Akademiker ohne ihre Arbeit

Wer die Nachrichten heute gelesen hat, hat festgestellt, dass in Tunis eine Demonstration arbeitsloser Akademiker von der Polizei niedergeknüppelt wurde. Nun überrascht es nicht, dass überall auf der Welt Menschen die für etwas eintreten von der Staatsmacht mit Gewalt von ihren Zielen abgehalten werden. Für mich neu ist allerdings, dass Akademiker als Berufsgruppe auf die Straße gehen und ihr Recht einklagen, in ihrem Beruf arbeiten zu dürfen.

Eine Diskussion über "das Recht in seinem Beruf arbeiten zu dürfen" ist ziemlich absurd. Eigentlich sollte doch jeder, der sich für einen Berufsweg entschlossen hat, doch auch dort Fuß fassen dürfen. Nur ist das leider heute nicht mehr so. In Tunesien und woanders wirft man die Frage auf, ob es neben einem menschlichen BerufsWAHLrecht nun auch ein politisch eingeräumtes BerufsAUSÜBUNGSrecht geben sollte. Oder dass der Staat zusammen mit der Wirtschaft zusieht genügend Jobs für alle fertige Absolventen vorzuhalten. (Und dass auch noch auf Lebenszeit.)

Ich gebe zu, so ein Recht zu formulieren ist schwierig. Es gibt auch genügend Menschen die dieses Recht utopisch nennen. Erdacht von Ideologen, die zu engstirnig sind, die geltenden Realitäten anzuerkennen. Dass wir nun einmal in keiner Welt Leben wo die holde Fee dir alle Lebenswünsche erfüllen wird.
Ich habe allerdings Schwierigkeiten, diese Realität als "unumstößlich" anzuerkennen. Vor zweihundert Jahren hatten wir beispielsweise eine Gesellschaft in der vielen das Recht auf freie Berufsausbildung versagt wurde. Liberale traten damals für dieses Recht ein, das im Gegenzug Konservative ihnen verwehrten. Heutzutage sind die Verhältnisse anders. Jetzt schreiten Liberale und Konservative in ihrer Berufspolitik seitanseit und verhindern, dass man mit seinen ausgebildeten Fähigkeiten auch arbeiten darf.

libertarian

Auf dem Schild steht: "Liberaler (Substantiv) - Jemand der glaubt, dass Unterdrückung am besten durch den Privatsektor geschieht."

Früher hat es für Menschen wie du und mich Berufsverbote gegeben. Und heutzutage kannst du deinen Beruf nicht ausüben, weil es keine Stelle für dich gibt. Von den heutigen Absolventen aus den Sozialwissenschaften hat vielleicht jeder fünfte eine Arbeitsstelle, die ein Studium voraussetzt. Bei den Naturwissenschaftlern (inklusive Physiker) die ich kenne ist es auch gerade mal nur jeder dritte.

Aus Italien höre ich, dass viele Akademiker als Praktikanten "angestellt" sind oder sogar unter der Hand arbeiten um in ihrem Berufsfeld überhaupt bleiben zu können. In den Eurokrisenländern Spanien, Portugal, Griechenland halten sich Akademiker mit zwei, drei schlecht bezahlten Minijobs über Wasser. Dabei nehmen sie auch unausgebildeten Jugendlichen und frischen Schulabgängern die Jobs weg. In Südeuropa liegt die Jugendarbeitslosigkeit offiziell zwischen 30 und 46%.

Aus Brüssel verkündet mir eine Freundin, dass die Akademiker immer verzweifelter versuchen, das goldene Los der Verbeamtung bei der EU-Kommission zu erhaschen. Wer das geschafft hat, hat ausgesorgt. Mittlerweile hat sie als Sozialwissenschaftlerin, die vier Sprachen perfekt beherrscht keine Chance und wird von Menschen ausgebootet, die zwei Doktortitel haben. Es ging dabei um eine Stelle als "Chef-Sekretärin". Meine Freundin ist über 30 und bezieht die Hälfte ihres Monatseinkommens von ihren Eltern.

Aus Schweden höre ich Beispiele von promovierten Biologen, die Verwaltungsarbeit für ein Forschungsinstitut machen nur um überhaupt "einen Fuß drin" zu haben. Ich kenne Biotechnologen, die den Tag damit verbringen zu kucken, ob fertige Maschinen zur Medikamentenherstellung fehlerfrei funktionieren oder nicht. Ich habe Studienkolleginnen, die mit Ende zwanzig Abschied von einer ihren Fähigkeiten angemessenen Tätigkeit genommen haben und Mutter wurden. (Jeder weiß, dass es nach einer Pause nur umso schwieriger wird im Beruf Fuß zu fassen.)

Früher hast du die Menschen daran gehindert, Einfluss auf die Gesellschaft zu üben, indem du ihnen vorschriebst, was sie nicht werden dürfen. Heute tritt Phase Zwei in Kraft und sie dürfen alles werden, aber nicht das machen, was sie wollen. Fehlende Einflussnahme bleibt aber fehlende Einflussnahme. Unterdrucküng macht statt der Vater Staat heute besser die Privatwirtschaft.

Ich warte auf den Tag, dass auch in Deutschland und Europa Akademiker auf die Straße gehen und das Recht einklagen, in ihrem Beruf arbeiten zu können. Dass eine Debatte entsteht warum Akademiker, die dennoch in ihrem Berufsfeld tätig sind unbezahlte Überstunden zu viel zu geringen Löhnen arbeiten. Dass Menschen mit hochwertiger Ausbildung Menschen ohne Ausbildung die unqualifizierten Jobs wegnehmen. Und dass wir endlich ein "Recht auf Berufsausübung" auf die Tagesordnung setzen.

Hier gibt's was zum weiterlesen.

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