und Versklavung einschließt und mehrmals den "Alien"-Mythos mal mehr, mal weniger plump herbeizitiert. Ungefähr so: Bahnen sich Scully und Mulder im Finale einen Weg durch ölig-feuchte Lüftungsschächte (James Camerons "Aliens"), entkommen sie gleichzeitig vor glitschigen Organismen der nächsten Stufe der Evolution, die dem Brustkorb ihres Wirts entspringen (Ridley Scotts "Alien"). Diese setzt der Film allzu deutlich ins Bild, was heißen soll, dass Subtilität fortwährend zur repetitiven Ausstellung der sonst hervorragenden Maskenarbeit – vor allem in den obligatorischen Scully-Autopsien zersetzender Gewebestrukturen – verkommt.
Dass "Akte X" nicht davor Halt macht, ein Serienkonzept nahtlos auf die Leinwand zu übertragen, sondern dem Prinzip überhöhter Schauwertakzentuierung folgt, definiert den Film als bildgewaltig. In den Ortswechseln die Temperaturunterschiede auslotend, hakt die Geschichte das ebenso Eisige wie Heiße ab, schwenkt zur Antarktis, endet in der Wüste. Neben gigantischen Feldern von genmanipuliertem Mais, aufbrausenden Bienenattacken (siehe "Herrenvolk") und futuristischen Gebärstationen (Marke H. R. Giger) dürfen Bowman und Carter ihre Visionen in die Tat umsetzen, die angesichts des niedrigen Budgets in der Serie an sich keinen Platz fanden. So zerberstet ein mehrstöckiges Gebäude nach einer druckvollen Explosion und die Computertechnik ermöglicht es, Schneeschichten (etwas künstlich) versinken zu lassen, wenn ein UFO dem Himmel entschwindet. Das (Brief-)Versprechen, dass Scully und Mulder schlussendlich wiederkehren werden, obwohl sie ihre gegenseitige Trennung aus berufstechnischen Gründen postuliert haben, illustriert hingegen eine glanzvolle Wiedergeburt einer verloren geglaubten Niederlage.
5 | 10