Ah. so.

Es ist ein ruhiger Samstag abend, den ich mit der Drogistenkollegin in der Apotheke verbringe … herein kommt ein Mann mittleren Alters, den ich noch nicht gesehen habe, mit einem Rezept.

„Kann ich das auch bei ihnen einlösen? Die Apotheke, in die ich normalerweise gehe hat zu … und ich brauche das unbedingt heute noch.“

Natürlich. Ich muss am Samstag nicht mal auf das Rezept schauen, um zu wissen, dass es nicht heute erst ausgestellt wurde. Aber der Mann in Not hat Glück und wir haben das gewünschte Medikament an Lager.

„Haben Sie mir noch die Krankenkassenkarte?“ Frage ich.

„Krankenkassenkarte? Nein, die habe ich nicht dabei – weshalb brauchen Sie das?“

„Nun, wenn Sie es nicht bezahlen möchten, dann kann ich das der Krankenkasse abrechnen, aber dazu brauche ich die Karte.“

Der Mann holt sein Portmone hervor und fängt an darin zu wühlen, wobei er graduell ärgerlicher wird.

„Ich habe doch gesagt, ich habe sie nicht dabei … geht das nicht auch ohne?“

„Doch, schon, Sie können es auch selber bezahlen und selber an die Krankenkasse schicken, dann bräuchte ich nur Ihren Namen und…“

Er wühlt sich fast aggressiv durch die Karten in seinem Geldbeutel. Als er eine durchzählt sehe ich sie (ich kenne inzwischen die verschiedenen Karten)

„Da ist sie, sehen Sie? Die blaue.“

Er zieht sie etwas irritiert heraus, sieht sie an, als ob er sie das erste Mal in seinem Leben sieht und reicht sie mir zögerlich.

„Dann muss ich also nicht zahlen?“

„Nein, ich muss sie nur schnell einlesen … (ich mache das – die Krankenkassendeckung wird angezeigt, alles aktuell und gut) … und hier haben Sie sie wieder.“

Ich nehme das Medikament, scanne es ein, schreibe es an und reiche es ihm. Er steckt es ein.

„Und meine Krankenkassenkarte?“

Ich schaue etwas irritiert auf die Theke, aber nein, da liegt sie nicht mehr,

„Die habe ich Ihnen vorher gegeben …“

„Nein, haben sie nicht! Ich brauche meine Karte wieder! Die können Sie doch nicht so einfach behalten!“

„Ich bin sicher, ich habe sie Ihnen gegeben. Wenn Sie nur schnell einen Blick in ihr Portmonnee werfen könnten…“

„Da ist sie nicht! Sie haben sie mir nicht zurückgegeben!“

„Schauen Sie doch mal kurz, bitte. Tun Sie mir den Gefallen, ja?“

Sehr ärgerlich öffnet er jetzt sein Portmone, und fängt an all die vielen Karten, die man heute so dabei hat aus den Fächern zu ziehen und sie einzeln vor sich (und mich) auf den Tisch zu schmeissen. Kreditkarte, Postkarte, Mitgliedskarte im Fitnessclub, Bibliotheksausweis, Kundenkarte Kaufhaus …

„Sehen Sie, da ist sie nicht, (schmeiss) da auch nicht (schmeiss), nicht (wirf), ist sie nicht (wirf) und …“

„Da ist sie.“ – sage ich. Und deute.

Er schaut die Karte genau an, dann mich wütend, packt sie und seine anderen Karten zusammen, stopft sie ins Portmonee und geht wieder.

Meine Kollegin hat das halb mitbekommen und steht noch ganz verhupft daneben.

„Wenn ich nicht auf dem Rezept die Erklärung dafür hätte, weshalb er sich so benimmt, wäre ich jetzt auch nicht so ruhig. Willst Du wissen, was er für Medikamente bekommt?“ Frage ich

„Warum?“

„Weil man grad gesehen hat, dass er sie wohl wirklich brauchen kann.“

Es war Olanzapin. Das wird zur Behandlung shizophrener Psychosen eingesetzt. Psychosen gehen mit einem Verlust des Realitätsbezuges einher. Wahnwahrnehmungen und Stimmungsschwankungen.

Mir hilft das Wissen in dem Fall etwas besser (und ruhiger) mit den Betroffenen umzugehen. Stress macht das nämlich nur schlimmer.


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