von Simon Argus
Seit ein paar Tagen bin ich zurück in Ägypten. Auf den ersten Blick hat sich wenig verändert. Bis auf vereinzelte ausgebrannte Verwaltungsgebäude und die zwei Panzer, an denen ich jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit vorbei komme.
Brücke über den Nil - Fotos von Panzern sind schwieriger. Quelle: Eigenes Foto.
Bei den Menschen gibt es aber doch Unterschiede. Die Ägypter haben eine Revolution hinter sich. Das hat sie zwar nicht alle zu einer Masse der Harmonie vereinigt, aber scheinbar jeder hat nun eine politische Meinung. Den einen hat die Revolution Angst gemacht - das Sicherheitsempfinden vieler Ägypter ist getroffen. Manche laufen nun mit Waffen "zum Selbstschutz" herum. Anderen geht die Revolution noch lange nicht weit genug. Die Profilbilder meiner ägyptischen Freunde sehen derzeit meist gleich aus: Ein großes "Nein!" auf rotem Grund verrät, was sie von der angekündigten Volksabstimmung über die neue Verfassung halten.
Am Tahrir-Platz erinnert wenig an die vergangenen Wochen. Das Militär hat das Zeltlager auf der zentralen Verkehrsinsel vor einigen Tagen geräumt. "Gut so", sagt ein Freund: Die verbliebenen "Demonstranten" waren für viele Kairener eher zwielichtige Gestalten. Das Pflaster fehlt an vielen Stellen, die Steine dienten während der Revolution als Wurfgeschosse. Um zwölf Uhr am Abend leeren sich die Straßen langsam: Die Ausgangssperre wird nicht von allen eingehalten. Obwohl angeblich bis zu drei Monate Haft drohen, haben Polizisten generell viel von ihrer Autorität eingebüßt.
Die Ägypter sind dieser Tage mit ihrer Revolution relativ allein gelassen. Die mediale Aufmerksamkeit liegt bei Japan - vielleicht noch in Libyen oder Bahrein. Die zahlreichen Foto-Journalisten reisen nach und nach ab. Einen aus Kanada treffe ich noch spät abends im Mc Donald's gleich neben dem Tahrir-Platz. Aufregende Wochen hat er hinter sich, aber besonders viel scheint er noch immer nicht über dieses Land zu wissen. In zwei Tagen wird er abreisen, nach Washington DC.
Der nächste Schritt für die Ägypter ist das Verfassungsreferendum am kommenden Wochenende. Viele junge Ägypter sind dagegen: Das neue Wahlrecht ähnelt dem britischen System "the winner takes it all" und bevorzugt so die großen Parteien: Das wären die NDP und die Muslimbrüder - die einzigen Parteien mit Struktur, Geld und dadurch medialem Einfluss. Auch einige andere Punkte an der überarbeiteten Verfassung werden kritisiert: Ein neuer Präsident wäre nicht zwingend an die beschlossenen Änderungen gebunden, die Überprüfbarkeit von Wahlergebnissen durch die Gerichte ist nicht eindeutig geregelt.
Zu allem Überfluss brechen nun auch wieder religiöse Konflikte aus. Die zuvor so solidarischen Christen und Muslime geraten durch private Familien-Fehden aneinander, die Religion dient einmal mehr als Scheingrund für mittelgroße Straßenschlachten in den Armenvierteln. Immerhin: Der regierende Militärrat hat angekündigt, dass eine niedergebrannte christliche Kirche an der selben Stelle wieder aufgebaut werden soll. Das wäre noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen. Aber die Gründung religiös definierter politischer Parteien (die Christen lehnen die Sharia als Grundlage für Gesetzentwürfe ab, diese Regelung wurde übrigens schon von Mubarak eingeführt) wird für neue Probleme und Spaltungen sorgen.
Trotz aller Probleme bleibt die Stimmung aber vorsichtig optimistisch. Jeder fragt mich, ob ich Änderungen bemerkt habe, seit ich das letzte Mal im Land war. Die Autofahrer schimpfen, das Verkehrschaos sei durch die Revolution schlimmer geworden. Ein ägyptischer Teenager berichtet mir ganz begeistert, dass er seit der Revolution einen polizeilichen "Taser" - eine Elektroschock-Pistole - besitzt. Und die Soldaten auf ihren beiden Panzern bei mir um die Ecke genehmigen sich eine Teepause nach der anderen. Wir warten auf das Wochenende.
Links:
Die Diskussion um die Armeeregierung im Internet auf maikelnabil.com
Aktuelle Nachrichten aus Ägypten gibt es auf almasryalyoum.com